Der Osten bleibt nüchtern

■ Angebliche Einführung der 0,8-Promille-Grenze in Ost-Berlin erweist sich als alkoholisiertes Wunschdenken/ Was gilt auf dem Grenzstreifen?

Berlin. Auch Journalisten schauen manchmal gern etwas tiefer ins Glas: »Heimlich, still und leise«, halluzinierte gestern Berlins bekannteste Springerpostille, gelte bereits in ganz Berlin die 0,8-Promille-Grenze für AutofahrerInnen. Doch flugs goß die Innenverwaltung Wasser in den Wein: Bevor sich der gesamtdeutsche Gesetzesgeber nicht anders entscheide, bleibe die im Einigungsvertrag festgelegte 0,0-Promille- Grenze für das Beitrittsgebiet bestehen. Also: Ost- und West-Berlin bleiben auch weiterhin durch den alkoholischen Grenzstreifen voneinander getrennt.

In ihrer freudigen Trunkenheit saß die 'BILD‘-Zeitung auch in punkto Teströhren einem Irrtum auf. Laut Innenverwaltungssprecher Fissenewert verfärben sie sich nicht etwa erst bei 0,8 sondern bereits bei 0,3 Promille Alkohol im Blut des Wagenlenkers — eine verminderte Fahrtüchtigkeit stellt sich nämlich nach gesicherten Erkenntnissen erst ab dieser Grenze ein. Folglich werden von der Polizei in Ost wie West auch erst dann ernüchternde Maßnahmen getroffen: Sie kann von der Weiterfahrt abraten oder sie im Ostteil gar untersagen. AutofahrerInnen, die mit 0,3 bis unter 0,5 Promille ihren Schlitten durch die Straßen Ost-Berlins lenken, begehen eine Ordnungswidrigkeit, die im Gegensatz zu West-Berlin mit einer Verwarnung geahndet werden kann.

Lenkt die Karre jedoch durch Schlitterbewegungen oder gar einen Unfall die Aufmerksamkeit eines Polizeibeamten auf sich, begeht der/die angesoffene FahrerIn eine Straftat. Wer bei 0,5 bis unter 0,8 Promille Glück hat und keinen Unfall baut, aber trotzdem erwischt wird,riskiert im Osten ein Verwarnungsgeld bis 75 Mark, bei Wiederholung oder Unfall wird ein Bußgeld verhängt. In den Straßen West-Berlins bleiben AutofahrerInnen mit solchen Werten dagegen vor Ordnungswidrigkeitsverfahren sicher.

Ab 0,8 Promille sind die Brüder und Schwestern in Ost wie West dann in seliger Trunkenheit wieder vereint: In jedem Fall wird ein Bußgeldbescheid erlassen und ein Fahrverbot verfügt. Zur Straftat wird die alkoholisierte Fahrt in beiden Teilen der Stadt ab 1,1 Promille.

Unklar bleibt, welche Regelung auf dem Grenzstreifen gilt. Pressesprecher Fissenewert kann sich allerdings nicht vorstellen, »daß sich jemand zur Kontrolle auf die Stadtgrenzen stellt — obwohl es rechtlich möglich wäre«. maz