Keine Anklage trotz Täter

■ Die Staatsanwaltschaft hat vier Todesfälle an der Berliner Mauer weitgehend aufgeklärt/ Tathergang und Täter sind Behörden bekannt

Berlin. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat bisher insgesamt vier Todesfälle an der Berliner Mauer weitgehend aufgeklärt. Tathergang und Namen der Opfer sowie der Todesschützen seien jeweils bekannt, erklärte die Justizpressesprecherin Burghard gestern. Die vier Tötungen werden in der Anklageschrift gegen Erich Honecker angeführt. Zu Anklageerhebungen gegen Ex-Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates, die den Schießbefehl beschlossen hatten, kam es bisher nicht. Auch die der Staatsanwaltschaft namentlich bekannten Todesschützen wurden bis heute nicht angeklagt. Burghard begründete das mit »zu wenig Personal« und dem Anliegen der Staatsanwaltschaft, sich in juristischer Hinsicht zunächst »mit den Befehlsgebern und nicht den Befehlsempfängern« zu beschäftigen. Weitere 200 Todesfälle müssen noch aufgeklärt werden.

In der Anklageschrift gegen Honecker spielt auch das letzte Opfer der Mauer, Chris Gueffroy, eine Rolle. Gueffroy wurde am 5. Februar 1989 beim Fluchtversuch von Treptow nach Neukölln erschossen. Einer der vier beteiligten NVA-Soldaten tötete den 20jährigen durch einen gezielten Schuß in die Brust. Sein Freund, der gleichaltrige Christian Gaudian, wurde damals durch Schüsse in die Beine schwer verletzt. Weitgehende Erkenntnisse über den jeweiligen Tatablauf hat die Staatsanwaltschaft auch über die »Fälle« Michael Schmidt, Silvio Proksch und Michael Bittner. Schmidt wurde am 1. Dezember 1984 durch einen gezielten Schuß getötet. Der 20jährige Zimmermann hatte versucht, die Sperranlagen von Pankow nach Wedding in der Höhe der Nordbahnstraße zu überwinden. Der 25jährige Maurer Michael Bittner wurde am 24. November 1986 durch 31 Schüsse aus Maschinenpistolen regelrecht massakriert. Silvio Proksch wurde am ersten Weihnachtsfeiertag 1983 durch einen gezielten Schuß in den Rücken umgebracht.

Burghard klagte über die »viel zu geringe Kapazität« von ermittelnden Staatsanwälten. In Sachen Schießbefehl und Mauertote recherchieren gerade mal zwei Beamte in Berlin. Man rechne zwar mit weiterer Amtshilfe aus den alten Bundesländern — so sollen die beiden Staatsanwälte bald von einem bayerischen Kollegen unterstützt werden. Trotzdem sei das »immer noch viel zu wenig«, erklärte Burghard weiter.

Auf die Frage, ob man die Grenzsoldaten anklagen solle oder nicht, äußerte sich der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschat 13. August, Rainer Hildebrandt, eher entlastend. »In dem Maße, wie die DDR nicht nur funktional sondern auch psychologisch staatlich anerkannt wurde und auch einige Bundesländer die ‘Zentrale Erfassungsstelle‚ in Salzgitter nicht mehr finanzierten, hat sich bei den Uniformierten der DDR auch die Überzeugung eingenistet, daß die Anerkennung der DDR durch das ‘Ausland‚ Bundesrepublik eine vollgültige geworden ist.« Das hätte sich bei einem Teil der Grenzsoldaten entsprechend ausgewirkt. »So gerechtfertigt die Bestrafung der Todesschützen ist, so gerechtfertigt ist meines Erachtens auch deren Entlastung unter dem genannten Aspekt«, meinte Hildebrandt weiter. ccm