Fatales Dilemma

■ Die Bush-Administration verschanzt sich im Irak hinter ihrer Neutralität

Fatales Dilemma Die Bush-Administration verschanzt sich im Irak hinter ihrer Neutralität

Präsident Bush dürfte sein Appell zum Sturz Saddam Husseins im nachhinein im Halse steckengeblieben sein. Um den irakischen Diktator, noch vor kurzem aller Welt als neueste Inkarnation des Bösen und Feind der zivilisierten Welt vorgeführt, ist es in Washington seit der Feuerpause, dem Beginn des Aufstandes und der gewohnt brutalen Gegenreaktion des Regimes still geworden. Nichts offenbart das Dilemma der USA deutlicher als die Tatsache, daß sich weite Teile der irakischen Bevölkerung mit bewundernswertem Mut gegen das Terrorregime in Bagdad erheben, während Saddam Husseins Hubschrauber unter dem US-Schutzschirm durch die Gegend fliegen, um Schiiten und Kurden niederzumähen.

Dieses Dilemma, das sich hinter der Floskel „Neutralität“ versteckt, zeigt, daß es mit der Errichtung einer neuen Weltordnung nach dem Krieg um Kuwait eben doch nicht so einfach bestellt ist und Folgeprobleme auftreten, die nicht ohne weiteres kalkulierbar sind. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß nicht die USA, wohl aber die Nachbarstaaten Türkei und Iran angesichts des Aufstands bereits auf eine Nach-Saddam-Ära umgeschwenkt sind: Teheran, das seine neutrale, vermittelnde Postion während des Krieges aufgegeben hat und nun zumindest verbal und politisch die Rebellen im Süden stützt; die Türkei, die dabei ist, die fast siebzig Jahre alten Grundsätze des Kemalismus über Bord zu werfen und sich erstmals politisch dem Kurdenproblem zu stellen.

Im fernen Washington sind die Interessen der Anrainerstaaten eine der vielen Unwägbarkeiten. Die Bush-Administration geht davon aus, daß im Sinne der Stabilität der Region die Integrität des Irak gewahrt werden muß. Ein Auseinanderbrechen oder eine „Libanonisierung“ des Staates, so die Befürchtungen, würde den Nachbarländern Iran, Syrien und Türkei vielfältige Einflußmöglichkeiten eröffnen. Die Angst vor einer Libanonisierung des Irak und, damit einhergehend, der heterogene Zustand der irakischen Opposition sind aber nicht der einzige Grund, der die USA von einer militärischen Intervention an der Seite der Aufständischen abhält. Ein solcher Schritt wäre im Gegensatz zu Embargo und Krieg von keiner UNO- Resolution abgedeckt. Ein Umsturz im Innern, der von einer auswärtigen Macht ermöglicht wird, hat immer seine problematische Seite, gerade auch in einem Land, das eine der Hochburgen des arabischen Nationalismus war. Und selbst ein Sturz Saddam Husseins im Schutze der Kanonen des US-Imperialismus würde das Dilemma der USA nicht wirklich lösen. Dann müßte in Washington entschieden werden, wie der neue Militärdiktator von amerikanischen Gnaden heißen soll, der dann — selbstverständlich — für irgendwann freie Wahlen ankündigt, oder wer in einer Übergangsregierung sitzen soll.

Doch selbst in einer Situation, deren Ausgang letztendlich völlig offen ist, gibt es andere Möglichkeiten als die, sich völlig herauszuhalten oder militärisch zu intervenieren. Dies würde bedeuten, nicht strategische Interessen, sondern die irakische Bevölkerung in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Dazu gehört zu allererst, die für das tägliche Leben und den Wiederaufbau der Versorgungsstruktur dringend notwendigen Güter in den Irak zu liefern, und zwar unabhäbgig davon, wer in Bagdad an der Macht ist. In der gegenwärtigen Lage des anhaltenden Aufstands in Kurdistan müßte dies mit massiven Hilfslieferungen an die Kurden gekoppelt werden, denn Saddam Hussein schickt zwar seine Soldaten in die Gebirgsregion, nicht aber Lebensmittel oder Medikamente. Schließlich müssen die Flüchtlinge aus dem Südirak eine entgegenkommende Aufnahme und Versorgung finden; ihr Ersuchen um politisches Asyl muß positiv beschieden werden.

Neben diesen rein humanitären Maßnahmen muß jedoch auch der politische Druck auf Saddam Hussein erhöht werden. Es wirkt geradezu wie eine Art Eingeständnis, wenn US-Regierungsbeamte jetzt davon reden, daß es im Irak zu Massakern kommt. Wenn Saddam Husseins Schergen in Kuwait Angst, Schrecken und Tod verbreiten, sorgt dies für Schlagzeilen; im Irak dagegen richtet sich eine schon aus der Vergangenheit bekannte Mauer des Schweigens wieder auf.

Die Geschichte des Irak im letzten Jahrzehnt sollte einen eines Besseren belehren, als jetzt eine angebliche Stabilität zur obersten Richtschnur des Handelns zu machen. Der Irak war in dem Sinne stabil, daß das System im Inneren auf institutionellem Terror, Angst und Gewalt basierte. Zur Stabilität in der Region trug dies keineswegs bei — allein der von Saddam Hussein angezettelte Krieg gegen den Iran forderte eine Million Tote auf beiden Seiten. Daher ist es keineswegs egal, wer in Bagdad an der Macht ist. Jedes Kalkül, das vom Gegenteil ausgeht, ist ein mörderisches, wie sich jeden Tag von neuem erweist. Vor dem Hintergrund des Blutbads im Südirak erweist sich das ganze hehre Gerede vom Kampf des Guten gegen das Böse, von Moral und zivilisatorischen Werten wieder einmal als das, was es schon immer war: Zweckpropaganda. Beate Seel