MIT DER SU-PREISREFORM AUF DU UND DU
: Pawlow ohne Konzept

Die Wirtschaftsmisere bleibt der UdSSR erhalten  ■ Aus Moskau Klaus-H. Donath

Unter Premierminister Walentin Pawlow, den Gorbatschow immer dann in die Schlacht schickt, wenn es allzu haarig geworden ist, muß die Sowjetbevölkerung jetzt zum zweiten Mal eine wirtschaftspolitische Maßnahme über sich ergehen lassen, die ihr tiefe Löcher in die Portemonaies reißt.

Zuerst war da die Geldreform. Notdürftig getarnt als Mafiabekämpfung, schadete sie allen — außer den Mafiosi. Sie sollte schlicht das an Geldüberhang abschöpfen, was Pawlow in seiner Zeit als Finanzminister generös unters Volk gestreut hatte: allein 1990 immerhin 25 Milliarden Rubel. Jetzt hat er gegen die drohende Hyperinflation anzukämpfen.

Die nun verfügte Preisreform (siehe taz von gestern) macht auf den ersten Blick Sinn. Erstmals in der Sowjetunion sollen die Preise für Waren und Dienstleistungen den Produktionskosten angenähert werden. Künftig werden die Sowjets also sorgfältiger mit Brot und anderen Lebensmitteln umgehen, deren Preise sich verdreifachen. Insofern hat die Reform eine disziplinierende Wirkung. Um dem erwarteten Sturm der Empörung zu entgehen, kündigte Pawlow zeitgleich eine Art finanziellen Härteausgleich für die schlechtergestellten Schichten an. Dieser wird jedoch bei weitem nicht ausreichen, die Teuerungsrate aufzufangen, auch wenn die Sowjetregierung das gebetsmühlenartig wiederholt.

Endgültig lassen sich die Folgen der Reform natürlich nicht abschätzen. Wie die gesamte Politik der sowjetischen Regierung liegt auch diesem Eingriff in die Wirtschaft kein Konzept zugrunde. Was heute gepriesen wird, kann morgen schon wieder vermaledeit sein. Das hängt von den jeweiligen Seilschaften ab, deren Einfluß nach einer höchst undurchschaubaren Eigendynamik wechselt.

Mit Sicherheit wird die Reform, wenn sie als Einzelmaßnahme bestehen bleibt, an dem verheerenden Zustand der sowjetischen Makroökonomie kaum etwas ändern. In den nächsten Tagen werden sich die Geschäfte zwar füllen. Denn viele Unternehmen haben ihre Waren bewußt zurückgehalten, um in den Genuß eines Extraprofits zu kommen. Doch wird dieses Bild binnen kurzem wieder gähnender Leere weichen. Denn die Produktionsziffern der ersten beiden Monate sind im Verhältnis zum Vorjahr drastisch gesunken. Nichts sieht danach aus, als würde sich daran etwas ändern, zumal eine Streikwelle der Bergarbeiter das Land überzieht, die sich auf andere Bereiche noch ausweiten kann.

Fortsetzung der Inflation programmiert

Zudem produziert die Reform ein weiteres Paradox. Die Preise für Konsumgüter, die großteils freigegeben wurden, werden astronomisch steigen. So werden sie anfangs zwar Geld abschöpfen, aber keinen Einfluß auf den Produktionsausstoß nehmen. Denn unter dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem, das den Anreiz der Nachfrage nicht kennt, werden die Betriebe einfach nur ihre Waren verteuern. Die Belegschaft hat dann mehr in der Tasche und die Konsumenten stehen weiter Schlange.

Solange das Warenangebot hinter der Einkommensentwicklung zurückbleibt, ist die Fortsetzung der Inflation damit also programmiert. An die entscheidenden flankierenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen wollten Gorbatschow und seine Crew nicht heran. Privatisierungen in größerem Stil und Entflechtung der immer noch allgewaltigen Ministerien scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser.