Der Bauernsohn aus Kirchhatten

■ Geboren bei Oldenburg: der Verleger Peter Suhrkamp. Über eine Ausstellung zur Feier seines 100. Geburtstages

“Ich habe mein Leben in verschiedenen Figuren gelebt.“ Das sagte der Frankfurter Verleger Peter Suhrkamp 1957, zwei Jahre vor seinem Tod, über sich selbst. Zu seinem 100. Geburtstag eröffnete die Universität Oldenburg letzte Woche eine Ausstellung über seine facettenreiche Biographie, die in Kirchhatten bei Oldenburg beginnt. Peter Suhrkamp wurde als Bauernsohn ebendort geboren. Die taz sprach mit dem Oldenburger Germanistik-Professor Dirk Grathoff, der gemeinsam mit der Germanistin Eva Schreiber die Ausstellung zusammengetragen hat.

taz: Kaum jemand hier in der Gegend weiß, daß Peter Suhrkamp aus dem Oldenburgischen kommt.

Grathoff: Suhrkamp ist erst sehr spät Verleger geworden. Er war Bauer und sollte als Erstgeborener den elterlichen Hof in Kirchhatten übernehmen. Er weigerte sich aber und besuchte von 1905 bis 1911 das Oldenburger Lehrerseminar, die Vorläuferinstitution der heutigen Universität. Er wurde Volksschullehrer und dann Soldat.

Nach dem Krieg arbeitete er als Reformpädagoge an der Odenwaldschule — die gibt es ja heute noch — und an der Schule Wickersdorf in Thüringen wurde er pädagogischer Leiter. Der Verleger Samuel Fischer war im Aufsichtsrat von Wickersdorf und ist dort auf Suhrkamp aufmerksam geworden.

Peter Suhrkamp war in den zwanziger Jahren auch Dramaturg.

Das war am Theater in Darmstadt - zwischendurch für vier Jahre. Dort hat er selbst inszeniert und ist wieder mit Brecht zusammengetroffen. Schon 1920 hatte er Brecht kennengelernt, darüber gibt es eine Tagebuchaufzeichnung von Brecht.

Warum und wie ist Suhrkamp Verleger geworden?

Er hat die Pädagogik an den Nagel gehängt, ist 1929 nach Berlin gegangen und hat sich als freier Schriftsteller versucht. Dort ist er Redakteur des Uhu geworden. Das ist eine wichtige kulturkritische Zeitschrift gewesen. Brecht und Elisabeth Hauptmann haben darin geschrieben, Tucholsky hat den Uhu mit gegründet.

Die Fischers haben ihn 1933 als Redakteur der Neuen Rundschau in den S. Fischer Verlag geholt. Einige Monate später war er bereits Mitglied der Verlagsleitung. Das passierte schon mit dem Ziel, einen Arier zu finden, der den Nazis Widerstand leisten würde. Gleichzeitig sollte der Verlag nicht an Handlanger der NS-Partei fallen.

Wie konnte Suhrkamp das verhindern?

Samuel Fischer starb 1934. Sein Schwiegersohn, Gottfried Behrmann-Fischer übernahm den Verlag und traf mit dem Propaganda- Ministerium die Übereinkunft, daß er mit den mißliebigen Autoren und deren Buchbeständen ins Exil geht und daß 60 Prozent des Verlages verkauft werden. Hedwig Fischer, die Witwe, wurde ausbezahlt, und Suhrkamp übernahm die Verlagsleitung.

Wer hat den Verlag gekauft?

Der Hermann Joseph Abs hat das Kapital organisiert. Sein Bruder Clemens Abs und Philip Reemtsma sind da eingestiegen. Das war 1936. Das Geld für die Witwe Fischer transferierten sie in die Schweiz.

Und wie wurde aus dem Fischer Verlag der Suhrkamp Verlag?

1942 wurde Suhrkamp gezwungen, den Verlag umzubenennen. Während der ganzen Zeit war Suhrkamp Redakteur der Neuen Rundschau und hat versucht, die als ein Bollwerk zu halten, keine Nazi-Schriften da reinkommen zu lassen. Das hat den Nazis nicht geschmeckt.

Mit welchen Folgen?

Im Februar 1944 ist Suhrkamp verhaftet worden. Man hatte ihm einen Lockspitzel in den Verlag geschickt. Der erzählte ihm, es gäbe einen Widerständler-Kreis im Verlag, die hätten Kontakt zu Hermann Hesse in der Schweiz. Darauf ist er nicht eingegangen, aber er hat den Mann auch nicht bei der Gestapo angezeigt.

Daraus haben sie ihm den Strick gedreht. Zuerst steckten sie ihn in Gestapo-Gefängnisse und dann ins KZ Sachsenhausen. 1945 haben sie ihn todkrank entlassen. Sie dachten wohl, er würde sich nicht mehr berappeln. Schließlich ist er 1959 an den Spätfolgen seiner Lungenentzündung gestorben.

1956 wollte er noch mit Brecht zusammen eine Herzkur machen, aber dann starb der Brecht am Herzinfarkt.

Und nach dem Krieg?

Nach dem Krieg nahm er sofort Kontakt zu Gottfried Behrmann- Fischer auf. Der war in New York und hatte den Verlag nach Stockholm gebracht. Die beiden haben von 1945 bis 1949 zusammengearbeitet. In dieser Zeit hieß der Verlag wieder Suhrkamp — vormals S. Fischer.

Warum trennten sich die beiden schließlich?

Ab 1949 gab es Zwistigkeiten. Wahrscheinlich ging es um finanzielle Transaktionswünsche von Gottfried Behrmann-Fischer, der inzwischen mehrere Verlage hatte. Die hätten den Suhrkamp Verlag gefährdet.

Fischer verklagte ihn auf Rückgabe des Verlages. Suhrkamp wollte schon, aber Hermann Hesse drängte ihn, es nicht zu machen und wurde so beim S. Fischer Verlag zum „Verräter“.

Wie ging die Geschichte aus?

Der gerichtliche Vergleich lief darauf hinaus, daß der S. Fischer Verlag wiederbegründet wurde und der Suhrkamp Verlag eigenständig als Verlag neubegründet wurde.

Und die Autoren?

Die konnten entscheiden, wohin sie gehen wollten. Von 48 Autoren entschieden sich 33 für Suhrkamp, darunter Hesse — das war der entscheidende Faktor, denn der brachte Geld — und Brecht. Bis zu seinem Tod hat Suhrkamp den Verlag weiter aufgebaut. Dabei hat er die verschiedenen Figuren, die er in seinem Leben gewesen ist, zusammengebracht: Einerseits der literarische Verlag, dann, aus seinen pädagogischen Impulsen, kam die wissenschafliche Dimension des Verlages — er hat ja gleich 1950 mit Adorno und Benjamin angefangen — und dann der Theaterverlag, denn er war ja auch Dramaturg. Zum Schluß ist er auch noch als Übersetzer tätig gewesen.

Was zeigt die Ausstellung?

Fotos, Bücher, Manuskripte, Briefe, Dokumente, beispielsweise die Ehrendoktorurkunde und die Verlagslizenz der Engländer — da hat uns der Verlag gut unterstützt. Außerdem ein Tonband mit einem Interview und Ansprachen.

Wie sind Sie auf Suhrkamp gekommen?

Als ich herausgefungen hatte, daß er hier aus der Gegend kommt, habe ich mir seine Biographie näher angeschaut. Was, der hat einen Verlag arisiert, solche Sachen hat der Bursche gemacht, das guck dir mal genauer an, habe ich mir gesagt. Bei näherem Hinschauen habe ich gemerkt, daß das ein echter Fall von innerer Emigration ist. In der Klarheit habe ich so etwas noch nie gesehen.

Fragen: Beate Ramm

Die Ausstellung ist bis zum 15. Mai im Vortragssaal der Uni Oldenburg zu sehen. Bis zum 15. Juni im Rathaus Kirchhatten, dann Frankfurt, Dresden, Berlin.