Geschichte einer Einverleibung

■ Der Maler Botero bittet zu Tisch in der Galerie Brusberg

Wie aufgeblasene Wasserbälle treiben die Bilder des aus Kolumbien stammenden Malers Fernando Botero leicht auf dem Bildgedächtnis der Kunstbetrachterin: ob Apfelsine oder Vulkan, Madonna oder Bischof, Adam oder Torero — seine voluminöse Formgebung ist zum unvergeßlichen Markenzeichen geworden. Schon seit 1966 von der Galerie Brusberg vertreten gehört er zu deren Starangebot für Millionäre. Wir übrigen müssen uns an dem lustigen Querschnitt seines Werkes in der Galerie sattsehen. Ein Bericht von Katrin Bettina Müller

Anfang der achtziger Jahre begann Botero im Stierkampf, der sowohl Teil der spanischen Vergangenheit als auch Teil der gegenwärtigen Kultur Lateinamerikas ist, seine Motive zu suchen. Tatsächlich, so behauptet die Biographie des Malers, hatte ein Onkel ihn in seiner Jugend in Kolumbien auf eine Stierkampfschule geschickt, um ihn zum Torero ausbilden zu lassen. Doch statt des Degens ergriff Botero die Pinsel und kaum läßt sich ein seinem Stil widerstrebenderes Thema denken, scheinen doch seine Früchte und Figuren mit den zum Platzen gespannten Oberflächen für die Berührung mit spitzen Gegenständen äußerst empfindlich. Gerade die Ausdehnung ihrer Außenhaut, die unendliche Vergrößerung ihrer Kontaktfläche mit der Welt, fordert ihre Unantastbarkeit. Jedes Wesen wird der in sich ruhenden und vollkommensten Form der Kugel angenähert. Die Thematik des Stierkampfes dagegen vibriert von den Momenten der Gefährdung und der unerwarteten Dynamik.

Verglichen mit seiner Bleistiftskizze eines Pferdes besaß Julio, das aufblasbare Gummipferd, noch schlanke Fesseln. Boteros Stier gleicht mit seinem breitgedrückten Knochenbau einem dickhäutigen Urwelttier. Plastisch wird nicht das Moment der Aktion sondern die Präsenz der massigen Körper, deren Lebendigkeit sich irgendwo in den weiten Hüllen versteckt. Das Leben ist in der Kunst erstarrt.

Vor allem jedoch malt Botero sich selbst als Torero vor einer Arena inmitten einer hügeligen Landschaft: der Kopf quillt aus dem Rüschenhemd, gnomhaft verkleinert wirken die befrackten Arme, der stämmige Unterbau staucht Bauch und Hintern zusammen. Die absurd kleinen Händchen aber halten Pinsel und Palette statt der Mordwerkzeuge des Toreros.

Diese Vertauschung der Waffen des Malers mit denen des Toreros unterschiebt dem schon mythischen Thema vom Maler und seinem Modell eine mörderische Interpretation, die Botero auch in seiner Kurzgeschichte vom Maler, der sein Modell verspeiste formuliert hat. Sein Held Luis Velez Posada, der, ähnlich wie Botero selbst, schon mit Stilleben von Früchten und Küchenutensilien bekannt geworden ist, erschießt, tranchiert und verspeist sein erstes menschliches, wahrhaft köstliches Modell. Die direkte Aneignung eines Gegenstandes durch seine Verspeisung und die abstrakte Form der Reflektion durch die Kunst, auf deren säuberlicher Trennung unsere Zivilisation besteht, wird in dieser Fiktion in eins gesetzt. Die Einverleibung als irrationale Quelle der Kunst schildert Botero bezüglich seiner eigenen malerischen Praxis ein wenig vegetarischer: »Ich habe nie eine Anzahl Gegenstände vor mich hingestellt, um ein Stilleben zu malen, noch habe ich jemals ein Modell genommen, um einen Akt darzustellen. Wenn ich eine Orange malen will, ziehe ich vor, die Orange erst zu essen und sie dann zu malen, [...] Die Schönheit der Natur, als Abenddämmerung oder als schöne Frau, kann sich als schreckliche Banalität entpuppen; dasselbe gilt auch umgekehrt: Die schönsten Figuren aus der Kunstgeschichte wären im täglichen Leben monströs.«

Der Gefahr, seine Kunstwirklichkeit mit von ihm erlebter Wirklichkeit zu verwechseln, baut Botero auch in seinen Bildern vor. Seine Kunst der Deformation kreist und bauscht sich um das malerische Problem der Plastizität, der Transsubstantiation von Bildfläche in Volumen, nicht weniger wundervoll als die von Blut in Wein. Nicht zufällig redet er von Orangen als zu malenden Gegenstand: Früchte-Stilleben und Früchte-Esser ziehen sich durch sein bisheriges Werk, bilden gleichsam dessen Keimzelle. Wie die Vulkane, die er zu Füßen seines himmlischen Personals malt, erscheinen die Früchte explosiv geladen. Das in ihnen vorformulierte Verhältnis von der Schale zum unsichtbaren Kern setzt sich in allen seinen Körpern fort. Botero ist kein Maler der Psychologie oder expressiven Verformung. Geist blitzt in der von ihm gemalten Physis kaum aus den winzigen Augenschlitzen. Jeder ist sein eigener Fußball und kommuniziert nicht mit dem Kosmos der anderen. Das Innere bleibt verschlossen; höchstens in eine angeschnittene Frucht darf man blicken.

Botero begann sein Studium der europäischen Meister in den fünfziger Jahren in Florenz und lebt seit 1974 in Paris. Doch ob er sich in einer Kohlezeichnung des Selbstporträts von Dürer annimmt oder sich eine Infantin von Velazquez einverleibt: der Bilderfresser verdaut alles auf seine Weise, kehrt die aristokratisch veredelten Formen um in flatschige Ausdehnung, walzt den eigenwillig verlängerten Strich platt. Durch diesen, von jeder Berührungsangst freien Umgang mit dem europäischen Kunsterbe entschädigt sich der lateinamerikanische Künstler für die Arroganz der europäischen Kultur gegenüber den kolonialisierten Kontinenten.

Doch ebenso prägen die Zutaten aus der lateinamerikanischen Volkskunst und den religiösen Kulten den Geschmack seiner Kunst. Elemente von Wunderglauben, Naivität und Satire vermischen sich zum Beispiel in seiner 1965 gemalten Madonna und Kind, die zugleich die Adam verführende Eva zitiert. Denn die Madonna steht, statt auf einer Wolke zu schweben, auf einer Schlange, die sich durch eine apfeltragende Baumkrone windet. Dem halslosen Klein- Jesus hält die Madonna mit der einen Hand ein Äpfelchen hin, während in ihrer anderen Hand lässig eine Schleuder pendelt. Botero begnügt sich nicht mit dem metaphorisch sündigen Biss in den Apfel der Erkenntnis, sondern läßt Maria und Jesus gleich mit Äpfeln schießen. So bringt man die Heiligen wahrhaft dem Herzen des Volkes näher. Daß er mit dem Apfel an die Malerei Cezannes, dessen Äpfel zu den Inkunabeln der Geschichte des Problems der Plastizität im Bild gehören, erinnert, verleiht dem Scherz die kunsthistorische Weihe.

Botero — der Maler Bilder und Zeichnungen aus 30 Jahren, Galerie Brusberg Berlin, Kurfürstendamm 213, bis 11. Mai, Di.-Fr. 10-18.30 Uhr, Sa. 10-14 Uhr.