: Text unterm Messer
■ “artist“, ein Kunstmagazin aus Bremen: oberforsches Design
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das Logo „artist“
Die meisten Worte, die über die Kunst geschrieben und verloren werden, sind wichtig wie ein Kropf, dienen weder der Kunst noch dem Künstler, allenfalls dem Markt.
Nehmen wir das als Fakt, muß die konsequente und realistische Antwort auf die Öde der Kunstberichterstattung artist heißen. artist, seit fast zwei Jahren neues Kunstmagazin aus Bremen, weist neue Wege: Auf opulentem 135 g/qm-Papier bieten sich zum Teil in Vierfarbdruck bildende Künste, Design, Fotografie, Architektur, Mode, Musik, Theater, Film und Literatur dar. In erlesenen Fotos und Reproduktionen. Jedem Heft liegen „Gimmicks“ bei, Stückgut aus der laufenden Produktion mehr oder minder bekannter Künstler.
Die Aufmachung des Magazins ist schräg, und am schrägsten sind die Texte gebürstet.
Vom ersten Heft an (Juli 1989) wird der Text als grafisches Rohmaterial behandelt, Motto: „Von Übel ist die Lesbarkeit“. Gern fehlt die Überschrift, Autorennamen sucht man wie Stecknadeln im Typenhaufen, Name und Anschrift eines Ausstellungsortes aber nicht doch!.
An jedem Zeilenende Rätselraten: Wo geht's weiter? Im neuesten, dem Doppelheft 6/7, darf man schon von Textmißhandlung sprechen: In acht Blöcke zerschnitten, springt der Text von Block zu Block, wobei die Zeile am Blockende mittem im Wort unterbrochen wird.
„Es kommt uns nicht auf Informationen an - wir transportieren das Visuelle“.
So spricht Ernst Purk, Vater des artist, den er als „Hobby“ bezeichnet; das Geld komme aus der Firma banane design, die er zusammen mit Anette Unland betreibt. „Banane“, das war schon einmal Anfang der 80er ein Kunstmagazin, von Bremer Grafikstudenten (dabei: Purk und Unland) ausgeheckt. Das krumme Symbol wurde 1983 Markenzeichen eines Designla
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das Paßfoto mit Schal
Ernst Purk, Artist
dens, der inzwischen Vor dem Steintor residiert und kleinere Unternehmen vom Briefkopf bis zur Außenwerbung bedient. Im Zuge der banane-Routine verkümmerte die gestalterische Freiheit, und weil einige Kontakte zur Kunstszene bestanden, leistete sich banane den artist.
Ein gewagtes Unternehmen war und ist das edle Kunstmagazin, das von der zweiten Nummer an mit einer 5000er Auflage ins Überregionale drängte und 1993 Europa anpeilt. Doch Purk/Unland sind FinanzARTISTen: Druck und Satz bekommen kleinere Kunstwerke und reichlich Anzeigenplatz, die Lithografie wirbt mit Kunst aus einer Galerie, die zugleich eine Anzeige schaltet, der Papierpreis wird gedrückt, indem die Papierfabrik den artist als Werbemittel in größerer Stückzahl bezieht, Autoren wurden bis Heft 5 mit Kunstwerken „bezahlt“: Kleinere Deals und Kompensationen allüberall, und so fügt es sich für Purk: „Wir haben eine kleine Familie gegründet“. Seit kurzem sind auch zwei dicke Fische im Anzeigenakquisenetz: Nordmende und Philip Morris werben ganzseitig vierfarbig. Jetzt leistet man sich Autorenhonorare und noch mehr Buntes.
Purk liebt Worte wie „schwimmen“, „fließen“, „schmelzen“ sehr; dem gelernten und besessenen Schriftsetzer mit unbedingtem Gestaltungswillen schwebt ein Magazin aus einem Guß vor: Auch Anzeigen sollen sich einpassen ins kühle, etwas „verrückte“ Konzept mit winzigen und mageren Typen, ungewohnter Kursivierung, viel Weiß und asymmetrischer Flächennutzung. Am liebsten gestaltet Purk auch die Anzeigen selbst. Was Wunder, daß die Grenzen zwischen Redaktionellem und Anzeigen „schwimmen“. Ist die anonyme Gastronomielobhudelei bezahlte Werbung? Was bedeuten superbe Fotos mit Namen und Telefonnummer? Hinter den Ausstellungs“empfehlungen“ verbergen sich jedenfalls bezahlte illustrierte Anzeigen. Purk, schlau: „Auch jeder Künstler, der auf zwei Seiten vorgestellt wird, hat zwei Seiten Werbung...“
Kritisches sucht man vergebens im artist. Auch hier „schmilzt zusammen“, was so viel besser zusammenpaßt, etwa der Maler und der Poet, der den Kritiker ersetzt. „Wir picken das Positive raus, weil's einfacher ist“, sagt Purk, und: „Wer will entscheiden, wer ein Künstler ist?“ Resultat: 60 Seiten „Werbung“, davon 1/3 bezahlt.
Ganz verzichtet der artist noch nicht auf professionelle Schreiber und greift auf notorische Vernissagenredner und Kritiker zurück: Rainer B. Schossig und Gerald Sammet (Radio Bremen), Barbara Alms (Städt. Galerie DEL), Hajo Antpöhler, Rolf Thiele oder Sven Garbade wären zu nennen. Was, wenn Purk mit Herzblut Geschriebenes so zerstückelt? Schossig leidet nicht darunter, daß sein „Text als Steinbruch“
Textblöcke, mit der Nervensäge zerlegt: Eine Seite aus der letzten Nummer von „artist“
mißbraucht wird: Ist ohnehin eine Zweitverwertung des Rundfunktextes. Auch Antpöhler hat man schon mal andernorts gelesen. Garbade hat festgestellt, daß er unter dem Schwert der Textdestruktion anders schreibt: Freier, man leiste sich eher „Brüche“, Fragmente. Sammet verzeiht das „Diktat des Layouts“ leichten Herzens, weil er sich so über das „sensationelle“ Projekt aus Bre
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(Grafik mit spaltenweise
Text drüber)
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direkt unterm Kopf!
und unbedingt
mit Rand
drumrum!!!!!!!!!
men freut; er vermißt aber jegliche redaktionelle Arbeit und sieht die Gefahr „puren Blendwerks“.
Sollte Purk seine typografischen Anschläge noch verschärfen, reicht allerdings demnächst wirklich Blindtext, z.B. die Pressemitteilungen des Senats, um das Magazin zu illustrieren. Doch auch hier weiß Purk eine Lösung: die lesbare Versionen extra als Bei
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lage! Ab 1993 — gemeinsamer Markt — auch in Englisch! Im übrigen scheint der Zeitschrift ihr „Haß auf funktionelles Design“ (Schossig) nicht zu schaden: Die letzte Ausgabe (Februar bis Mai) ist fast ausverkauft. Burkhard Straßmann
Das nächste Heft (60 Seiten) erscheint Ende Mai; erhältlich für 10 Mark z.B. im Bahnhofsbuchhandel
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