Wer verschweigt wem was?

■ 'Spiegel' contra taz: Die taz biete ihren Lesern nur waghalsige Theorien zu beiden Flugzeugabstürzen. Wohlan, wir lassen uns auf die Kontroverse ein. Die taz wird so lange hinter den Widersprüchen von Behörden...

Wer verschweigt wem was? 'Spiegel‘ contra taz: Die taz biete ihren Lesern nur waghalsige Theorien zu beiden Flugzeugabstürzen. Wohlan, wir lassen uns auf die Kontroverse ein. Die taz wird so lange hinter den Widersprüchen von Behörden und Militärs her sein, bis vielleicht auch der 'Spiegel‘ mehr leistet als eine schlampige taz-„Widerlegung“.

VON WERNER RAITH UND JOACHIM WEIDEMANN

Es war also alles ganz anders: Der Zusamenstoß der „Frecce tricolore“-Staffel über Ramstein (70 Tote) Schuld des Solopiloten Nutarelli, ganz wie das die Militärs sagen; das merkwürdige Wegsterben von Zeugen im Zusammenhang mit dem Abschuß einer DC9-Linienmaschine nahe der Mittelmeerinsel Ustica 1980 (81 Tote) ein natürlicher Schwund. Und die Nachlässigkeit deutscher Behörden, die trotz Fehlens der Abschlußergebnisse der italienischen Strafjustiz „gar nicht daran denken“, sich mit der Sache zu befassen ist auch keinerlei Skandal. So jedenfalls der 'Spiegel‘ in dieser Woche von Seite 74 an.

Drei Punkte hat das 'Deutsche Nachrichtenmagazin‘ in Sachen Ramstein-Ustica ausgemacht, an denen es die taz teils unmöglich zu machen, teils ihre Argumente auszuhebeln sucht:

1. Daß sich außer der taz niemand ernsthaft mit Ramstein befaßt, weil die „Spekulation“ allzu „blödsinnig“ ist, „eine Räuberpistole“, widerlegt durch die Militärkommission.

2. Daß es gar keinen Zusammenhang zwischen Ramstein und dem mutmaßlichen Abschuß der DC9 über Ustica 1980 geben kann, weil die Ramstein-Unglückspiloten Naldini und Nutarelli gar nichts wissen konnten und gar keine Zeugen waren.

3. Und daß es auch im Umfeld der Ustica-Zeugen keine wirklich suspekten Todesfälle gegeben habe.

Für den ersten Part zitiert der 'Spiegel‘ durchweg Personen, die sowieso nichts mit Ramstein zu tun — oder die mittlerweile wohl kalte Füße bekommen haben. So soll Ramstein-Oberstaatsanwalt Dexheimer auf die Frage, ob er den Abschlußbericht der italienischen Strafbehörden dringend angefordert habe (nachdem er schon 1988 bei Übergabe des Materials an Italien darum gebeten hatte), zum 'Spiegel‘ gesagt haben: „Nichts davon ist wahr, alles Hirngespinste“.

Dexheimer hat nach dem ersten taz-Bericht zwei taz-Redakteuren unabhängig voneinander und offenbar auch anderen Zeitungen (z.B. Der Münchener 'AZ‘) seine Aufforderung an die italienische Botschaft, die strafrechtlichen Erkenntnisse zu übersenden, bestätigt. Vergangene Woche hat der Ermittler dies der taz gegenüber erneut bekräftigt — mit dem Zusatz allerdings, daß er sich „theoretisch damit zufriedengeben könnte, wenn die schreiben, ,Wir haben keine strafrechtlich relevanten Vorgänge gefunden‘“.

Der Wormser SPD-Abgeordnete Florian Gerster hält die taz-Verdächte laut 'Spiegel‘ für eine „absolute Räuberpistole“, denn, so der 'Spiegel‘: „Immerhin waren deutsche, italienische und amerikanische Militärs, die das Ramstein-Desaster prüften, eindeutig zu dem Ergebnis gekommen, das Unglück sei durch einen Fehler Nutarellis ausgelöst worden“.

Was der 'Spiegel‘ schon mal unterschlägt (oder auch einfach nicht weiß, weil er den Report gar nicht vorliegen hat): den Unfall selbst haben ausschließlich die Italiener untersucht. Der amerikanische und der deutsche Teil des Berichts beziehen sich lediglich auf die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften bzw. die Hilfsmaßnahmen nach dem Unglück; eine Kontrolle des Italo-Teils durch die anderen fand nicht statt. Daß der italienische Bericht bis heute Verschlußsache ist (im Bonner Verteidigungsausschuß war er vorige Woche überhaupt nicht aufzutreiben), ist wohl auch kein Grund zu besonderem Vertrauen in die zu Gärtnern gemachten Böcke.

Auch der vom 'Spiegel‘ mit der Bemerkung „absurd“ („una cosa assurda“) zitierte Vorsitzende des italienischen Parlamentsausschusses zur Aufklärung von Attentaten, Gualtieri, taugt nicht sonderlich als Experte: Er hat den von seinen Kommissaren — aufgrund der taz-Artikel — angeforderten Militärbericht erst maximal vier Tage vor dem Gespräch mit dem 'Spiegel‘ in die Hand bekommen, war dann zwei Tage durchgehend anderweitig beschäftigt — wann bitte sollte er die gut 4.000 Seiten Berichte durchgeackert haben, um sich ein Urteil zu bilden?

Noch wackeliger der 'Spiegel‘- Angriff Nr.2: Daß die beiden Piloten gar nichts von dem DC9-Abschuß gesehen haben können, weil sie einige Minuten vorher bereits wieder gelandet waren. Das hatte auch keiner behauptet — die 'Spiegel‘-Detektive haben schlicht danebengelesen. In der taz hatte es ausdrücklich geheißen, daß die beiden sich kurz vor dem Absturz in der Luft befunden hatten und nicht während, und weiter, sehr vorsichtig: „Möglich, daß die beiden nicht viel zu sagen gehabt hätten oder auch nichts gesagt hätten“. Das, was die beiden aber hätten bestätigen können, war nicht minder explosiv: die Tatsache, daß Militärjets während des Fluges der DC9 von Bologna nach Palermo in der Luft gewesen sind — genau das aber hat die Luftwaffe noch in ihrem Abschlußbericht im Mai 1989, lange nach dem Tod der beiden in Ramstein, geleugnet. Erst jetzt, mit dem Wiederauffinden der (zwischendrin verschwundenen) Liste der zur Flugzeit der DC9 eingesetzten Militärpiloten sowie einer eben aufgetauchten offiziellen Warnung vor „starkem Militärflugverkehr“ um Sizilien für den gesamten Unglückstag, fiel das Lügengebäude zusammen.

Keine Erwähnung ist dem 'Spiegel‘ auch die Tatsache wert, daß von mehreren Flügen zu dieser Zeit ausgerechnet jener der beiden Ramstein-Piloten im Radarprotokoll ihres Standortes Grosseto getilgt war. Daß die beiden vernommen werden sollten, geht aus der Generalbegründung der Ermittlungsbehörde für die Beschlagnahme der Listen hervor — nicht nur der von Grosseto, sondern z. B. auch des Stützpunkts Licola. Dies wurde auch niemals dementiert, so hatte die taz-Nachfrage bei der Pressestelle der römischen Staatsanwaltschaften bereits vor dem ersten Ramstein-Artikel ergeben, nachdem in Italien entsprechende Zeitungsberichte erschienen waren.

Der dritte Fäll-Versuch gilt dem von der taz unter anderem im Rahmen verdächtiger Todesfälle genannten, im März 1987 erhängt aufgefundenen Radarlotsen Dettori, der unmittelbar nach dem DC9-Absturz zu Hause von einem „beinahe ausgebrochenen Krieg“ gesprochen hatte: Er sei, so dekretiert es der 'Spiegel‘, ganz klar durch Selbstmord geendet. Beweis: „Was das Blatt (die taz) unterschlug: Seit Jahren befand sich Dettori in therapeutischer Behandlung. Er litt an Depressionen.“ Falsch: Dettori litt nicht an Depressionen (und schon gar nicht seit Jahren), sondern konsultierte einen Therapeuten wegen nervöser Erschöpfung — weil er sich ständig verfolgt fühlte; und das möglicherweise nicht zu Unrecht. Seine Ängste begannen, als Staatspräsident Cossiga im August 1986 in einer spektakulären Rede von seiner eigenen früheren Version (er war 1980 Ministerpräsident) eines Maschinenschadens der DC9 abrückte und volle Aufklärung des Ustica-Desasters vesprach — und der Mitwisser Dettori gleichzeitig sozusagen aus dem Verkehr gezogen wurde. Man versetzte ihn nach Frankreich und verbannte ihn dann auf einen Schreibtischposten. Wenige Tage vor seinem Tod begann die Militärkommission mit ihrer Arbeit, die alles daransetzte, die Wahrheit nicht herauskommen zulassen — auch Dettoris Name war übrigens aus der Liste der damals diensttuenden Radarlotsen getilgt worden.

Ähnlich mysteriös ein weiterer Todesfall, dem des Feldwebels Zammarelli, der mit der Bergung einer gleichzeitig mit der DC9 abgestürzten lybischen MIG23 zu tun hatte: Er war kurz vor Ramstein umgekommen, „angeblich bei einem Straßenunfall. Er soll von einem Motorrad angefahren worden sein“, so wörtlich die taz. 'Spiegel‘-Schelte: „In diesem Fall hat die taz ganz offensichtlich entscheidenden Fakten über den Hergang des Unfalls weggelassen: Auch die beiden Motorradfahrer, die nach der taz-These logischerweise die Attentäter gewesen sein müßten, starben bei dem Zusammenprall...“. Genau das war nicht der taz-Zweifel, und das Wort „angeblich“ bezieht sich für jeden, der Deutsch versteht, auf „Straßenunfall“: Daß einer von einem Motorrad totgefahren wird, dennoch laut Gerichtsmediziner keinerlei äußere Verletzungen davonträgt, ist schon sehr merkwürdig; daß der Arzt dann „vermutlich Rückgratbruch“ schreibt, ohne eine Autopsie anzuordnen, noch erstaunlicher. Die Zweifel — die nicht die taz, sondern den Untersuchungsrichter Priore zur Nachuntersuchung des Falles veranlaßt haben — beziehen sich auf die Frage, wie Zammarelli denn unters Motorrad geraten war — lebendig oder vielleicht schon tot? Keine absurde Frage, bedenkt man, daß die Ustica-Spurenverwischer zur Verschleierung der Absturzzeit der lybischen MIG23 eine Leiche neben das Cockpit legten, die dann sofort verweste — was nach dem Urteil der Gerichtsmidiziner nur bei einem gerade aus dem Tiefkühlfach geholten Kadaver passiert.

Wer mit derart wackeligen Einwänden hantiert wie die 'Spiegel‘- Schreiber, muß natürlich am Ende der Sache doch noch einen glaubwürdigeren Dreh verpassen. Und so setzten sie in ihren Artikel denn ein Foto des Untersuchungsrichters Priore, der die Ustica-Sache seit Mitte 1990 bearbeitet. Text dazu: „Untersuchungsrichter Priore: Absolute Räuberpistole“.

Wie schön. Das Zitat stammt freilich, vgl. 'Spiegel‘-Text, nicht von Priore, sondern von dem Wormser SPDler Gerster. Der 'Spiegel‘ hatte vergeblich versucht, den Untersuchungsrichter zu interviewen, und als die Italienredakteurin Valeska von Roques dem taz-Kollegen vorflunkerte, Priore habe ihr gegenüber alles für Unfug erklärt, ließ der Chefermittler auf Nachfrage dies über seinen persönlichen Sekretär Paolo Musio sofort dementieren: „Es hat keinerlei Gespräch in diesem Sinne gegeben“.

Auch mit dem Foto selbst hat es so seine Bewandtnis. Da der 'Spiegel‘ den Richter nicht vor die Linse bekam, forderte er ein Bild an — bei der taz in Berlin. Und hätten sie den unteren Bildrand nicht weggeschnitten, wäre nämlich zu sehen gewesen, daß Priore den taz-Artikel über Ramstein auf dem Schreibtisch hatte: Das Foto stammte von der eineinhalbstündigen Vernehmung des taz-Korrespondenten zur Sache vor zweieinhalb Wochen. Aber das hätte kaum zu der 'Spiegel‘-Behauptung gepaßt, für Priore spiele Ramstein „keine Rolle“.

DC9: Linienmaschine, die am 27.Juni 1980 auf dem Flug von Bologna nach Palermo über dem Mittelmeer abstürzte, 81 Tote. Die Erklärung der Regierung lautete: Maschinenschaden oder Explosion an Bord. Erst 1987 wurden Wrackteile geborgen. Seither gilt ein Abschuß durch eine Rakete als wahrscheinlich.

Ustica: Mittelmeerinsel, ca. 80 Kilometer nördlich von Palermo, nahe der die DC9 ins Meer stürzte.

Lybische MIG23: Militärmaschine, nach Behauptungen der italienischen Behörden am 28.Juli 1980 im Sila-Gebirge an der unteren Stiefelspitze (etwa in Höhe von Ustica) abgestürzt, Pilot umgekommen. Neue Erkenntnisse machen wahrscheinlich, daß die Maschine schon drei Wochen früher, und zwar genau in jenen Minuten zu Boden gegangen ist, in denen auch die DC9 vom Himmel fiel.

Frecce Tricolore: Italienische Kunstflugstaffel, die am 28.August 1988 bei einer Flugshow über Ramstein einen Unfall verursachte, bei dem neben drei Piloten 67 Zuschauer ums Leben kamen und an die 400 verletzt wurden.

Nutarelli und Naldini: Der Solopilot bzw. der Kommandant der Frecce-Staffel, beide umgekommen. Die beiden waren ausweislich einer kurz vor Ramstein beschlagnahmten Einsatzliste des italienischen Militärs während des Flugs der DC9 aufgestiegen und kurz vor dem Unfall wieder auf ihre Basen in Grosseto zurückgekehrt. Nach dem Tod der beiden verschwand die Liste wieder aus den Akten und tauchte erst Ende 1990 wieder auf. Damit starb die Version der Militärs, es habe zur Stunde des DC9-Fluges keinerlei Bewegungen der Luftwaffe gegeben. rai