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Russischer Blues à la americain

Pawel Lungins sowjetischer Film „Taxi Blues“  ■ Von Oksana Bulgakowa

Ein Jude in Moskau, aktuelles Thema in Berlin. Hier hausen sie in Asylantenheimen, dort badet der Filmjude in Alkohol und Musik, also einem ephemeren Raum. Den realen zum Leben hat er nicht: Die Frau hat ihn rausgeschmissen, und die Moskauer Miliz ist noch nicht so weit, daß sie an einen obdachlosen Trinker und genialen Saxophonisten kostenlos die 'Prawda‘ austeilt, damit er auf ihr unter der Steinernen Brücke, die zum Kreml führt, übernachten kann. Der Filmjude namens Ljoscha hat alle russischen Eigenschaften: selbstlos, realitätsfremd, hoffnungslos dem Wodka verfallen und hoffnungslos dem Herrgott nahe. So landet er, dem Willen des Drehbuchautors und und Regisseurs Pawel Lungin folgend, bei einem Taxifahrer, einem waschechten Russen namens Iwan. Der Grund dafür ist trivial: Schulden. Der Filmrusse hat eiserne Muskeln und einen eisernen Willen und natürlich alle „jüdischen“ Eigenschaften: Geschäftssinn, Realitätsgefühl, Schlauheit. Ein perfektes Filmpaar, das aus „national-vertauschten“ Antagonismen besteht: Sklave und Herr, Intellektueller und Volk, Geist und Fleisch, Schlendrian und Pragmatismus.

Einen ganzen Film lang wird der Zuschauer beobachten, wie die beiden ohne einander nicht auskommen und wie der Haß in Haßliebe übergeht. Die harte Geschichte von Männerfreundschaft und Verrat (nach ungebrochen wirksamem amerikanischem Muster) und eine Umerziehungsgeschichte (nach der gebrochenen sozialistisch-realistischen Regel). Iwan haßt das Leben, und weil er es kaum ändern kann, versucht er, wenigstens seinen Sklaven, den Artisten, zu ändern, den Juden, dem die Patrioten inzwischen die Schuld an allem zuschreiben: an der Oktoberrevolution, an Stalins Terror und am Untergang Rußlands. Solch dicke und schwer durchschaubare ideologische Polster hat der Film. Während man die Umerziehungsgeschichte als ironisch genießen kann (der Taxifahrer folgt den Ratschlägen der sozialistischen Dramen — Arbeit schafft den Menschen — und zwingt den Musiker, natürlich erfolglos, „richtig“ zu arbeiten und gesund zu leben), geht es bei dem „amerikanischen“ Dramenmuster mit heiligem Ernst zur Sache. Als der Musiker plötzlich nach Amerika (!) entwischt (also in einen noch imaginäreren, noch mehr ephemeren Raum), als Star zurückkommt, sinnlose glitzernde Geschenke hinterläßt und wieder verschwindet, fackelt der verlassene und verratene Iwan nicht lange und ist bereit, den geliebten Sklaven zu töten. Die rasante Jagd mit einem „Wolga“ hinter einem „Mercedes“ durch Moskau endet mit dem Stopptrick der zwei brennenden Autowracks. Doch keiner stirbt — alle landen dort, wo sie hingehören: der Musiker in der Klapsmühle, der Fahrer bei den Patrioten. Die Einzelgänger haben ihre Gemeinschaften gefunden.

Die Story hat von allem etwas: halb Märchen, halb Parabel, hart und sentimental und dazu ein bißchen arrangiertes Moskauer Chaos. Dort steht man Schlange, trinkt man kastenweise Wodka und macht Schiebergeschäfte mit Gestohlenem. Schmutz wirkt immer überzeugend.

Der Film, das Debüt des 41jährigen Drehbuchautors und Sohns eines bekannten Drehbuchautors, hat bereits einen doppelten Sieg davongetragen: In Europa bekam er den Regiepreis in Cannes, in den USA gelangte er in den kommerziellen Verleih, noch immer die große Ausnahme für einen sowjetischen Film, der mit französischem Geld koproduziert wurde (ein Traumbeispiel für Symposien à la „Europa ohne Grenzen“). Die Franzosen waren wahrscheinlich angetan vom fotogenen Schmutz, dem neuen cineastischen Schauwert des sowjetischen Kinos (zwischen Kleine Vera und Freiheit ist ein Paradies). Die Amerikaner waren womöglich angenehm berührt durch die Übertragung ihrer Dramenmuster auf das sowjetische Leben.

In jedem Fall aber bietet Taxi Blues ein hinreißendes Männertrio: Pjotr Mamonow, ein russischer Rockmusiker, als der Jude Ljoscha; Pjotr Sajtschenko, ein Provinzschauspieler, als russischer Iwan, und im Off der sowjetische Jazzmusiker Wladimir Tschekasin, der Taxi Blues die Stimme seines Saxophons gegeben hat. Wenn er für Mamonow-Ljoscha spielt, spielt es keine Rolle mehr, welchen Noten der Film folgt.

Pawel Lungin: Taxi Blues. Kamera: Denis Jewstignejew. Mit Pjotr Mamonow, Pjotr Sajtschenko, Wladimir Kaspur u.a. UdSSR/ Frankreich 1990, 110 Min.

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