“Ich bin mit dem Fußball auf die Welt gekommen“

■ Otto Rehhagel ist seit 10 Jahren Trainer bei Werder: Die taz sprach mit ihm über Fußball, Randale und Medien

Herr Rehhagel, was ist eigentlich ein Fußballtrainer? Ein Dompteur, ein Lehrer, ein Showstar, ein geschickter Ein- und Verkäufer?

Von allem etwas. Sehen Sie: Früher war das klar. Da war er ein Fußballehrer. Sepp Herberger, Helmut Schön, ich hab' die ja noch gekannt. Heute sind wir ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Das ändert zwar die Rolle, doch der Kern ist unverändert. Man muß jungen Spielern etwas beibringen können, sonst funktioniert das Ganze nicht.

Sie haben in der Gruppe, die sie trainieren, eine Spannbreite vom Hochschulabsolventen bis zum Schulabbrecher. Wie kriegen Sie die zusammen?

Das muß ich einfach wissen, daß das völlig verschiedene Menschen sind. Doch im Profifußball bleibt genug Zeit, mit jedem zu reden, den richtigen Ton zu treffen. Das ist Erfahrung, das braucht Zeit. Wenn man als Trainer am Anfang im zwischenmenschlichen Teil noch nicht so viel Erfahrung hat, dann macht man halt Fehler. Und wenn man ein gewisses Alter erreicht hat und in einigen Firmen gearbeitet hat, bescheiden genug ist und sich selbst infrage stellt, dann kommt man dahin, daß man mit Menschen umgehen kann. Aber wer kein allzugroßer Egoist ist, der kann das lernen. Das heißt: Sich selbst nicht so in den Vordergrund stellen, sondern auf andere Menschen eingehen. Und Zuhören können.

Die Spieler stehen unter einem erheblichen Leistungsdruck. Intern, weil jeder spielen will, extern, weil Presse und Fans diesen Druck erzeugen. Wie kriegen Sie eine solchen Brodelpott zur Ruhe?

Das ist ein ständiger Prozeß, der jeden Tag abläuft. Es gibt eine sichtbare und unsichtbare Hackordnung in der Mannschaft. Wir haben 22 Leute. Von denen sind fünf ganz jung, das sind Amateure, die wissen, daß sie Lehrlinge sind. Und dann bis zum 16. Spieler können alle spielen. Da liegt es an mir, zu sagen, daß, wer hier einen Vertrag unterschrieben hat, nicht die Zusicherung hat, Stammspieler zu sein. Die Gesetzmäßigkeiten des Profisportes und der Gruppe, die muß der Spieler akzeptieren. Und ich hab' immer mit den Leuten so diskutiert, daß die das auch eingesehn haben. Das ist die Kunst, die Leute bei Laune zu halten.

Wie machen Sie das?

Meine Spieler haben in der Regel alle mal wieder gespielt. Ich habe immer versucht, die Leute, die nach außen hin fast abgeschrieben scheinen, auch wieder zu bringen.

Wie gehen Sie mit den Enttäuschungen von Spielern um, die über viele Wochen auf der Bank sitzen?

Die Jungs sehen das eigentlich ein. Das ist ja wie ein Schachspiel. Ich gucke, was der Gegner an Personal dabei hat. Und dann überlege ich mir, wo ich meine Spieler hinstelle. Natürlich gibt es immer ein paar Unebenheiten, wo so viele Menschen miteinander leben, jeden Tag. Da gibt es Reibereien. Aber die letzten zehn Jahre hat es zu 80 Prozent gestimmt, und zu 20 Prozent hatten wir Reibereien.

Welche Rolle spielt das Geld?

Die Jungs werden ja ganz früh ausgesucht. Mit 12 oder 13. Mit 18 stellt es sich heraus, daß der eine oder andere ein ganz außergewöhnliches Talent ist. Dann bekommt er einen Vertrag. Die müssen dann sehen, daß sie bis 35 ein bissel was verdienen und 'ne Basis haben, von der sie abspringen können.

Es wird auch oft in den Medien verkannt, daß das Fußballspiel, diese 15 Jahre, nicht die Realität des Lebens ist. Wir leben ja in einem Vakuum. Den Jungs geht es ganz gut. Sie fahren schöne Autos, wohnen in tollen Hotels. Wenn man so jung ist, zwanzig Jahre, dann hat man noch keine Ahnung. Wenn ich dann sage ‘Kinder, wißt ihr was, paßt auf, das ist nicht die Realität des Lebens, legt Euer Geld auf die Seite. Du wirst auch mal 35.' Dann denken vielleicht einige: ‘Ach, was der da erzählt. 35, das ist soweit

Otto Rehhagel, Bremer Wegweiser auf der Fußball-ErfolgsrouteFoto: Jörg Oberheide

weg.' Aber ich versuche ab und zu, meine Moralpredigten zu halten. Und wenn in einem Jahr nur fünf Sätze hängen bleiben, dann ist das schon eine Menge.

Und wenn Sie in den Medien sagen: Die Fußballer verdienen viel Geld, dann müssen Sie sehen: Die Profis schaffen sich mit dem Fußball keine berufliche Basis für das spätere Leben. Wenn der mit 35 aufhört, kann er nicht einfach zu einer Versicherung gehen und sagen: 'Ich will hier arbeiten.' Die fragen dann: ‘Was können Sie denn?' Dann kann der nicht sagen: ‘Ich kann einen Ball hochhalten.'

Er ist auch nicht mehr der Mann, der er mit 20 war. Er hat viele Leute kennengelernt, war etwas, und - batsch - ist er wieder unten. Das ist ein ganz gefährliches Geschäft. Da kannst Du psychisch krank werden. Selbst wenn sie zwei Häuser gebaut haben, so besteht der Sinn des Lebens ja nicht darin, daß sie vom 35. bis zum 80. Lebensjahr an ihren Häusern vorbeilaufen und da immer hochschauen. Der Mensch lebt doch von der Arbeit und von der Anerkennung.

Kommen wir zu Ihnen. Sie sind jetzt seit 20 Jahren Trainer, hatten vor Bremen fünf Stationen. Jetzt sind Sie 10 Jahre hier. Die durchgängige Begründung für ihren Dauererfolg in Bremen lautet: Hier stimmt alles zwischen Management, Präsidium und Trainer. Ist das nicht ein bißchen einfach?

Das ist einfach. Ich habe ein glückliche und gute Personalpolitik gemacht, weil ich mich so einigermaßen auskenne. Ich bin nämlich mit dem Fußball auf die Welt gekommen. Ich kenne in Deutschland jeden Verein, ich weiß, wer wo welche Politik macht. Ich kenne alle Spieler. Ich weiß, welche Leute ich brauche, um hier unter den ersten fünf oder sechs zu landen. Mir können die nichts mehr erzählen. Aber: Mit mir sind auch andere auf dem Markt tätig, Konkurrenten mit mehr Geld. Da muß ich sehen, daß ich mit meinen Möglichkeiten mithalte. Und das ist mir gelungen.

Das Geheimnis des Fuballs ist: Wie geht der Ball am schnellsten ins Tor? Und das können ja nur die Spieler. Ich bin derjenige, der den richtigen Mann an den richtigen Platz stellt.

Und warum kriegen andere das nicht hin? Gibt es da zu viele Köche für eine Suppe?

Wenn Sie kreditwürdig sind, dann kriegen Sie jeden Posten im Verein. Früher war das jedenfalls so. Spielausschußvorsitzender, weil sie kreditwürdig sind, kein Problem. Und auf einmal kriegen Sie das rote Telefon und fangen an zu wählen. Aber Sie haben überhaupt keine Ahnung. Und dann überstimmen Sie den Fachmann. Und da können schon mal schwer

hier bitte

das Foto

von dem Mann

mit dem ausgestreckten

Arm

wiegende falsche und nicht mehr gutzumachende Personalentscheidungen getroffen werden.

Und da ist Bremen eine Ausnahme?

Im großen und ganzen ja. Ich bin hier der sportliche Leiter. Und niemand sagt mir, wen wir kaufen oder verkaufen. Das mache alles ich. Willi Lemke vermarktet unserern Erfolg mit den Sponsoren. Da ist er ja super drauf. Ich aber kann mir nicht von jemanden, der nicht aus dem Fußball kommt, was vorschreiben lassen.

Nach zehn Jahren Bremen: Ist da nicht für Sie der Punkt gekommen, zu sagen: Ich hab jetzt bewiesen, daß ich über lange Zeit erfolgreich sein kann. Jetzt beweise ich das noch einmal andernorts.

Ja, natürlich habe ich oft daran gedacht. Aber ich weiß ja, daß woanders die Schwierigkeiten die gleichen sind. Nur die Gesichter sind anders. Das hört sich zwar schön an, wenn ich sage: „Ich arbeite in Rom.“ Wissen Sie: Die ewige Stadt Rom ist sehr dreckig. Wenn Du da auf ein Taxi wartest, dann schwitzt Du Dich tot. Ich bin ja so ein typischer Deutscher. Das müßt Ihr richtig verstehen. Pünktlichkeit und Höflichkeit, also konservativ. Das muß alles stimmen. In Italien stimmt ja gar nichts. Wenn ich dahin in Urlaub fahre, in Ordnung. Aber wenn ich da arbeiten will: Die sind unpüntklich, das ist alles nichts für mich. Dann sagt man: „Mit Geld ist alles o.k.“ Du kriegst genug Kohle. Da kannste alles andere vergessen. Aber noch bin ich nicht soweit. Vielleicht kommt eines Tages der Punkt, daß ich sage: Für gutes Geld machste das mal und drückst dafür viele Augen zu. Aber in Italien und Frankreich sind ja immer die Präsidenten die Götter, und der Trainer ist der Vorturner. Dazu habe ich keine Lust.

Das heiß auf unabsehbare Zeit Bremen?

Nein. Es geht solange, wie es geht. Noch geht es gut. Wir haben immer Erfolg gehabt. Ich habe immer etwas Neues gemacht, habe Leute wie Riedle und Völler für wenig Geld eingekauft und für das zehnfache verkauft. Ich habe Spieler hergeholt, die schon abgeschrieben waren. Ich habe junge Fußballer nach oben gebracht. Wir sind im Pokalgeschäft. Wir sind in der Meisterschaft dabei. Wir bauen mit der Stadt ein neues Stadion. Das sind Dinge, die den Erfolg ausmachen.

Kommen wir auf Ihr Verhältnis zu den Medien. Andere Trainer versuchen die Medien für sich zu nutzen, indem Sie um ihre Person ständigen Wirbel veranstalten. Ihnen wird nachgesagt, Sie mögen die Medien nicht. Warum nicht?

Das stimmt ja nicht. Ich weiß, daß die Medien wichtig sind. Aber die

Boulevard-Presse, das sage ich ganz offen, die manipuliert. Das geht sogar soweit, daß die Bild- Zeitung diffamiert. Das haben sie mit mir auch gemacht. Die machen Sie bei den Menschen schlecht und wollen Wunden in die Seelen hauen. Mit solchen Leuten, wenn ich das spüre, mit denen rede ich nicht. Das ist alles. Ich gehe zu Wontorra oder zum ZDF, ich habe zu vielen Journalisten ein ausgezeichnetes Verhältnis.

Aber es gibt welche, die sind bösartig. Nehmen wir doch Breitner und Merkel. Die sind von der Bild-Zeitung gekauft und die wollen nur die Leute anmachen. Mit solchen Menschen kann ich nichts anfangen. Ich komm' doch auch nicht den ganzen Tag zu Euch in die Redaktion, guck da rum, und anschließend mache ich Euch mies. Ich sehe doch erstmal das

„Ich halte mich an Regeln, die das Leben, die die Natur schreiben"Foto: Jörg Oberheide

Gute im Menschen. Wie kann ich als Radio Bremen die Mannschaft nach einem schlechten Spiel in der Luft zerreißen. Wenn ich doch ein krankes Kind habe, dann hat es meine Liebe nötig. Dann sage ich doch: ‘Mein lieber kleiner Junge, es wird schon wieder besser.' Den nehme ich doch in den Arm und sage ihm nicht: 'Schön, wie Du aussiehst, hoffentlich geht es bald zu Ende.'

Welchen Einfluß haben die Medien auf Spieler, die systematisch hochgeschrieben werden und nach einer Zeit wieder runter?

Man sagt immer: Der oder jener soll sich eine dicke Haut anschaffen. Das geht nicht. Wir sind alle empfindlich. Ich finde: Der Sport ist Sport. Da kann man freundlich miteinander umgehen. Da braucht man nicht zu provozieren. Wenn ich nach so einem Spiel zur Presse gehe denke ich immer: „Die sitzen da rum und warten darauf, daß ein Trainer was gegen den anderen sagt.“ Dann sage ich zwei Sätze. und „Danke schön.“ Das ist eine Summe der Erfahrungen. Der Ernst Happel hat gar nichts mehr gesagt. Der hat nur gesagt: „Wir haben heute gewonnen, Sie haben es gesehen. Auf Wiedersehen.“

Beim Hallenturnier in der Stadthalle hat es zum ersten Mal während eines Fußballspiels in Bremen größere Ausschreitungen gegegeben. Dresden ist ein neuer Höhepunkt der Gewalt in Stadien. Was kann ein Trainer, was kann ein Spieler, dazu beitragen, daß es zu solchen Szenen nicht kommt?

Da gibt es keine Möglichkeiten für uns. Wir können höchstens vorleben. Ich brauche keine Alkohol. Ich brauche kein Nikotin. Ich kenne meine Frau 30 Jahre. Bei mir ist alles in Ordnung. Ich halte mich an Regeln, die das Leben, die die Natur schreiben, Frühling, Sommer, Herbst und Winter dann gibt es keine Probleme. Wenn sich jemand nicht an die Regeln hält, und das wird es in jeder Gesellschaft geben, den mußt Du bestrafen. Ich sage immer: Wehret den Anfängen. Das ist wie hier mit den Drogenabhängigen. Wenn ein Brand schwelt, mußt Du gleich mit dem Feuerlöscher hin. Wenn das Haus in Flammen steht, kannst Du nur noch flüchten.

Daran glaube ich fest. Und auch antiautoritäre Erziehung: Alles Kokolores. Geht nicht. Der liebe Gott hätte die Menschen so schaffen müssen, daß sie zu jeder Zeit immer lieb und freundlich sind und jeder mit jedem gut umgehen kann. Eigentlich können die das: Wenn Sie mal junge Tiere nehmen oder junge Menschen: Die können wunderbar miteinander. Sind Sie nachher älter, werden Sie von den Älteren manipuliert.

Nun ist Gewalt im Stadion in Bremen noch kein Flächenbrand. Es kommt immer mal was vor. Gibt

hier biite das

foto von dem Herrn

im Cafe

es nicht doch die Möglichkeit...

Also, wenn ich damals der Bürgermeister von Brüssel gewesen wäre, als die Katastrophe im Heysel-Stadion war, mir wäre das nicht passiert. Wenn ich das vorher weiß: Endspiel Juventus Turin gegen Liverpool, dann bereite ich mich vor, da kommt kein Mensch durch. Wenn die dann kommen, 500 oder 1.000 Hooligans oder 5.000, die fange ich alle ab. Die Hälfte ist ja betrunken, die stecke ich alle in die Ausnüchterungszelle. Dann wachen die den anderen Tag auf und sagen: ‘Wir wollen zum Spiel', dann sage ich: ‘Das war gestern, auf Wiedersehen.' Kriegst Du alles geregelt.

Aber hier ist es ja so, daß die Polizei einen viel zu geringen Stellenwert hat. Das geht nicht. Wenn bei meiner Mannschaft jeder machen würde, was er will, dann haben wir Sodom und Gomorrha.

Aber die Fans sind ja nicht nur gut oder böse...

In der DDR hat das natürlich einen sozialen Aspekt. Die haben nichts zu arbeiten. Mit dem Zusammenschluß ist es ja nicht getan. Die können was für die Umwelt tun. Da müssen Programme her. Und wenn die auf Null-Stunden gefahren sind, dann ist das ja nicht der Sinn des Lebens. Da muß man den Leuten Arbeit verschaffen. Man darf nicht nur reden, man nuß auch Taten folgen lassen. Aber auch, wenn sozial alles in Ordnung ist, dann wird es trotzdem Verbrecher geben. Aber zu den Fans: Wenn die merken, daß sie ein Spiel abbrechen können, dann wird das immer schlimmer.

Was gefällt Ihnen noch an Bremen, außer dieser schönen Gegend hier an der Weser mit dem Stadion im Hintergrund?

Mir gefällt die Stadt und die Umgebung. Man hat die nötige Ruhe. Es ist eine Stadt der kurzen Wege. Die Menschen sind introvertiert, aber wenn man mit Ihnen zusammen ist, lernt man sie schätzen. Ich habe hier als Trainer Erfolg. Ich habe einen Vorstand, mit dem ich sehr gut zurecht komme, ganz honorige Leute. Ich sehe natürlich auch die Schattenseiten. Das, was mir so am Herzen liegt: Die Jugend, und daß das mit den Drogen immer schlimmer wird. Und da sage ich: Hier in Bremen werden die Extreme zu lasch gehandhabt. Das paßt mir nicht. Ich bin zwar kein Politiker, aber ich weiß, daß das nicht der richtige Weg ist.

Fühlen sie sich hier zu Hause?

Ich kann überall leben. Aber ein außergewöhnlicher Glückszustand waren die zehn Jahre für meinen Sohn. Für den ist Bremen Heimat. Sonst gehst Du als Trainer alle zwei Jahre woanders hin.

Wielange läuft ihr Vertrag noch?

Wir sind uns einig: Es geht so

lang, wie es geht. Und im Moment geht es gut. Einer der schönsten Augenblicke war, daß der Verein jetzt schuldenfrei ist. Daran habe ich auch mitgewirkt. Und: Wir haben Freunde in aller Welt. Als ich hier anfing, hat man uns in Oldenburg respektiert, jetzt können wir nach Moskau oder nach New York gehen, und Werder hat dort ein unheimlich gutes Image. Das ist viel wichtiger als ein 1:0.

Fragen: Holger Bruns-Kösters