Der Haß kommt zwangsläufig

Joshua Sobol über „Jerusalem Syndrom“ und die Gefahr des Fundamentalismus im Mittleren Osten. Ein Gespräch  ■ Von Jürgen Berger

Die Stücke von Joshua Sobol treffen sein Land Israel im Nerv. In „Ghetto“ zeigte er, daß auch Juden in der Nazizeit mit ihren Unterdrückern kollaborierten. Als „Die Palästinenserin“ 1985 im Stadttheater Haifa uraufgeführt wurde, mußten Sobols Landsleute die Mißhandlung einer jungen arabischen Frau durch Israelis auf der Bühne erleben. Der derzeit bedeutendste Dramatiker Israels reizt vor allem konservative und rechte Politiker. Sein jüngstes Stück „Das Jerusalem Syndrom“ veranlaßte eine Parlamentarierin der ultrarechten Tehia-Partei zu der öffentlichen Aufforderung, er möge doch Selbstmord begehen. Das Stück ist ein apokalyptischer Reigen aus Gewalt, Haß und Verstümmelung. Sobol macht darin den jüdischen Fundamentalismus für die Möglichkeit einer Katastrophe im Mittleren Osten mitverantwortlich. In der Knesset wurde ein Verbot des Stückes diskutiert, während der Uraufführung vor drei Jahren kam es zu organisierten Störaktionen — Joshua Sobol trat als Leiter des Theaters in Haifa zurück. Der 40. Jahrestag der israelischen Staatsgründung stand vor der Tür, in den von Israel besetzen Gebieten hatte die Intifada, die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen israelischem Militär und palästinensischen Jugendlichen, einen ersten Höhepunkt erreicht. Joshua Sobols „Das Jerusalem Syndrom“ wurde seit der Uraufführung nicht mehr gespielt und wird am 4. April in Deutschland erstaufgeführt.

taz: Hat sich in den letzten Jahren etwas an ihrem Verhältnis zu Israel verändert?

Joshua Sobol: Solange Israel nicht mehr Anstrengungen unternimmt, ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern anzustreben, werde ich ein Kritiker der israelischen Politik bleiben. Ich denke so, obwohl ich weiß, daß ein Teil der Verantwortung für den permanenten Konflikt bei der Führung der Palästinenser und den arabischen Ländern liegt.

Nach den Vorfällen um Ihr Stück wurde Ihr Theater in Haifa finanziell ausgetrocknet. Sie leben seither sowohl in London als auch in Israel. Das Stück markiert aber, denke ich, nicht nur einen Bruch in Ihrer persönlichen Geschichte?

Das ist richtig. Das „Jerusalem Syndrom“ war für mich auch der Abschluß des sehr wichtigen Versuches, politische und soziale Probleme unseres Landes durch eine andere Art von Theater auszudrücken. Ich wollte die historisch gewachsenen Probleme in einer Form auf die Bühne bringen, die nicht plakativ ist, und habe deshalb kein reines Dialogstück, sondern ein Stück mit inneren Monologen geschrieben, wie man das aus der Prosa von James Joyce kennt. Es ging mir nicht um den inneren Monolog eines Individuums, sondern um die innere Verfassung einer Gesellschaft.

Ihr Stück zeigt immer wieder den Ausbruch von Haß und Gewalt. Um die Wurzeln für dieses Verhalten auf seiten der Juden aufzuzeigen, gehen Sie weit in die Geschichte zurück — bis zum jüdischen Aufstand und der Erstürmung der Bergfeste Masada durch die Römer.

Es hat mich sehr interessiert, wie das jüdische Gruppenbewußtsein entstand und wie sich das Unterbewußte bei den Juden Bahn bricht. Der Aufstand von Masada und die historische Erfahrung der Niederlage gegen die Römer 73 n. Chr. markiert den Verlust unserer Unabhängigkeit. Mein Volk ist seither in der Tat ein gefährdetes Volk, macht seit Masada aber den Fehler, immer andere für Bedrohungen verantwortlich zu machen und die eigene Geschichte in ein schmeichelhaftes Licht zu rücken.

Könnten Sie näher erklären, welchen historischen Einschnitt Masada in die Geschichte der Juden bedeutet?

Nach der Revolte von Masada konnte sich das Judentum nicht mehr als offene und heterogene Gesellschaft organisieren, weil sich während der Revolte jüdische Fundamentalisten an die Spitze setzten. Die Niederlage gegen den äußeren Feind war gleichzeitig der Sieg der Fundamentalisten innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Von da an hatten wir bis zur Staatsgründung Israels und der Entstehung des Zionismus ein monolithisches Judentum.

Anders als frühere Stücke ist „Jerusalem Syndrom“ stark symbolisch aufgeladen. Ich habe den Eindruck, daß sich die Zeitebenen des Masada-Aufstandes und eines verwüsteten Israels der Zukunft vermischen.

Als ich das Stück 1986/87 schrieb, hatte ich das Gefühl, Gespenster aus der Vergangenheit kämen wieder an die Oberfläche und würden immer mehr Macht gewinnen. Es war die Zeit von Khomeini, während gleichzeitig in Israel wieder fundamentalistische Strömungen Oberhand gewannen. Es war, als breche eine furchtbare Krankheit aus, die aus der Vergangenheit kommt und die Zukunft zerstört. Ein wichtiges Merkmal der Krankheit ist, daß die Fundamentalisten Rituale benutzen, um Menschen zu fanatisieren.

Für die schreckliche Möglichkeit einer totalen Verwüstung des Mittleren Ostens machen Sie auch rechtsgerichtete Landsleute verantwortlich, deren politische Heimat unter anderem der Likud-Block ist. Was müßte geschehen, um deren Einfluß wieder einzudämmen?

In der gegenwärtigen Situation müßten sich die vernünftigen Menschen in Israel allen Argumenten in bezug auf Gebietsansprüche widersetzen, die auf religiösem Fundamentalismus basieren. Wenn wir mit unseren Konflikten in der arabischen Welt zurecht kommen wollen, müssen wir versuchen, unsere Sicherheitsinteressen mit rationalen Argumenten zu vertreten, was schwierig genug ist. Mit Saddam Hussein ist uns doch noch einmal ganz klar vor Augen geführt worden, daß der Mittlere Osten von einer Welle des Fundamentalismus geschüttelt wird und daß sich alle Kriegstreiber der Region — auch die in Israel — dieses Fundamentalismus' bedienen.

Wo liegt in Israel die Scheidelinie zwischen rational vertretbaren Sicherheitsinteressen und Kriegstreiberei?

Wenn die Likud-Regierung zum Beispiel sagt, die Westbank würde niemals aufgegeben, dann ist das eine fundamentalistisch-irrationale Position. Denn im Zeitalter der Cruise-Missiles hat dieses besetzte Territorium keine strategische Bedeutung mehr und bringt keinen Zuwachs an Sicherheit für Israel. Dahinter steht der Traum von Groß-Israel und die Sehnsucht nach dem gelobten Land. Hinzu kommt, daß viele von denen, die religiöse Argumente benutzen, alles andere als religiöse Juden sind. Sharon ißt Shrimps und kümmert sich nicht um die Gesetze des koscheren Essens. Dasselbe gilt für Zeevi, den Führer der „Heimat“-Partei, der offen davon spricht, alle Palästinenser aus Israel auszusiedeln. Politiker wie sie haben ein Interesse daran, den Riß zu vertiefen, der heute quer durch alle sozialen Gruppen Israels geht. Rechts stehen die Falken, in deren Reihen sich selbst Sozialisten befinden, links die Tauben, bei denen man orthodoxe Juden finden kann. Die Falken verweigern jeglichen Dialog mit den Palästinensern.

Hat sich durch den Golfkrieg Ihre Haltung verändert?

Ich denke immer noch, daß es nur eine Lösung des Konflikts gibt, so schwierig sie auch zu erreichen sein mag: ein ausgehandelter Friedensvertrag mit den Palästinensern. Nach dem, was jetzt während des Golfkrieges passierte, habe ich meine Haltung gegenüber den Palästinensern allerdings in einem Punkt geändert. Ich denke, daß die PLO mit Arafat an der Spitze — der nur noch in teuren Hotels lebt und jeglichen Kontakt zu seinem Volk verloren hat — kein Verhandlungspartner mehr ist. Arafat schlug sich opportunistisch auf die Seite Saddam Husseins und handelte damit gegen die Interessen der Palästinenser. Denn wie Hussein mit ethnischen Minderheiten umspringt, sieht man am Beispiel der Kurden. Dasselbe gilt für Scheich Tamimi von der Hamas-Partei, deren Einfluß im palästinensischen Lager zunimmt. Tamimi sagte während des Golfkrieges in einer Rede, Gott will, daß die Araber die Juden abschlachten. Wenn junge Palästinenser derzeit mit Messern auf Juden losgehen, dann ist das ein Ergebnis solcher Reden. Leute wie Arafat und Tamimi sind eine Katastrophe für die Palästinenser und nicht ihre Repräsentanten. Mein Schluß: Demokratische Wahlen einer legitimierten palästinensischen Führung sind Voraussetzung für Verhandlungen zwischen Juden und Palästinensern. Ich hoffe, daß Leute wie Arafat und Tamimi nach Wahlen keine Rolle mehr spielen.

Bräuchten die Palästinenser nicht zuerst mal ein Land für sich?

Nein. Zuerst brauchen sie Repräsentanten, mit denen überhaupt über Land verhandelt werden kann.

Und wie sähen die ersten Schritte Israels aus?

Eine Entflechtung muß stattfinden. Dazu müßten wir sofort die besetzten Gebiete verlassen. Jerusalem ist und bleibt ein Sonderproblem.

Wenn man sich die Landkarte ansieht, fragt man sich, wo ein Palästinenserstaat entstehen könnte.

In der Westbank und dem Gazastreifen. Und dann müßte investiert werden, um diese Gebiete so zu entwickeln, daß Menschen dort leben können. Durch Investitionen der reichen Länder in die Urbarmachung der Gebiete gäbe es dort auch Arbeit für die Palästinenser. Ich weiß, das hört sich wie Utopia an, aber es ist die einzige Chance für den Mittleren Osten. Daß so etwas funktionieren könnte, sehen Sie an Kuwait. Dort gab es Arbeit, und die Palästinenser kamen, um sich ihr Geld zu verdienen.

Obwohl Sie so argumentieren, herrscht in Ihrem „Jerusalem Syndrom“ Endzeitstimmung. Ich habe den Eindruck, Sie sind eher ein Skeptiker.

Es stimmt, das Stück ist dunkel und voller Skepsis, weil ich immer wieder sehe, daß die Menschen sich in rituell aufgeladene Situationen eines psychotischen Zerstörungsdrangs steigern und sich dabei die Erde unter den Füßen verbrennen.

Am Ende Ihres Stückes brennt Jerusalem, der ganze Mittlere Osten. Daß es so weit kommen konnte, hat nicht nur mit dem Fundamentalismus zu tun. Die Zerstörung schlummert in Ihren Figuren selbst. Zum Beispiel, der junge Soldat, der sich zu Beginn weigert, Tomaten kaputt zu trampeln und am Ende eine Frau erschießt.

Der Weg des jungen Soldaten ist israelische Realität. Junge Menschen verändern sich zwangsläufig, wenn sie die Regierung als 18jährige in ein okkupiertes Gebiet schickt und mit Menschen konfrontiert, von denen sie gehaßt werden. Solch eine Situation zerstört etwas in jungen Menschen, und sie müssen aus reinem Selbsterhaltungstrieb selbst hassen. Als ich den Brand am Ende in mein Stück schrieb, hätte ich nie gedacht, daß meine Vision durch die brennenden Ölfelder so schnell Wirklichkeit wird. Daß Kuwait brennt, zeigt, wie selbstzerstörerisch die Situation im Mittleren Osten ist. Kuwait und Basra liegen so nahe beieinander, daß Husseins Brandstiftung einer massiven Selbstvergiftung gleichkommt.

Mich wundert, daß Sie solche Vorgänge als Spiel im Spiel auf die Bühne bringen. Wie schon in der „Palästinenserin“ ist alles nur eine Theaterprobe. Fürchten Sie nicht, daß Ihr Stück dadurch an Schärfe verliert?

Wissen Sie, ich bin Skeptiker und verhalte mich auch dem gegenüber skeptisch, was ich selbst denke. Deshalb soll der Zuschauer immer sehen: Es wird nur Theater gespielt.

Sind Sie nicht vielleicht auch etwas vor Ihrer eigenen Vision zurückgeschreckt?

Nein, das ist nicht der Grund. Sehen Sie, ich habe gerade heute gelesen, daß man an einer amerikanischen Universität eine kosmische Katastrophe im Computer simulierte. Als man die Resultate analysierte, kam man zu dem Schluß, daß Einsteins Relativitätstheorie in Teilen falsch ist. Das wollte man denn doch nicht behaupten und sagte: Nun ja, es war bloß eine Computer- Simulation und vielleicht stimmt etwas mit unserer Simulation nicht. Ich komme während des Schreibens auch immer zu dem Schluß, daß ich nur Theater produziere und keine dogmatischen Lehrsätze. Vielleicht stimmt es, was auf meiner Bühne passiert, dann läuft etwas in der Welt falsch. Es kann aber auch sein, daß es nicht stimmt, dann läuft bei mir etwas falsch.