Mit dem Superticket gegen den alltäglichen Stau

Mit drastischen Preissenkungen gelang dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr die Trendwende/ Übertragbares Umweltticket ließ die Zahl der Fahrgäste deutlich steigen/ Teuer, ungerecht und kompliziert bleibt es bei den Langstrecken  ■ Aus dem Revier Walter Jakobs

Die Botschaft kam rüber. Von West nach Ost, zwischen Mönchengladbach und Dortmund, konnte man den Großplakaten ebensowenig entgehen wie von Nord nach Süd, zwischen dem westfälischen Dorsten und dem bergischen Remscheid. „Für'n Appel und 'n Ei“, so die frohe Kunde, sei das „Ticket 2000“ zu haben, könne man teilhaben am neuen Zeitalter des öffentlichen Nahverkehrs. Nie zuvor hat der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), in dessen Bereich rund 7,2 Mio. Menschen leben, mit vergleichbarem Aufwand für ein „Umdenken“, ein „Umsteigen“ geworben. Ein pfiffiger Zeitgenosse nahm die Botschaft wörtlich, schickte „'n Appel und 'n Ei“ — und bekam, was er begehrte. Die anderen 338.000 VRR-Kunden, die die neue Monatskarte im Januar kauften, mußten zwar in DM zahlen, doch günstig weggekommen sind auch sie. Drastische Preissenkungen und die Möglichkeit, das Ticket an jede beliebige Person übertragen zu können, ließen den Absatz im Vergleich zum Januar 1990 um 55 Prozent nach oben schnellen. Mußte man bisher z.B. für die personengebundene Monatskarte von Bochum nach Düsseldorf 175 DM auf den Tresen legen, so gibt es das entsprechende „Ticket 2000“ nun schon für 125 DM. Zusätzlich kann das Ticket uneingeschränkt verliehen werden; und nach 19 Uhr, an Wochenenden und an Feiertagen dürfen darüber hinaus zwei Erwachsene und drei Kinder mit ein und derselben Karte fahren. In Großstädten wie Düsseldorf, Duisburg, Essen, Dortmund oder Wuppertal kostet der öffentliche Nahverkehr mit dem „Ticket 2000“ jetzt im Monat 59 DM. Im Abonnement gibt es die Karte sogar um 10 DM billiger. Wer es sich beruflich erlauben kann, die Busse und Bahnen erst nach 9 Uhr in Anspruch zu nehmen, kommt sogar mit 33 DM davon. Kein Wunder, daß bei solchen Preisen viele, die bisher Einzelfahrscheine lösten, auf die Monatskarte umgestiegen sind. Zu den Umsteigern kamen neue Kunden hinzu. Nach einer Umfrage des VRR erklärten etwa 10 Prozent, „daß sie vorher entweder mit dem Auto gefahren sind oder erst durch das ,Ticket 2000‘ zusätzliche Fahrten unternehmen“. Insgesamt zählte der VRR im Januar 1991 63,6 Mio. Fahrten, 6,6 Mio. oder rund 11 Prozent mehr als 1990.

Der Trend der rückläufigen Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr scheint damit gebrochen. Rein betriebswirtschaftlich rentiert sich das Ticket vorerst allerdings nicht. Die Einnahmeverluste fielen im Monat Januar mit einem Minus von 3,5 Mio. DM jedoch weit geringer aus als erwartet. Für das gesamte Jahr hatte der VRR, dem die kommunalen Verkehrsunternehmen der Region und die Deutsche Bundesbahn angehören, ein Minus von rund 60 Millionen einkalkuliert. Ein Erfolg, der sich bei besserem Service sicher schnell steigern ließe. Noch läßt sich das „neue Zeitalter“ im öffentlichen Nahverkehr nicht ohne Frust genießen. Verspätete Busse, überfüllte Bahnen und zu lange Taktzeiten verhindern, daß mehr Autofahrer ihre Stinker in der Garage lassen. Der Bundesbahn mangelt es im S-Bahn- Bereich zur Zeit schlicht an Waggonkapazitäten, um dem gestiegenen Bedarf gerecht zu werden.

Teuer, ungerecht und kompliziert bleibt der VRR-Tarif weiterhin für Berufspendler, die weite Strecken zurücklegen müssen. Noch gibt es kein „Ticket 2000“, das es dem Kunden erlauben würde, aus Herzenslust das gesamte Verkehrsverbund-Gebiet zu durchqueren. Von Bochum nach Düsseldorf zahlt man 120 DM, aber diejenigen, die nur ein paar Kilometer weiter östlich wohnen, haben es schwer. Ein Anruf beim VRR- Kundenberater zeigt es: „Ich möchte ein ,Ticket 2000‘ von Dortmund nach Düsseldorf.“ „Oje“, stöhnt jemand am anderen Ende der Leitung. „Das geht nicht.“ „Wie, geht nicht? Ich möchte umsteigen, vom Auto zum VRR. Wird doch überall für geworben.“ „Ja schon, aber der VRR- Tarif gilt für diese Entfernung nicht mehr. Sie müßten sich bei der Bundesbahn eine normale Monatskarte holen. Die ist aber viel teurer.“ Ein Wahnsinn, denn die normale Bundesbahnkarte, die schon allein 270 DM kostet, berechtigt nicht zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in Dortmund und Düsseldorf. Für beide Städte käme jeweils ein „Ticket 2000“ der Preisstufe A zum Preis von 59 DM hinzu. Für den Dortmunder Pendler kostet der Spaß also 388 DM, während der glückliche Bochumer mit 120 DM davonkommt. Dieser Unsinn ist dem Kundenberater zwar bewußt, doch den Ausweg „darf ich Ihnen offiziell nicht mitteilen“. Aber inoffiziell! Billiger wird es für die Dortmunder, wenn sie zwei Tickets kaufen. Eines der Preisstufe C für 120 DM, mit dem die Strecke Bochum-Düsseldorf abgegolten wird, ein weiteres der Preisstufe B für 89 DM, das die Wegstrecke Dortmund-Bochum abdeckt. Während der Kunde auf diese Art viel Geld spart, geht die Bundesbahn, deren Leistungen im Verbundgebiet mit einer Pauschale honoriert werden, bei diesem Trick leer aus.

Für die Bundesbahn kommt die Einbeziehung der Langstrecken in den VRR-Tarif aber nur dann in Frage, „wenn die Ausgleichspauschale erhöht wird“. Die Bahn fürchtet erhebliche Einnahmeverluste, denn der Trick mit den zwei Karten lohnte sich bei einem Einheitspreis für den gesamten VRR-Bereich auch für jene Bahnkunden, die außerhalb des VRR-Gebietes leben. Um ihre Geldbörse zu schonen, könnten sie zunächst eine Bundesbahnkarte bis zur Grenze des VRR-Bereiches erwerben, um dann mit dem VRR-Ticket weiterzufahren. Im Moment wird über eine Lösung der auch nach Meinung der Essener Bundesbahndirektion „grotesken Situation“ verhandelt. Grundsätzlich steht die Bahn einer Vereinheitlichung positiv gegenüber, aber das Superticket dürfe „unser Wirtschaftsergebnis nicht noch weiter verschlechtern“.