Tour d'Europe

■ EG — Objekt der Begierde

Kaum haben sie den Warschauer Pakt aufgelöst, wollen sie alle zur EG und in die Nato. „Polen will keine Pufferzone sein, es will nicht dazwischen liegen“, weiß der polnische Botschafter in Bonn zu berichten. Der Präsident Bulgariens befürchtet, daß „der Balkan eine Quelle ernsthafter Instabilität ist, die auch auf Bulgarien übergreift“. Deshalb müßte Bulgarien mindestens den Status eines assoziierten Mitglieds bei der westlichen Allianz bekommen. Dasselbe fordert Vaclav Havel für sein Land: Osteuropa werde andernfalls „in ein politisches, wirtschaftliches und militärisches Vakuum abrutschen“, das für Westeuropa mindestens so gefährlich sei, wie vormals die Armeen des vergangenen Montag aufgelösten Warschauer Pakts.

Der Präsident der CSFR besuchte vor zwei Wochen die Hauptquartiere der EG und der Nato in Brüssel. Er ergriff damit als erster die Hand, die die Atlantische Allianz den Staats- und Regierungschefs der Länder Mittelosteuropas einschließlich der Sowjetunion bei ihrem Londoner Gipfel im Juli letzten Jahres hingehalten hatte. Vom Feuerwerk demokratischer Aufbrüche in Mittelosteuropa geblendet, hatte die Nato damals zum Besuch in Brüssel geladen. Was als spektakuläre Demonstration der gewandelten Rolle des Bündnisses gedacht war, wird inzwischen als eine äußerst heikle Geste gewertet. Schließlich will man die Brüder und Schwestern von der anderen Seite Europas auf absehbare Zeit weder in der Europäischen Gemeinschaft noch in der Nato haben.

Warum nicht? Weil ein Beitritt der Sowjetunion zur Nato undenkbar wäre, der Beitritt ihrer früheren Alliierten sie andererseits isolieren und damit die Hardliner im sowjetischen Militär stärken würde. Dies möchte man verhindern und statt dessen beide Supermächte „in Europa halten“. Soweit die offizielle Begründung; inoffiziell wird jedoch zugegeben, daß das neue Denken die Nato-Hierarchie noch bei weitem nicht durchdrungen hat. Im Gegenteil: Die Schwierigkeiten der auseinanderfallenden Supermacht beleben die alten Feindbilder. Die Rolle der mittelosteuropäischen Länder als Puffer paßt dabei bestens ins Konzept.

Um die Ostler nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen, wird darüber nachgedacht, sie zumindest enger an die Westeuropäische Union zu binden. Die Grenze der möglichen Zusammenarbeit zieht jedoch auch WEU-Generalsekretär van Eekelen sehr eng: Informationsaustausch wie mit der Nato ist möglich.

Die Türkei will der WEU beitreten, „um ihre Beziehungen zur EG zu intensivieren“. Kürzlich erklärte Turgut Özal in Izmir, es sei richtig gewesen, sich während des Golfkriegs proamerikanisch zu verhalten. Hätte sich die türkische Regierung im Zweiten Weltkrieg ebenfalls auf die Seite der Alliierten gestellt, statt neutral zu bleiben, wären der Türkei damals sicherlich die griechischen Inseln der Dodekanes zugesprochen worden, so Staatspräsident Özal.

In griechischen Ohren klingt das so bedrohlich wie Kriegstrommeln, zumal durch die Waffenlieferungen der USA an die Türkei das Verhältnis der US- Waffenlieferungen an Griechenland und die Türkei, das seit der Zypernkrise traditionell sieben zu zehn betrug, auf vier zu zehn verschoben wurde. In diesen Tagen beginnen jedoch die Verhandlungen über den Eintritt Griechenlands in die WEU. bull/bel