Klassenbrüder Waffenbrüder

■ Nach den Enthüllungen über die Waffenbrüderschaft zwischen RAF und Stasi drängt sich die eine wesentliche Frage auf: Welche waren die Motive für die fragwürdige Kooperation zwischen den RAF-Kadern und...

Klassenbrüder — Waffenbrüder Nach den Enthüllungen über die Waffenbrüderschaft zwischen RAF und Stasi drängt sich die eine wesentliche Frage auf: Welche waren die Motive für die fragwürdige Kooperation zwischen den RAF-Kadern und der Mielke-Truppe?

VON GERD ROSENKRANZ

Kopfschütteln war die dominierende Reaktion, als am gestrigen Vormittag letzte Zweifel an der Stasi-RAF-Waffenbrüderschaft allmählich schwanden. In der Tat ist diese merkwürdige Beziehungskiste mit den Gesetzen der Logik nur schwer in Einklang zu bringen. Welche schräge Güterabwägung müssen Mielke und Co. vorgenommen haben, als sie für die äußerst fragwürdige Aussicht auf Destabilisierung im Lande des Klassenfeindes die weltweite Ächtung und wirtschaftliche Isolation für den Fall der Entdeckung des Komplotts in Kauf nahmen? Und welche ideologischen Pirouetten haben die RAF-Kader vollführt, die — ursprünglich angetreten unter dem Banner der Emanzipation und einer menschlicheren Gesellschaft — ausgerechnet auf den Staat mit Mauer, Stacheldraht, Todesschuß und paranoider Totalüberwachung der Bevölkerung verfielen?

Diese und ähnliche Fragen stellten sich nach dem Monitor-Bericht und der eilig einberufenen Pressekonferenz des Generalbundesanwalts am Dienstagabend offenbar viele, die mit der Angelegenheit — so oder so — zu tun haben oder hatten. Ein führender Staatsschützer nannte die neuen Erkenntnisse schlicht „sensationell“. Das fand offenbar auch der frühere Verfassungsschutzchef Heribert Hellenbroich. Der wollte die militärische Ausbildung aktiver RAF-Kader in der DDR und die Unterstützung der Stasi bei den Anschlägen auf die US-Air- Base in Ramstein im August und auf den Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Europa, Frederik Kroesen, in Heidelberg im September 1981 zunächst gar nicht glauben. Die Enthüllungen stützten sich allein auf die Behauptungen eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters, meinte Hellenbroich. Und was von derlei Aussagen zu halten sei, habe man seit der Wende in der DDR schon des öfteren erfahren müssen. Allenfalls eine logistische Unterstützung der Stasi für die RAF wollte der Ex-Staatsschützer für möglich halten, nicht jedoch eine konkrete Unterstützung bei Anschlägen.

Zur weiteren Aufklärung verlangte Hellenbroich flugs nachrichtendienstliche Einsichtnahme in die Stasi- Akte. Damit lag er ganz auf der Linie des Chefs des Hamburger Amtes für Verfassungsschutz, Christian Lochte. Der schwor in der Vergangenheit Stein und Bein, daß die DDR die RAF-Kader zwar etwa bei der Durchreise am Ostberliner Flughafen Schönefeld „gewähren ließ“, sie aber niemals aktiv unterstützte. Jetzt will er endlich die Akten sehen.

„Die Verachtung für das Stasi- System kann kaum noch größer werden“

Ein ehemaliges Mitglied der RAF zeigte sich ebenfalls erschüttert. Man müsse „mißtrauisch bleiben“ gegenüber den neuen Enthüllungen. Wenn sie jedoch zuträfen, wäre dies „ein neuer Gipfel der Verkommenheit der RAF“. Die einzigen, die ob der überraschenden Neuigkeiten routiniert ihre Reflexe lebten, waren die Bonner Politiker — insbesondere die, die es schon immer gewußt hatten. Johannes Gerster zum Beispiel, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, meinte, die SED habe es ihrer Bevölkerung zugemutet, mit Helfershelfern terroristischer Mehrfachmörder, Räubern und Erpressern bis in die Spitze ihres Staates unter einem Dach zu leben. Die Union, bisher nicht gerade besonders erfolgreich bei der Aufdeckung von Stasi-Machenschaften, verlangt „angemessene Bestrafung“. Der SPD-Vorsitzende Vogel erklärte, die „Verachtung für das Stasi-System“ könne nun „kaum mehr größer werden“. Die diskutierte Amnestie für Stasi-Mitarbeiter müsse „endgültig vom Tisch“. Außerdem sei zu prüfen, ob der Haftbefehl gegen den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker wegen Unterstützung der RAF erweitert werden müsse.

Am Dienstagabend hatte Generalbundesanwalt von Stahl der Presse Einzelheiten über die jahrelange Kooperation zwischen führenden RAF-Mitgliedern und der Hauptabteilung (HA) XXII des Ministeriums für Staatssicherheit mitgeteilt. Danach begann die gedeihliche Zusammenarbeit bereits 1978 und zwar mit einer Festnahme: Inge Viett, damals noch Aktivistin der „Bewegung 2.Juni“, sei bei ihrer Einreise in die DDR festgenommen worden. Im Verlauf eines Gesprächs überzeugte sie den Kollegen von der HA XXII offenbar von ihrer revolutionären Integrität und durfte — mit Waffe — weiterreisen. Viett fädelte nach Aussagen Betroffener 1980 auch die Übersiedlung der RAF-Abtrünnigen in die DDR ein, ehe sie später selbst diesen Weg ging.

Ebenfalls 1980 verhandelten, immer laut Bundesanwaltschaft, Inge Viett (inzwischen RAF-Mitglied), Christian Klar, Adelheid Schulz, Helmut Pohl und Henning Beer in der DDR mit der Stasi über Waffen- und Sprengstofflieferungen. Zur Entspannung organisierte das Ministerium für Staatssicherheit auf Wunsch der Gäste ein Pistolenschießen. Die Besuche wurden zur ständigen Einrichtung. Ein- bis zweimal jährlich reisten die Top- Kader Viett, Schulz, Klar und Pohl über die deutsch-deutsche Grenze. Später nach der Verhaftung von Klar und Schulz und dem Abgang von Viett (alles im Jahr 1982), füllten Ingrid Jakobsmeier und Christa Eckes die Lücken. Das ging nach den Erkenntnissen der Ermittler so weiter bis Mitte der achtziger Jahre.

Im Frühjahr 1981 reiste die Kommandoebene der Rote Armee Fraktion zu einem mehrwöchigen „Lehrgang“ in Waffen- und Sprengstofftechnik in der Nähe jenes Stasi- Objekts mit dem freundlichen Namen „Forsthaus an der Flut“ an, das auch den ausgestiegenen RAF-Übersiedlern als Anlaufstelle gedient hatte. Unter anderem wurde eine „praktische Ausbildung“ an der sowjetischen Panzerfaust vom Typ RPG 7 geboten. Für Christian Klar war dies mindestens die zweite Begegnung mit schwererem Gerät. Bereits Anfang 1979 hatten palästinensische Freunde den RAF-Kämpfer im südjemenitischen Aden an einer Panzerfaust üben lassen, allerdings mit begrenztem Erfolg.

„Ermittlungstaktische Gründe“ hatten laut Bundesanwaltschaft die Vollstreckung des Haftbefehls verhindert

Auf dem Schießplatz bei Briesen schoß die Gruppe, so jedenfalls erzählte es ein Ex-Stasi-Mitarbeiter den Karlsruher Ermittlern, auf die Fahrgastzelle eines Mercedes, in dem sich ein Schäferhund und mit Sägespänen gefüllte Puppen befanden. „Der Schäferhund“, heißt es lapidar in der Erklärung der Bundesanwaltschaft, „wurde bei dem Übungsschießen getötet.“ Außerdem sei die Besuchergruppe im Umgang mit Sprengstoff unterwiesen worden. Wenige Monate später griff die RAF den US-General Kroesen mit einer Panzerfaust an und sprengte in der US- Air-Base in Ramstein ein abgestelltes Fahrzeug in die Luft. Der Anschlag auf Kroesen brachte Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt eine lebenslange Freiheitsstrafe ein. Für das Attentat in Ramstein, bei dem 17 Personen schwer verletzt wurden, sitzt Helmut Pohl lebenslang in Haft.

Gestern wurden die fünf am Vortag verhafteten Stasi- Mitarbeiter dem Haftrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft wies unterdessen Vorwürfe zurück, seine Behörde habe sich erst zur Verhaftung der Stasi-Mitarbeiter entschlossen, als der Monitor-Bericht angekündigt war. Tatsächlich hätten „ermittlungstaktische Gründe“ der Vollstreckung des bereits vom 18. März stammenden Haftbefehls entgegengestanden. Auf erste Hinweise auf die RAF-Stasi- Connection sei die Bundesanwaltschaft im übrigen in den Akten der HA XXII gestoßen. Darunter ein regelrechter Ausbildungsplan für Waffenübungen von Christian Klar und anderen.

Die RAF als Fünfte Kolonne Ostberlins gegen die Nato

Nach Informationen der taz haben die bundesdeutschen Ermittler die Aussagebereitschaft mindestens eines der damals beteiligten Stasi-Mitarbeiter mit einem kleinen Trick beflügelt. Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verjähre nach fünf Jahren, wurde dem Mann erzählt. Der Haftbefehl allerdings lautet auf Beihilfe zum Mordversuch. Dieser Straftatbestand verjährt erst nach zehn Jahren.

Warum die DDR die Anfang der achtziger Jahre relativ desorientierte und auf zwei Handvoll Mitglieder geschrumpfte West-Guerilla überhaupt in ihre Arme schloß, blieb gestern weitgehend im Dunkeln. Es war die Zeit der großen Friedensdemonstrationen. Und es war die Zeit, in der die RAF sich im wahrsten Sinne des Wortes auf den militärisch-industriellen Komplex, insbesondere die Nato „einschoß“: Haig, Kroesen, Ramstein lautete die Anschlagsbilanz. Das muß Mielke, Neiber und Co. überzeugt haben. Deren Nato-Paranoia, meinte gestern ein indirekt Beteiligter, habe damals manische Züge angenommen. Die RAF als fünfte Kolonne Ostberlins gegen die Nato.