Telekom-Service, bitte warten!

Keine Experimente! Keine Aprilscherze!/ Zum Vollzug der Deutschen Gebühren-Einheit am 1. April1 (Laudatio)  ■ Von Dietmar Hochmuth

Einer der namentlichen Nutznießer von friedlicher Revolution und deutscher Wiedervereignung ist die Post. Nur unter den Bedingungen dieses ach so rasanten Prozesses glückte ihr ein erstaunlicher Rekord: die Schere zwischen steigenden Gebühren und sinkendem Service auf die Spitze zu treiben. Ein Rekord, der staatlich sanktioniert zustande kam, unter Ausschluß des Hauptgeschenks für den ostrevolutionären Beitritt: des Marktes. Nun wäre schlicht gelogen, die DDR-Vergangenheit nostalgisch als postmodern zu verklären, aber wahr wiederum ist: so viel, wie dieser Tage schief geht, konnte gar nicht so lange schief gehen. Was der Kunde seit einem Jahr erlebt, grenzt an eine Verposthornung...

Es begann mit dem Telefon: Im Gegenzug für die DM-Umstellung der Ostsparbücher (2:1) wurden die Grundgebühren im Verhältnis 1:3 umgestellt, der dafür gebotene Service sank unter Null. Während man schon früher von Ost nach West nie leicht telefonieren konnte, weil bekanntlich zu viele Ohren, zumal im Schichtdienst, zwischengeschaltet waren, ging nun — das soll mir mal einer erklären — auch innerhalb der eigenen halben Stadt nichts mehr. Und sogar eine geglückte, früher alltägliche Telefonverbindung (etwa nach Babelsberg) wurde zur Rarität. Man mußte nun mehrmals gebührenintensiv anwählen, bis sich am anderen Ende der gewünschte Teilnehmer meldete. Auch nach Moskau konnte man für Ostmark leichter telefonieren — abgesehen von Parteitagen, bitteschön gleich. Heute kostet eine Minute aus Westberlin zehn Einheiten (2,30 DM), aus dem Ostteil 5,10. Dafür also waren wir nun vierzig Jahre lang der kleine Bruder! Aber ein Trost: Es klappt aus beiden Stadthälften nicht. Auch hier lohnt sich mehrmaliges Anwählen, falsch verbunden, wohlgemerkt für Telekom. Um den Währungsschnitt herum wurden freilich auch die Altlasten, sprich, die Telefonrechnungen, ungebührlich hinausgezögert, angeblich unter Berücksichtigung eines Umrechnungsfaktors, aber wer das glaubt, der wird wohl eher selig. So holt sich die Post erst das Geld, um dann irgendwann, in ferner lichter Zukunft, den Service nachzureichen, sozusagen als nichtrückzahlbaren Kredit. Ein fabelhafter Anreiz für den Einstieg in die Gerechtigkeit des Marktes. Aber wenn Ostler eins gewöhnt sind, dann das Warten auf die lichte Zukunft. Nur mußten sie noch nie so hart vorab dafür bezahlen. Wem heute in Ostberlin ein Anschluß kaputt geht, der kann auf unseren Mitarbeiter von Telekom warten, bis er schwarz(Schilling?) wird. Im Hörer einer Zelle oder beim Nachbarn läuft dann die Schleife „Telekom-Service, bitte warten!“ eine gute halbe Stunde lang, bevor sich die streikgestreßte „Christel von der Post“ meldet. Auf den Reparaturtermin wartet man dann keine zehn Tage, sondern neun, in meinem Fall für zweihundert Schritte zwischen Telegrafenamt und gestörtem Anschluß. Der Grund: das Abwandern von Arbeitskräften in den Westteil der Stadt, wo, postmodernes Kunststück, bei gleichen Gebühren mehr bezahlt wird. Damit das dem Kunden aber nicht auffällt, wird gleich mal eine Karte mit dem Motto „Wir für Sie!“ in den Briefkasten gesteckt: Unser Fachmann hat sie leider nicht angetroffen...“ — ob jemand zu Hause war oder nicht, „Rufen Sie bitte zurück“... Ja, womit denn bitte? Das große Los haben die Inhaber eines Doppelanschlusses gezogen: Sie zahlen noch heute in Umkehrung mancher Werbeslogans für ein halbes Telefon den ganzen Preis, obwohl schon lange Abhilfe versprochen wird. Auch ist das bisher im Osten staatlich monopolisierte Abhören nun privatisiert: man führt kaum ein Telefonat ohne den Rundspruch-Verbund mit anderen ungefragten Telekom-Kunden. Und alle munteren Anzeigen, vonwegen „Der Pieper“ und „Cityruf“, lesen sich in den Ostzeitungen da eher wie ein Hohn, denn Abhilfe wird auf andere Weise geschaffen: Die Neuprivilegierten, sprich, die besonders d(r)inglichen Kunden wie Banken, Versicherungen, Reisebüros etc. bekommen die begehrten Westleitungen gelegt, sonst haben ihre Kopierer bald die Faxen dicke... Wer also nicht zum Freundeskreis Schwarz- Schilling geht, der kann auf den Telekommunismus noch lange warten.

Vorwärts zum Telekommunismus

Auch nicht gerade Eitel-Sonnenschein, sondern eine separate Katastrophe ist die Zeitungszustellung, bisher Monopol der DDR-Post. Vor Jahresfrist bekam ein Kunde nicht selten die Nachricht, daß „ab sofort durch Wegfall der Subventionen“ der Abo-Preis um ein vielfaches erhöht werden muß. Falls Abbestellung — bitte bis zum 10. des Monats. Da dachte man schon: Oho, Service! Aber nur bis zum Blick auf den Poststempel: 20., so daß die Kündigung zum nächsten Monat unmöglich war und zusätzlich Freude aufkam, wenn es sich um einen Vierteljahres-Abbestellrhythmus handelte, während der Gebühreneinzug unbeirrbar ans Konto angedockt blieb. Erst recht überfordert war der PZV bei einer Fusion von zwei Redaktionen: 'Volkszeitung‘ und 'Sonntag‘ taten sich zusammen, damit wir monatelang den daraus hervorgegangenen Zwitter 'Freitag‘ in nun drei Exemplaren bekamen. Denkbar schwer taten sich auch die immer noch gemütlich Kaffee schlürfenden und dabei (ihrer Arbeit) nicht gestört werden wollenden Ostpostler mit den Titeln nicht ganz so populistischer Zeitungen. Noch bis Januar bekam ich beim Reklamieren unregelmäßiger Auslieferung zu hören: „Tageszeitung? Sie müssen schon sagen, welche.“ (Dann Telefonat „mit oben“: „Erna, hier steht 'n Kunde und macht Terror wegen die 'taz‘', hähäh..“

„Angeschissene Kunden“

Wahrscheinlich nur mit der „Stillen Post“ hat sich sowas wie die neue Sorge um den Job herumgesprochen, denn man betritt mitunter öde Hallen, in denen die alte DDR-Gemütlichkeit am Arbeitsplatz konserviert scheint wie in einem Freilandmuseum ausgestorbener Kleinvölker. Auch die alte Frechheit steigt hier regelmäßig wie Phönix aus der Asche: Eine Zwischenchefin drohte kürzlich mit dem Schlüssel, entsetzt zu ihrem Kollegen: „Schon zehn vor halb zwölf (Schließung, samstags), und immer noch kommen Kunden angeschissen.“ Angeschissen kamen sie, weil sie dringende Abholbenachrichtigungen erwarteten, die aber erst lange nach Ultimo oder, im Härtefall, auch erst am Montagfrüh im Kasten hatten, freilich mit überkritzeltem Benachrichtigungsdatum. Als sich Berlin vergrößerte, gab es mitunter nur noch, auch Zeitungen, einmal in der Woche Post. Kommentar des Briefträgers: „Det is mir jetzt allet zuville, man will ja schließlich ooch wat davon haben...“ Er meinte schlicht die Revolution.

Der goldene Schnitt

Zum 1.Juli wurde auch das Briefporto empfindlich erhöht, ebenfalls im Verhältnis 1:3, zunächst aber waren wenigstens die alten Marken noch gültig, versprochenermaßen bis Ende November, so daß Bevorratung angesagt war, bis diese Zusage quasi die Nacht der deutschen Einheit am 3.10. nicht überlebte. Von nun war nämlich auch die Deutsche Post bei- und deren Hoheit abgetreten. Wie hätte man es auch ertragen, Briefe zu befördern, auf deren Marken ein Land geschrieben stand, das von nun an mit ehemalig umschrieben wird, das es eigentlich nie gab...! Mit diesem Datum setzte auch die Debatte darüber ein, daß eine Angleichung der Portogebühren schon deshalb nötig sei, weil am Ost-West- Gefälle so mancher neuer Bundesbürger seinen letzten Schnitt zu machen suchte — „Übernehme Postversand, auch im großen Rahmen“ — und Westfirmen für ihre Drucksacken (Lotto, Butterfahrtkommandos, Versandhäuser) etc. die Einsteckschlitze ostdeutscher Briefkästen mißbrauchten. (Dagegen verlangt jedermann, der eilige Post von mir erwartet, ob in Hamburg, Mainz oder L.A.: „Steck's bloß am Bahnhof Zoo ein!“) Erstens, habe ich nie einen solchen Stempel auf derartigen Sendungen entdeckt, und zweitens, wäre es ein Leichtes gewesen, vor der Angleichung von Lebensverhältnissen und Postgebühren eine Regelung einzuführen, daß Absender mit Absendungsort identisch zu sein hat, sonst keine Beförderung — nur der verkohlte Ostkunde hört seit einem Jahr das rabiate „Basta!“. Indes schleicht nun ein Eilbrief innerhalb von Ganzberlin nach wie vor fünf Tage lang über eine Distanz, für die Radfahrer 20 Minuten brauchen. Einschreiben geistern von München nach Berlin geschlagene 10 Tage, so daß Flugtickets erst nach Abflugdatum eintreffen. Erst mal sehen, was Quelle hat... Der Versand von Ost nach West ist noch unzuverlässiger. Vor allem, weil die Einbahnstraße durch Quelle-Klingel-Otto-Necker- und-Bertelsmann-Pakete verstopft ist, aber nicht nur sie, auch die Abholschalter sind es, und zwar nicht mehr nur, wie früher zu Ostern und Weihnachten (damals noch von den Verwandten): Hier gibt es heute jeden Tag Westpakete, und manchmal steht man, immer wieder den neuen Gebührenaushang lesend, ganze 20 Minuten nach einem Streifband an, weil die agile „Christel von der Post“ neuerdings ganze TV-Sets wuchten muß und so mancher ungläubiger Ostler erst kontrollieren muß, ob die versprochene kompakte Kaffeefahrtausbeute oder eine Gardinenstange in rosa auch wirklich in dem Paket ist. (Ja, aber zusammengelegt!) Und anstehen muß man, weil dicke Zeitungen oder Zeitschriften nicht mehr unzerknüllt in den Kasten passen. Und größere Kästen gibt es nicht bzw. dürfen nicht angebracht werden, weil im Hausflur nichts verändert werden darf, weil die Eigentumsfrage ungeklärt ist, weil, weil, weil... Und weil das alles so ist, hat der Postminister sich ein Herz für Ostler gefaßt und überreicht zum 1. April, dem Tag, an dem die temporeiche deutsche Einheit auf dem Gebiet der Post endlich mit der Gebührenangleichung erfolgreich abgeschlossen wird, jedem erwachsenen Postkunden im „nahen Osten“ ein Briefmarkengeschenk für zehn Mark, „weil“ er errechnen ließ, mehr schreibe der postmoderne Mensch pro Jahr sowieso nicht. So daß bis zum endgültigen Sieg — nicht des Sozialismus, sondern nun des Aufschwungs Ost — gilt: Bitte frankieren, falls Marke zur Hand!

1Terminüberschneidungen mit einem närrischen Brauch sind rein zufällig und, ebenso wie andere Ähnlichkeiten, unbeabsichtigt.