: Mit »Olympiaflamme« in die Erdgaszukunft
■ Die Berliner Gaswerke haben mit der Umstellung von der Stadtgasversorgung auf die Erdgasdirektverteilung für West-Berlin begonnen/ Umstellung beginnt im Süden Neuköllns und soll im Jahr 2001 beendet sein/ Erdgas ist energiereicher als Stadtgas
Berlin. Ein symbolischer Akt der Berliner Gaswerke (GASAG) sorgte für ein bißchen heiße Luft und unterstrich die historische Bedeutung des gestrigen Tages für die Energieversorgung in Berlin. Auf einer Neuköllner Wiese wurde aus einer eigens angezapften Gasleitung das Stadtgas durch Erdgas aus dem Rohr verdrängt und abgefackelt. Das kleine Flämmchen markierte den Beginn der Direktverteilung von Erdgas aus der Sowjetunion in Westberliner Haushalte und das Ende der Ära des Stadtgases.
Etwa zehn Jahre soll es dauern, bis alle Gasgeräte umgestellt sind. Das sowjetische Erdgas, das seit 1985 aufgrund eines 1983 mit der Sowjetunion abgeschlossenen Vertrages nach Berlin geliefert wird, soll dann nicht mehr wie bisher zu Stadtgas gespalten werden, sondern direkt aus der natürlichen Lagerstätte in den heimischen Ofen geschickt werden. Das hat mehrere Vorteile: die Verluste bei der Umwandlung entfallen, das Gas ist energiereicher und hinterläßt weniger Schwefeldioxid.
Der politische Hintergrund dafür, daß Berlin nun als letztes Ballungsgebiet umgerüstet wird, liegt im Wegfall der alliierten Bevorratungsvorschrift: Vor der Einspeisung des Gases mußte eine Jahresverbrauchsmenge gespeichert werden, um vor Boykotts der Sowjets gewappnet zu sein. Im Juli 1989 hatte die Gasag sogar einen Anschlußstopp verhängen müssen, da die schon damals geplante Direktversorgung mit dem sogenannten »Russengas« geplatzt war. Den Weiterbau eines unterirdischen Großspeichers unterm Grunewald hatten Anwohner bis Anfang dieses Jahres erfolgreich verhindert. Für viele Haushalte, die mit Erdgas heizen wollen, bedeutet die Umstellung nun auch, daß neue Kapazitäten freiwerden.
Gespeichert wird jetzt noch als »Puffer« im ungleichmäßigen Jahreszeitenverbrauch oder als sichere Reserve für technische Störungen. Eine SNG-Anlage kann im Notfall »künstliches Gas« herstellen. Denn das flüchtige Gut kommt von weither: Über eine neue Transitleitung wird es Tausende von Kilometern durch die UdSSR und die Tschechoslowakei geschickt, um dann noch 253 Kilometer auf deutschem Boden zurückzulegen. Bei Buckow erreicht es das Berliner Stadtgebiet.
Hier beginnt auch die Umstellung, die im Bereich Neukölln im März 1993 beendet sein soll. Die Kosten für Umstellungsarbeiten an moderneren Gasgeräten trägt die Gasag, bei Neuanschaffung zahlt sie einen Zuschuß (z.B. 100 Mark für einen Gasherd, 120 Mark für einen Gaswassererhitzer). Als letzte Gebiete sollen im Jahre 2000 Lichterfelde, Lankwitz und Mariendorf ans Rohr gehen. Technische Absprachen in ost-westlicher Richtung mit den bereits erdgasversorgten Ostberlinern gibt es nicht, die Kontakte der Gasag mit dem östlichen Pendant Berliner Erdgas AG sind spärlich.
Nachdem nun das letzte Stadtgas- Flämmchen loderte, erlaubte sich der fackeltragende Staatssekretär für Verkehr und Betriebe, Ingo Schmitt, einen weiteren Blick in die Zukunft. »Die nächste Flamme, die in Berlin entzündet wird«, prophezeite er, »wird die olympische sein.« Karen Pfundt
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