Kindererheiterer & Erwachsenentröster

■ Die Licideis aus Leningrad spielen in der UFA-Fabrik

Keine Angst! Sie müssen die Seelen Ihrer Kindheit nicht bis zum Anschlag aufreißen, um auf Ihre Kosten zu kommen. Gehen Sie trotzdem hin! Die Licedeis aus Leningrad sind wieder in Berlin. »Tchourdaki« heißt ihre neue, Paris- erprobte Produktion, was soviel bedeutet wie »komischer fremdartiger Mann«. »Tcherdak« ist das russische Wort für Dachboden, und dieser Dachboden bildet das Ambiente für das Spiel der neunköpfigen Truppe komischer Menschen. Leider ist der Dachboden (die sehr enge Bühne der UFA-Fabrik) viel zu klein für die Grandezza der Truppe, eine Spur zu muffig und zu nostalgisch, ahnenhaft mit Ramsch, Klamotte und Requisite überfrachtet. Als Meister ihres Fachs könnten die Licedeis wunderbar ohne den Rahmen eines Theaterstücks auskommen, sie brauchen weder Geisterstundenklamauk, noch Dachbodenromantik, und so behindert der kleinformatige Dachboden bloß den ungehemmten Bewegungstrieb, mit dem sie das gewarnte Publikum bestürmen: »Wir fangen jetzt an. Die Artisten benutzen den ganzen Raum, wer also Angst hat, der möge jetzt gehen!« Tatsächlich muß sich das Publikum mit Wasser bespritzen und fülligen Kissen beschmeißen lassen, denn Clowns, die geborenen Grabscher, fassen gern an, was ihnen in die Quere kommt und besteigen nicht nur Tische, Stühle und Schränke. Aber unnötig, sie überhaupt in Konkurrenz mit der Requisite betrachten zu wollen, sie könnten genauso erfolgreich den luftleeren Raum bespielen, denn die Clownsnummer entsteht nicht vor dem Hintergrund eines theatermäßigen Interieurs, sondern aus der scheinbar zufälligen Begegnung mit dem unvermuteten Detail, in dem der berühmte Teufel steckt.

Wie alle guten Clowns sind die Licedeis immer dann am besten, wenn sie den Raum um sich herum vollkommen vergessen machen und einen neuen, imaginären Raum entstehen lassen, in dem sie unsichtbar Flöhe beschwören, Steine futterneidisch in Kartoffeln verwandeln oder untaugliche Tennisschläger wie kleine Kinder in den Schlaf wiegen, um sich im selben Moment damit zu rasieren oder gegenseitig zu guillotinieren. Sie bekämpfen sich mit Bumerangs, Puppenköpfen und -beinen, bedrohen das Publikum mit fliegenden Besen (und siehe, die Zuschauerin duckt sich folgsam!), üben sich in Angriff und Verteidigung und proben stundenlang die schwierige Kunst des Salutierens. Natürlich gerät dem traurigen Clown die Handbewegung nicht zackig genug, immer wieder fällt ihm die Hand herab, von der er nicht weiß, an welcher Stirnseite er sie eigentlich anzubringen hat. Der große böse Weiße, der abwechselnd mit beeindruckend langem Atem und bemerkenswerter Stimmqualität den eitlen italienischen Todestenor und den großen Diktator mimt, indem er vor einer winzigen schwingenden Weltkugel in unmißverständlichem internationalen Kauderwelch den ultimativen Weltschlachtplan propagiert, kontrolliert ihn peinlich, bis es zum Ausbruch kommt und die puppenbewehrte Horde auf gelbschwarzen Zebras die Bühne stürmt!

Plakativ artistisches Auftreten ist den Licedeis fremd. Sie lieben die kunstvolle, zärtliche Nummer, und dafür liebt sie das Publikum. Der schönste von ihnen trägt einen weiten gelben Overall und riesige Plüschpantoffeln, die uns für Momente die Illusion eines herrlichen süßen Lebens des ewigen Müßiggangs vorspiegeln. Er kommuniziert seine Gefühle von Unterdrückung und Angst, Aggression, Zärtlichkeit und Enttäuschung mit Hilfe des unvergleichlichen akustischen Charmes eines quäkenden Pfeifchens, das so deutlich zu uns spricht, daß wir auch einen gelben Overall möchten. Später vergnügt er sich mit zwei überdimensionalen Telefonen, rot und gelb. Einsamkeit ist ihm fremd, er ist sich selbst der Partner, springt behende vom einen zum anderen Telefon und raunt sich schäkernd mit süßester Stimme Versprechungen ins Ohr, die er am anderen Telefon mit brutaler Zärtlichkeit erwidert. Aus purer Freundlichkeit flicht er hie und da auch mal ein deutsches Wort ein, soweit ich verstanden habe: »UFA- Fabrik, jaja ... in zwei Minuten ...« und ordnet rasch sein wildes Haar fürs Rendevouz. Felicitas Hoppe

Die Licedeis sind in der UFA-Fabrik jeweils um 21 Uhr am 3./5./6. und 7. April. Kartenvorbestellung dringend empfohlen!