Adventskalender oder Factory

■ Das Haus am Deich: Die unbekannteste Kulturstätte Bremens / Bericht vom Bau

Die Vision: Zeitgleich mit der Eröffnung des Neuen Museums Weserburg entsteht in der vorderen Neustadt eine Kunstmeile, mit den Eckpunkten Kommunale Galerie am Buntentor, Theater am Leibnizplatz und Haus am Deich. Haus am was? Ein Bremer Millionenprojekt für die Künste, und keiner kennt es! Tonstudio, Druckwerkstatt, Schlosserei, Holzwerkstatt, Ausstellungsraum und Ateliers bis unters Dach, all das gibt es. Die „älteste“ Hausnutzerin, die Malerin Veronika Dobbers, arbeitet dort seit 1 1/2 Jahren. Ein „Adventskalender, hinter jeder Tür eine Überraschung“. Sagt Jürgen Göpfrich, Vorstandsmitglied des Vereins „Kunstetagen am Deich 68“ und Breminale-Macher. Und Haus-am-Deich-Vater Horst Griese, Grafiker, klagt: „Wir sitzen hier mit angezogener Handbremse.“ Grund: Das Haus am Deich ist seit zwei Jahren eine Baustelle, auf der es zäh vorangeht. Und solange man über Baugerüste stolpert und Unverputzes das Auge beleidigt, will man weder Öffentlichkeit noch ins Auge gefaßte Mäzene zur großen Eröffnungsfete einladen. Angepeilt wird der kommende Jahreswechsel, weil dann die Planungswerkstatt, die den Umbau betreut, ihre Zelte im KünstlerHaus abbricht.

Ein Kompensationsgeschenk des damaligen Kunstsenators „Thomas“ Franke an die Kunstszene war das Haus am Deich vor zwei Jahren, als der Kunstplatz Teerhof bis aufs neue Museum definitiv dem Bauressort zufiel. Das ehemalige Haus einer Edelholzfirma wurde für 1,75 Mio. angekauft, 1/4 Mio. gingen in den Umbau. Die Planungswerkstatt akquirierte eine weitere Million (so gab es Zuschüsse dafür, daß die Klos mit Regenwasser spülen). Einmalig nicht nur für Bremen ist das „wilde Konstrukt“ (Göpfrich) des Projekts: Bei relativ geringem Behördeneinfluß entwickelt sich das Haus am Deich entsprechend den Vorstellungen seiner NutzerInnen, das Konzept wird laufend fortgeschrieben.

Loftcharakter auf 2.000 qm: Eine factory a la Warhol, auf die Giese nicht unkühn verweist? Zur Zeit sind unter einem Dach zwanzig „Nutzungseinheiten“ (mit je einer Stimme im Verein: kein Verbandseinfluß!), darunter der KünstlerInnenverband BBK, die Breminale, (noch) das Schnürschuhtheater, das Fehrfeld Studio, die Gedok-Künstlerinnen, die Druckwerkstatt ,das Tonstudio, Ateliergemeinschaften und Einzelateliers (Ute Ihlenfeld / Gabriele Regiert, Christine Prinz, Jana Grzimek / Frauke Alber, Horst Griese, J.P. Splettstößer, Gustav Gisiger u.a.). Auch Komponisten residieren hier wie der Jazzer Michael Sievert. Die bildende Kunst hat allerdings einen erstaunlich breiten Raum eingenommen, Tendenz steigend. Es scheint im Hause wie sonst nicht auf der Welt eine Kunstlobby zu geben.

Die Hausordnung wächst mit. Neue Mitglieder (es gibt bei 4 DM warm pro qm einen gewissen Andrang) sollen kommunikativ, anwesend und am Haus interessiert sein; vorläufig gilt, um ein Künstlerseniorenheim zu vermeiden, als maximale Verweildauer fünf Jahre. Allgemeines Ziel ist möglichst weiter Abstand vom Staatstropf: Projektfinanzierung über „Dritte“ wird bevorzugt, da will man viel Kreativität und Phantasie investieren. Mit einem Betriebskostenzuschuß von 50.000 DM vom Senat und dem Eigenbeitrag der Mitglieder sind nur zaghafte Sprünge drin. Konzeptuelle Bedeutung hat auch das Gastatelier, das jetzt ausgebaut wird: Auswärtige KünstlerInnen sollen Bremer Blicke weiten, vielleicht einen Monat lang hier wohnen und arbeiten. Ziel könnte eine Installation im Ausstellungsraum sein (hier machte der BBK schon seine mail art Ausstellung); der Raum, der fast nur aus Fenstern besteht, verbietet klassisches Bilderhängen ohnehin).

Als möglicher Hinweis auf die Unabhängigkeit des KünstlerHauses mag gelten, daß, obwohl der behördliche Ansprechpartner das Amt für Breitenkultur ist, man sich dortigen Wünschen nach Vernetzung mit anderen Bremer Kulturinstituten vorsichtig entzieht.

Das Herzstück der Vision eines kunstbewegten linken Weserufers ist allerdings erst im Mai '92 bevölkerbar: Ein Künstlercafe mit Hofbenutzung. Solche Institute lassen bekanntlich keine KunstfreundIn kalt, können sogar Ignoranten zu letzteren machen. Bislang mangelt es noch an der Idealbesetzng des Kunstkneipiers, der „originell und aufgeschlossen ist und nicht am ersten Tag gleich Geld sehen will“. So lautet der Text einer Anzeige in dieser Zeitung, die sich das KünstlerHaus jetzt gespart hat. Was ihm unbedingt gegönnt ist.

Burkhard Straßmann