Patt auf Volksdeputiertenkongreß

Mißtrauensvotum gegen Jelzin wird von der Tagesordnung genommen/ Jelzin scheitert seinerseits beim Versuch, seine Wahl zum Präsidenten auf die Tagesordnung zu setzen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Eigentlich wollte sich der außerordentliche Volksdeputiertenkongreß Rußlands nur mit einer Frage befassen: dem Mißtrauensvotum gegen den populären Widersacher Gorbatschows, Boris Jelzin. Als der Kongreß dann am Wochenende um seine Tagesordnung rangelte, war dieser Punkt urplötzlich von der Agenda verschwunden. In der zugespitzten politischen Atmosphäre in Moskau schien es den orthodoxen Kommunisten Rußlands opportuner, die Galionsfigur der Opposition nun doch nicht durch die Hintertür zu demontieren.

Statt dessen hielt Jelzin einen anderthalbstündigen Rechenschaftsbericht, der klang, als wäre er bereits die vorweggenommene Regierungserklärung des neuen Präsidenten der Russischen Föderation (RSFSR). Gestärkt durch die Zustimmung im Allunionsreferendum, ob die Russen den Posten eines eigenen russischen Präsidenten befürworteten, wollte Jelzin aus dem Formtief seiner Gegner Kapital schlagen und seine Wahl zum russischen Oberhaupt einleiten.

In seiner Wahlkampfplattform betonte Jelzin mit einem Seitenhieb auf die konservative Politik des Zentrums, die politischen Rechte und ökonomischen Freiheiten zu voller Gültigkeit gelangen zu lassen. Noch immer herrsche das ideologische Dogma. Bedingungen müßten geschaffen werden, die Rußland den Anschluß an die Weltgesellschaft und den Weltmarkt eröffneten.

Dazu sei es nötig, erst einmal die Vorherrschaft der Ministerien und des bürokratischen Molochs zu brechen. An die Adresse der darbenden Wähler richtete er das Versprechen, das Schwergewicht nun wirklich auf die Konsumgüterindustrie zu verlagern.

Als wichtigsten Schritt, die marode Sowjetwirtschaft zu stabilisieren, nannte er die Stärkung der Kaufkraft des Rubels durch strikte finanzpolitische Maßnahmen.

Die Unternehmen erhalten in seinem Konzept volle Handlungsfreiheit und der Aufbau des privatwirtschaftlichen Sektors steht dabei im Mittelpunkt. Daneben sollen Rechtsgarantien für ausländische Investoren geschaffen werden. Außerdem versprach er, die ideologische Dominanz der Partei und des von ihr beherrschten Staatsapparates zu brechen.

Alles in allem griff Jelzin in seinen wirtschaftspolitischen Vorschlägen auf das Konzept der Ökonomen Schatalin und Jawlinski zurück. Ihr 500-Tage-Programm, das einen raschen Übergang zur Marktwirtschaft vorsah, war im letzten Herbst von Gorbatschow und seinem jetzigen Premier, Valentin Pawlow, unterminiert worden.

Der erneute Versuch, dieses Programm nun im Rahmen der RSFSR durchzusetzen, ist eine klare Kampfansage an das Zentrum und seine administrativ verfügte Wirtschaftspolitik. Bei der jetzigen Machtverteilung allerdings kann Gorbatschow noch immer jeden eigenwilligen Ansatz aus den Republiken durch Veto im Keim ersticken.

Anders als erwartet, gelang es Jelzin nicht, seine Wahl zum Präsidenten auf die Tagesordnung zu hieven. Mit hauchdünner Mehrheit wurde sein Anliegen abgelehnt, war aber Gegenstand heftiger Wortgefechte im Plenum.

Jelzins ehemaliger Berater, Wladimir Isakow, fuhr seinem alten Herrn dabei sogar in die Breitseite: „Er tut alles dazu, um sein Hauptziel, die unbegrenzte Macht als Präsident, zu erreichen. Es wäre ein Verbrechen unter dem Deckmantel von heiligen Worten und im Trommelwirbel, eine neue Diktatur heraufziehen zu sehen, aber darüber nichts laut zu sagen.“ Isakow empfahl auch Präsident Gorbatschow, seine Ämter niederzulegen: „Ohne zu zögern, würde ich ihn mit jedem denkbaren diplomatischen Posten betrauen“, meinte Isakow unter tosendem Beifall der Abgeordneten.

Beide Seiten, weder die Hardliner noch die radikale Opposition, haben auf dem Kongreß einen Sieg davongetragen. Es sieht so aus, als würde Jelzins Präsidentschaftsansinnen erst mal in eine Sackgasse gelangt sein. Zentrum und Russische Föderation werden sich auch weiterhin paralyiseren, zum Schaden des ganzen Landes.