DAMALS WAR'S
: Europäische Gemeinschaft im Windschatten der Nato

■ Die Militärgeschichte der EG von der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ zur „Westeuropäischen Union“

Gegen die Pläne, die EG zur Militärmacht aufzurüsten, regt sich Widerstand — nicht nur im Brüsseler Nato-Hauptquartier oder im Weißen Haus, wo man um den Bestand der Nato fürchtet. Auch untereinander sind sich die Zwölf nicht im geringsten einig. Denn gerade im Bereich der Militärpolitik wiegen die nationalen Vorbehalte gegen eine Abgabe von Souveränität an eine übergeordnete EG-Institution traditionell am schwersten. Dies ist eine Erfahrung, die die Väter der Europäischen Gemeinschaft bereits vor 37 Jahren machen mußten.

Im September 1950 hatten die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten die Aufstellung einer europäischen Armee unter westdeutscher Beteiligung vereinbart. Im Gegenzug wurde die Bundesregierung „als einzig freie und gesetzlich konstituierte deutsche Regierung“ anerkannt. Die Besetzung Deutschlands sollte aufgehoben werden. Das Abkommen zur Bildung der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) sollte nach den Vorstellungen des damaligen französischen Ministerpräsidenten Ren Pleven die von Bundeskanzler Konrad Adenauer und der US-Regierung betriebene Wiederaufrüstung Deutschlands neutralisieren. Sein Plan sah vor, die neugebildeten deutschen Streitkräfte möglichst eng in eine europäische Armee zu integrieren, um deutsche Alleingänge auszuschließen. Aber auch die nationalen Heere der anderen Mitgliedsländer Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und der Niederlande sollten in dieser europäischen Armee aufgehen. Das Kommando wollte man einem europäischen Verteidigungsminister übertragen.

Der Aufbau einer supranationalen Streitmacht implizierte allerdings den Verzicht auf einen wesentlichen Teil nationalstaatlicher Souveränität. Deswegen beteiligte sich schon damals Großbritannien nicht an dem Projekt. Und auch in Frankreich bekam man es schließlich mit der Angst vor dem Schneid der „Europäer“ in den eigenen Reihen zu tun. Zwar unterzeichnete man noch zusammen den EVG-Vertrag am 27.Mai 1952 in Paris; im März 1953 stimmte der Bundestag zu. Der Vertrag wurde jedoch nie wirksam, weil die Mehrheit der französischen Nationalversammlung am 30. August 1954 die Ratifizierung verweigerte.

Statt dessen ordneten sich die Westeuropäer nun der US-dominierten Nato unter. Das Nordatlantische Bündnis war bereits 1949 gegründet worden, um, so die offizielle Lesart, Westeuropa vor der wachsenden Bedrohung durch die Sowjetunion zu schützen, inoffiziell um das Rückgrat der US-Wirtschaft — die Rüstungsindustrie — mit Aufträgen zu versorgen. Dazu brauchte man nach Meinung der US-Regierung auch ein — begrenzt — wiederbewaffnetes Deutschland. Massenvernichtungs- und Atomwaffen waren ausgenommen. Durch die Integration in die Nato-Strukturen sollte es kontrollierbar werden.

Als zusätzliche Sicherung gründeten Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten zusammen mit der Bundesrepublik 1954 die Westeuropäische Union. Die Hauptaufgabe der WEU bestand darin, die Deutschland auferlegten Rüstungsbeschränkungen zu kontrollieren. Auf diese Weise wurde der Beitritt der Bundesrepublik zur Atlantischen Allianz vorbereitet. Denn während der Antrag des ehemaligen Kriegsalliierten, der Sowjetunion, auf Mitgliedsschaft in der Nato 1954 abgelehnt wurde, gab man dem Antrag des Exfeindes Deutschland 1955 statt. Damit war — ganz nebenbei — die Spaltung Europas und Deutschlands für fast 40 Jahre zementiert. Michael Bullard