Hier liegen Sie richtig!

■ Fahrradfahren gehört in der Regel zu den anstrengenden Sportarten: Mit gekrümmtem Rücken strampelt man sich durch den Stadtverekhr und kommt dabei ordentlich aus der Puste...

Fahrradfahren gehört in der Regel zu den anstrengenden Sportarten: Mit gekrümmtem Rücken strampelt man sich durch den Stadtverkehr und kommt dabei ordentlich aus der Puste. Es geht aber auch anders. Im Liegerad läßt es sich in entspannter Haltung bequem vorwärtskommen.

VON CHRISTINE BERGER

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as gibt es Schöneres als Tretbootfahren? Man lungert faul in seinem Sitz, bewegt ein bißchen die Beine, füttert die Enten und wundert sich, daß die Wassernudel mit dem bißchen Pedalkraft so fix über den Teich tändelt. Einziges Handicap: Das Tretboot braucht Wasser und ist allenfalls in Venedig für den Nahverkehr geeignet. Die Pedalyacht bleibt ein bloßer Freizeitspaß. — Wären da nicht die unermüdlichen Tüftler mit ihren revolutionären Fortbewegungsinnovationen. Ein Tretboot für Landratten, daran erinnert der neue, alte Schrei auf dem Fahrradmarkt: das Liegefahrrad. Es ist nicht länger als ein herkömmlicher Drahtesel, verfügt über zwei winzige Räder, Marke Klapprad, und eine Art Regiestuhl, der mit weicher Lehne die haltungsgeschädigten Rückenwirbel verwöhnt. Die Pedale sind nur in halber Liegestellung zu erreichen, ein Chopperlenker hält die Verbindung zum Vorderrad aufrecht. Kaum zu glauben, daß sich so etwas treten läßt.

Als ich zum ersten Mal meine kostbaren Knochen diesem ungewohnten Zweirad anvertraute, war ich zunächst einmal froh, daß ein eventueller Sturz mit diesem Gefährt nicht allzu tief ausfallen würde. Knapp einen halben Meter über dem Asphalt bläst mir der Fahrtwind und die Auspuffgase der Autos entgegen. Vorsichtig trete ich in die Pedale, lehne mich behutsam gegen die Rückenpolsterung und erwarte jeden Moment nichts anderes als eine technische Katastrophe. Doch weit gefehlt. Blicke der Bewunderung begleiten meinen Weg über den Berliner Straßenbelag. Autofahrer schleichen langsam an mir vorbei, Passanten recken die Hälse, und Schäferhunde kläffen mich ob meiner kötergroßen Körperhaltung schwanzwedelnd an. Ich beginne die Fahrt zu genießen. Locker trete ich in die Pedale, halte lässig den Chopper-Lenker in den Händen und aale mich in der allgemeinen Bewunderung. Eine Polizeistreife, die gerade ein sonniges Schwätzchen im Freien hält und ihrer Wanne den Rücken kehrt, zeigt ebenfalls verhaltenes Wohlwollen. „Licht ist dran, Bremsen sind dran. Gegen dieses Modell haben wir nüscht“, erklärt ein Vertreter der Ordnungsfraktion. Sein Kollege zeigt sich da kritischer: „Das Fahrrad ist so überhaupt nicht zugelassen“, erklärt er mit wichtiger Miene. Erstaunt frage ich nach dem Grund seiner Skepsis. Antwort: „Die gelben Reflektoren für die Räder vorn und hinten fehlen.“ Na so was. Als Ausgleich für solchen Frevel lade ich die Herrschaften zu einer Probefahrt ein. Die Polizisten lehnen dankend ab. Von Urvertrauen in die Technik ist bei ihnen nichts zu spüren.

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urze Zeit später flitzt ein forscher Fahrradkurier an mir vorbei. Ob er seine Botendienste auch im Liegen erledigen könnte? „Nee, garantiert nicht.“ Und in einem Atemzug betet er eine ganze Liste passabler Gründe gegen meinen Göppel herunter. „So'n Fahrrad wäre viel zu schwer und viel zu lang für mich“, nörgelt er. Er nehme sein Rad grundsätzlich überallhin mit, und „das da paßt doch in keinen Aufzug“. Doch da muß ich dem Profi-Radler widersprechen. Mein Liegefahrrad ist mit seinen 180 Zentimetern um keinen Deut länger als sein Normalmodell. Und das Gewicht von 16 Kilo bringt noch jedes x-beliebige Tourenrad auf die Waage. Der rasende Radelbote läßt sich dennoch nicht beeindrucken. „Zu niedrig“, kritisiert er meine Fahrerfigur. Im Liegen habe man doch keinen Überblick. Aber gerade der sei in seinem Job besonders wichtig. Und gleich darauf flitzt er wie ein geölter Blitz durch den Verkehr davon, als wolle er mir demonstrieren, daß für besagten Überblick nur das verkrampfte Hängen über dem Lenker in Frage kommt.

Nicht unbedingt die eigene Rundumsicht, wohl aber die Ignoranz der motorisierten Kraftfahrer bereitet mir existentielle Probleme. Sie stoßen einfach die Tür ihres Vehikels vor meiner Nase auf, Busse drängen mich an den Straßenrand. Sogar etliche Fahrradfahrer schneiden beim Überholen frech meine Spur. Als Winzling im Verkehrsgewühl hätte ich große Lust, einen neonfarbenen Gasballon oder eine Friedensfahne steigen zu lassen, um nicht endgültig von den „Großen“ plattgewalzt zu werden. Resultat: Ich flüchte mich auf das Trottoir und mache tretenderweise einen Schaufensterbummel. Die Auslagen der Geschäfte liegen ideal in Augenhöhe. Will ich mich etwas länger an den Ausstellungsobjekten weiden, brauche ich nur die Füße auf den Boden gleiten zu lassen, um mir im Sitzen die Nase am Schaufenster plattzudrücken. Die Passanten sind erstaunlich wohlgesinnt, trotz der kriminellen Energie, die ansonsten unter ihresgleichen frei wird, wenn sich ein Zweirad auf das geheiligte Fußgängerpflaster wagt. Vielleicht liegt der Grund auch darin, daß ich ihnen auf meinem Fahrrad quasi zu Füßen liege und respektvoll zu ihnen aufschauen muß. Wer würde das nicht genießen? Einige Zweibeiner lassen sich sogar herab und wollen sich mit mir unterhalten. Sie schmeicheln mir, indem sie die Konstruktion meines Drahtesels loben, puffen am Stahlgestänge herum und geben ihre velophilen Erfahrungen preis. „Ich bin eigentlich Autofahrer, aber so etwas würde mir schon gefallen“, meint ein männliches Dickerchen. Er habe sich letzten Sommer ein Mountain Bike zugelegt. Das steht seitdem im Keller [schade, ich kann ja mal meine adresse bekanntgeben, d. s-in]. „Fahrradfahren bei dem Verkehr, das ist ja nichts“, erklärt er mit fachmännischem Blick auf den Stau, der sich an uns vorbeischleicht. „Lieber so etwas wie Ihr Rad da und dann auf dem Gehweg fahren“, philosphiert er weiter über den radlerfreundlichen Nahverkehr. Öffentlich geäußert würden ihn die Fußgänger dafür wahrscheinlich mit ihren Spazierstöcken aufspießen.

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in Fahrradhändler, dessen Rennräder ich im Vorbeifahren im Schaufenster bestaune, kommt gleich vor die Tür gestürmt. „Das ist ja etwas ganz Besonderes“, erklärt er fachmännisch und läuft einmal um meinen fahrbaren Liegestuhl. Ob er so etwas verkaufen würde? „Bestimmt nicht“, schüttelt er entschieden den Kopf. „Das ist zu exotisch, das kauft keiner“, ist er sich sicher. „Das kostet mindestens über 2.000 Mark im Verkauf, und für den Preis ist es nicht perfekt genug.“ Zu hecklastig, Schwierigkeiten mit der Gangschaltung, zu wenig Design, kritisiert er das ergonomische Vehikel.

Recht hat er. Nach dreistündiger Radtour in der Horizontalen sind auch mir einige dieser Mängel aufgefallen. Beim Preis des Radls hat der schlaue Fahrradhändler aber zu weit nach oben gegriffen. Schlappe 700 Mark kostet es. Das ist der momentane Werbepreis der Berliner Erfinderwerkstatt, die Liege- und Sesselfahrräder konstruiert und auch verkauft. Fazit: Nur Tretbootfahren ist billiger!