Ostersuche nach dem „Aufschwung Ost“

■ Bevor die Bonner Prominenz in die Osterferien ging, hatte sie noch was zur Misere im Osten zu sagen/ Während der Parteienstreit weitergeht, steigen die Arbeitslosenzahlen in den FNL weiter

Bonn (dpa/taz) — Was machen Politiker, wenn ihnen Probleme über den Kopf wachsen und wenn wöchentlich Tausende Demonstranten sie daran hindern, den Kopf in den Sand zu stecken? In diesem Monat sind im Osten weitere 30.000 Menschen arbeitslos geworden. Doch in Bonn wurde vor dem Osterwochenende unverfroren weiteroptimistelt (Kohl), Verständnis mit den Betroffenen zelebriert (Genscher), alles auf zuviel (Lambsdorff) oder zuwenig (Geissler) Propaganda geschoben oder die Misere zur parteipolitischen Profilierung genutzt (Engholm).

In einem Interview des österreichischen Fernsehens am Mittwoch gab der Bundeskanzler zwar zu, daß die Probleme der deutschen Einheit in einigen Bereichen unterschätzt wurden: „Ich hatte keine Ahnung über das wirkliche Ausmaß der ökonomischen Katastrophe.“ Gleichzeitig gab er sich aber als der alte Macher und wiederholte seinen Wahlkampfslogan, daß „in drei, vier oder fünf Jahren“ die Lebensbedingungen im Westen und Osten einander angeglichen wären. „Ich versichere Ihnen, daß wir es schaffen werden.“

Sein Außenminister gab sich solidarisch mit den Ostdeutschen: „Wer den Menschen in den neuen Bundesländern Mangel an Aufbauwillen oder Umschulungsbereitschaft vorwirft, handelt unverantwortlich und beleidigend.“ In der 'Nordsee-Zeitung‘ von heute wünscht sich Genscher eine „Vertrauensoffensive“ für die FNL. Wie schon die IG-Metall und das Bündnis 90 fordert er, daß Ostunternehmen, die sanierungsfähig seien, auch saniert werden müßten — selbst wenn ein neuer Investor nicht sofort in Sicht sei.

Sein Parteichef Lambsdorff hingegen will keine Priorität bei Sanierungen sehen. Das werde völlig unbezahlbar. So entstünden nur subventionierte Arbeitsplätze, die sich auf Dauer nicht halten ließen. Die Bundesregierung hat nach Meinung des Grafen gar keine Verantwortung für die Misere. Mitschuld trage aber das „Gerede über Katastrophen und Krisen“, behauptete er gestern. Das mache die Lösung der Probleme im Osten nur noch schwerer.

Auch der stellvertretende CDU/ CSU-Fraktionschef Geissler sieht das Problem eher in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Regierung müsse den Menschen ihre Politik „besser erklären“, vertraute Geissler der 'Westfälischen Rundschau‘ an. Die Menschen, „müssen den Sinn der Politik verstehen, und sie müssen überzeugt sein, daß es einigermaßen gerecht zugeht. Was wir machen, ist sinnvoll. Aber man muß es den Menschen sagen.“

Der künftige SPD-Vorsitzende Engholm wies die Koalition erneut darauf hin, daß sie die Rechnung besser mit den Sozialdemokraten gemacht hätte. Sie handele egoistisch nach parteilichem Kalkül und habe an die Fehleinschätzung geglaubt, die deutsche Einheit allein zu schaffen, sagte er gestern den 'Westfälischen Nachrichten‘. Und, nicht faul, sprach er auch noch mit dem 'Handelsblatt‘ und verkündete da, daß er mit weiteren Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit rechne. SPD-Chef Vogel hatte dann auch eine Idee: Für den dringend notwendigen Verwaltungsaufbau im Osten will er Beamte notfalls auch zwangsweise verschicken. bam