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Ein Wirtschaftsministerium in der Probezeit

190 neueingestellte Bürokraten basteln an der Infrastruktur für den Wirtschaftsaufschwung in Mecklenburg-Vorpommern  ■ Aus Schwerin Donata Riedel

Pechrabenschwarz — so, wie ein unbekannter Schüler sich die Zukunft ausmalte, strich er auch die Wände seines Zimmers im Internat. In Weiß sprühte er darüber: „Schocktherapy“. Das schwarze Zimmer mit Aussicht auf den Faulsee liegt ganz hinten in der dritten Etage des wuchtigen Schweriner ZK-Gebäudes. Früher war dort das Parteiinstitut für landwirtschaftliche Kader untergebracht. Heute residiert hier das Wirtschaftsministerium des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Vom Erdgeschoß aus hat inzwischen weißgestrichene Rauhfaser die ersten beiden Etagen erobert und die realsozialistische Blümchentapete in die dritte zurückgedrängt. Noch im Frühling sollen sich auch die letzten Internatsschlafkammern in helle Büros verwandeln.

Den Wechsel zur Marktwirtschaft haben auch etliche der ostdeutschen Ministeriumsbediensteten zunächst als Schock erlebt, für dessen Behandlung die Therapie wohl noch erfunden werden muß. „Wir dachten, daß die Bürokratie mit der Wiedervereinigung weg ist“, sagt Marlies Müller (34) in der ebenfalls weiß getünchten Presseabteilung. „Stattdessen haben wir jetzt fast schon mehr Bürokratie als vorher.“ Die Frau aus der ehemaligen DDR-Bezirksverwaltung Rostock findet die Westbürokratie „schon überorganisiert“; auch wenn die formalen Hierarchien bislang noch nicht zu dem formellen Umgang zwischen Oben und Unten geführt haben, wie er in vergleichbaren Institutionen im Westen herrscht. Denn Westler und Ostler haben eine Gemeinsamkeit im Wirtschaftsministerium: Fast alle haben am 1. Januar neu angefangen und befinden sich noch in der Probezeit.

Die wenigen „Alten“, die schon im November 1990 mit dem Aufbau der neuen Wirtschaftsverwaltungsstrukturen begonnen haben, leiden an der Unübersichtlichkeit. „Viele sagen: ,Als wir hier mit 20 Leuten arbeiteten, hat's gut funktioniert‘“, schildert der aus Hannover importierte Pressestellenleiter Gläss (41) die Koordinationsprobleme, die durch die gleichzeitige Besetzung von 150 neuen Stellen entstanden sind. „Die Leute müssen hier jetzt erstmal die Dienstwege lernen.“ Und das dürfte nur den knapp zwanzig WestjuristInnen keine Probleme bereiten, mit denen die Hälfte der Referatsleiterposten besetzt wurde.

Bis zum Ausbau der dritten Etage des klotzigen SED-Bauwerks sitzen die neuen BürokratInnen eher unorganisiert als überorganisiert in den Büros mit den funktionalen Schreibtischen in schlichtem Grau. „Zum Glück sind die Kammern oben 8,7 Quadratmeter groß“, sagt Christian Becker, der die Aus- und Umbauarbeiten organisiert. Er findet das Internatsgebäude „eigentlich völlig ungeeignet“ für Ministeriumszwecke. „Als wir das Haus bekamen, gab's hier noch nicht mal ein Telefon.“ Für die 8,7-Quadratmeter-Enge unter der Dachschräge entschädigt zumindest der malerische Blick aus dem Fenster auf den See.

Während das Ministerium sich noch selbst aufbaut, sollen die jetzt 170 Männer und Frauen — zwanzig Stellen sind noch nicht besetzt — gleichzeitig die Wirtschaft des nordöstlichen Bundeslandes möglichst kräftig ankurbeln. Nach Abteilungen sind sie zuständig für

Wirtschafts- und Strukturpolitik;

Gewerbe, Handel und Tourismus;

Industrie-, Technologie- und Energiepolitik;

küstennahe Wirtschaft und Kooperation mit der Treuhand;

Verkehr und Straßenbau sowie

Städtebau und Raumordnung.

Also für so ziemlich alle planerischen Grundentscheidungen, die in den nächsten Jahren in dem 1,96 Millionen Einwohner zählenden Land getroffen werden müssen.

Nach den Vorgaben des FDP-Ministers Conrad-Michael Lehment (46) soll das Wirtschaftsministerium „keine Wessi-Verwaltung, keine jugendliche Verwaltung und keine reine Männerverwaltung“ werden. Bis auf fünf der sechs Abteilungsleiter und die Hälfte der ReferatsleiterInnen sind alle Beschäftigten ehemalige DDR-BürgerInnen.

Wer ist ein Wessi, wer ein Wossi?

„Und der Minister achtet schon sehr darauf, daß die Wessis sich hier auch einlassen“, sagt der Rostocker Frank Mecklenburg, dessen Aufgabe es ist, der Treuhandanstalt regionales Verantwortungsbewußtsein beizubringen. „Wir grenzen hier schon klar ab zwischen Besserwessis und Wossis, also denen, die schon auf dem Weg zum Ossi sind“, ergänzt der bärtige 29jährige, der zu alten DDR-Zeiten in seiner Freizeit politisches Kabarett gemacht hat. Ganz klar als Wossi wird der Leiter der Zentralabteilung, die für den Aufbau der internen Strukturen zuständig ist, verehrt. Thilo Schelling (44), zuvor leitender Beamter im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium, war nach der Grenzöffnung zunächst als Berater in den Nordosten geschickt worden. Wie alle Westler aus dem neuen Landesministerium pendelt auch er „wegen der Familie“ am Wochenende nach Köln — wo er dann Frau und 13jährige Tochter zum Umzug nach Schwerin zu überreden versucht. Ähnlich im Spagat lebt auch Pressesprecher Bernhard Gläss, der nach dem Erziehungsurlaub den Job in Schwerin antrat. Seine Freundin ist Ärztin in Frankfurt.

Unter der Woche ist der Arbeitsplatz das Zuhause für Schelling. Sein Büro liegt in der zweiten Etage — genau in der Mitte zwischen der mit Parkett ausgelegten ersten des Ministers und der Noch-Linoleum-Etage mit dem typisch demokratisch-deutschen Desinfektionsgeruch. Vor der Wand mit Fotos, die ihn und seine Tochter im Jahresabstand beim Kölner Karneval zeigen, berichtet der mächtigste Beamte des Ministeriums bei einer Tasse Tee über die selbstgewählte Lebensaufgabe: In einem neuen Bundesland mit unfertigen Verwaltungsstrukturen, unfertigen politischen Parteien und mit 170 halb eingearbeiteten Leuten vor allem neue Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft zu schaffen.

Die Werften an der Küste brechen zusammen, die Landwirtschaft in Vorpommern hat große Probleme — und „dazwischen gibt's hier nichts. Keinen Mittelstand, kein Dienstleistungsgewerbe“, beschreibt Schelling die Strukturschwäche. Als einzig größere Firma hat bislang Siemens in Mecklenburg-Vorpommern in rund 4.500 Arbeitsplätze investiert. Und das, meint Pressesprecher Gläss, sei vor allem psychologisch wichtig. Damit die Menschen sehen würden, daß wenigstens irgendwo etwas Neues entstehe.

Gegen die Strukturschwäche will das Ministerium vor allem mit Wirtschaftsförderprogrammen vorgehen. Im April soll eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes gegründet werden, die eng mit den Kommunen zusammenarbeiten soll. Das neue Geld vom Bund wird möglichst schnell an die Gemeinden weitergeleitet, damit diese die Infrastruktur für ansiedlungswillige Unternehmen schaffen können. Fördern will das Ministerium vor allem

Ausbildungsplätze für die vielen Konkurslehrlinge, die in Mecklenburg-Vorpommern nach der Pleite ihres Ausbildungsbetriebes auf der Straße stehen;

Existenzgründungen im Bereich Handwerk und Mittelstand, auch in Form von Bürgschaften für kapitalschwache Möchtegern-UnternehmerInnen;

den Tourismus an der Küste und der Mecklenburgischen Seenplatte;

eine rationellere Nutzung der Energie und

die Verkehrsinfrastruktur: Straßen, Regionalflughäfen sowie eine Intercity-Strecke nach Stettin.

„Ich persönlich bin auch sehr für ein Radwegenetz durch die Seenplatte“, sagt Schelling. „Nur die Ossis hier sagen dazu immer: ‘Jetzt spinnt der aber'“. Sein Minister sieht als dringlichstes Projekt eine neue West- Ost-Autobahn, die zwischen Küste und Mecklenburgischer Seenplatte Richtung Stettin führen und das noch sehr ländliche Vorpommern erschließen soll. Für die „Abkürzung des Planverfahrens“ würde Lehment am liebsten die „zeitaufwendige Bürgerbeteiligung“ abschaffen. „Dabei geht es doch gar nicht um Macht, sondern nur darum, die Menschen schnell anzubinden“, meint der Ost- Minister.

Zur zweiten heiklen Frage, dem AKW-Standort Greifswald, ist dem Verwaltungsprofi Schelling auch nichts weiter zu entlocken als die ministeriale Sprachregelung, daß dieser Energiestandort mit den derzeit noch 20.000 Arbeitsplätzen erhalten bleiben soll. Mit welchen Energieträgern, das müsse dann noch entschieden werden.

Die andere Mentalität der KollegInnen mit DDR-Vergangenheit machts es dem Rheinländer nicht nur in punkto Radwegenetz schwer: „Wenn ich meine Mitarbeiter mal bitte, ein Redemanuskript gegenzulesen und mir ehrlich zu sagen, wie sie's finden, tun sie das einfach nicht, weil ich der Chef bin“, beklagt er die Vorsicht der Ost-Menschen im Arbeitsalltag. Daß an vielen Stellen möglicherweise ein Wessi schneller und effizienter arbeiten würde, findet der Personalchef eher zu kurzfristig gedacht. „In den ersten zwei Jahren mag das vielfach so sein. Aber wenn die Ostkollegen sich erstmal richtig eingewöhnt haben, ist es ihr Vorteil, daß sie sich im Lande auskennen.“

Am allerunangenehmsten findet der Wossi die vielen Pensionäre aus der Wirtschaft, die großspurig hereinspaziert kämen. „Die verlangen zuerst mal einen Dienstwagen und eine Sekretärin. Und wovon, bitte, soll ich das hier bezahlen?“ Aus Kostengründen läßt sich das Wirtschaftsministerium gar die Einweihungsfeier der frischgestrichenen Räume von einer örtlichen Brauerei und einer Sektkellerei sponsern.

Doch selbst wenn Ostminister Lehment lieber mehr Verwaltungsprofis aus den Westministerien abwerben wollte — es nützte ihm nichts. Die Arbeits- und Lebensbedingungen locken kaum jemanden mit mehrjähriger Berufserfahrung vom sicheren Westjob in den Osten. Wohnungen sind in Schwerin noch knapper als in westdeutschen Großstädten, das Leben in der schmucken Altstadt ist eher ländlich-provinziell. Idealismus, meint Schelling, gehöre für die Westumsiedler schon dazu, und den habe nun mal nicht jeder. „Wenn du eine hilfreiche Hand suchst“, so der Sinnspruch in Thilo Schellings Büro, „suche sie am unteren Ende deines rechten Armes.“

Manchmal allerdings beschleicht selbst die Wossis das unangenehme Gefühl, „hier so eine Art Kolonialherren“ (Gläss) zu sein — auch weil sie für die gleiche Arbeit deutlich mehr bezahlt bekommen als die KollegInnen mit ostdeutscher Herkunft. Was wohl langfristig auch im Ministerium zu Konflikten führen wird. Jedenfalls dann, wenn es nicht gelingt, nach dem Schock des abrupten Übergangs die kranke Wirtschaft zu therapieren. Im Sommer wird auch das schwarze Zimmer im dritten Stock des Ministeriums strahlend weiß gestrichen sein. Die Aussichten der Arbeitslosen in Mecklenburg- Vorpommern jedoch bleiben auch weiterhin düster.

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