Des Sammlers neue Leidenschaft

Neben den Telefonhäuschen wird auf abtelefonierte PVC-Karten gegiert — anschließend floriert der Tauschhandel/ Das Müllproblem wird verschleiert/ Telekom läßt nun recyceln  ■ Von Bettina Markmeyer

Bochum (taz) — Kramt die Frau nun nach Kleingeld, oder wird sie aus den Tiefen ihres Einkaufsbeutels eine Brieftasche angeln und eine Telefonkarte hervorziehen? Daniela und Andrea warten. Aha, ein Plastikkärtchen, also hin: „Haben Sie zufällig eine leere Telefonkarte?“ — „Nein“, die Frau ist erstaunt, „nur diese.“ Auch wenn diese Passantin sich ihre Karte nicht hat abschwatzen lassen, „war's heute gut“, urteilt Andrea, „drei Stück in einer halben Stunde.“

Leute wie Andrea Rahn und Daniela Piras sind das gute Gewissen der Telekom in Sachen Telefonkarten-Entsorgung. Seit einem halben Jahr verbringen die Realschülerinnen ihre häufigen Wartezeiten auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof vor den drei Kartentelefonen. Abtelefoniertes Plastik gibt es gewöhnlich umsonst. Häufiger jedoch sind die Karten noch halbvoll. „Wir bieten den Leuten dann an, die Gebühren zu bezahlen“, erklärt Daniela. Samstags oder sonntags treffen sie sich zum Tausch mit anderen SammlerInnen auf dem Bahnhof.

Weil Plastikkarten „begehrte Sammelobjekte“ seien, so die Telekom Ende letzten Jahres, enstünden „bisher weder Müllprobleme noch Umweltbelastungen durch abtelefonierte Telefonkarten“. Tatsächlich stapeln bundesweit derzeit etwa 10.000 SammlerInnen die Plastikkärtchen zu Hause in ihren Schubladen. Über acht Millionen Karten hat die Post jedoch schon verkauft, seit 1986 die Kartentelefone bundesweit eingeführt wurden. Das macht über 800 Plastikteile pro SammlerIn. Ein wenig wahrscheinlicher Reichtum. Andrea und Daniela aus Düsseldorf zum Beispiel hüten zu zweit einen Schatz von 160 Karten.

Daß allerdings etliche der PVC- Telefonkärtchen in den Müll fliegen, wird auch in der Generaldirektion des großen Kommunikationsvereins in Bonn zugegeben. Also doch ein Müllproblem! Wenn auch mit der netten kleinen Halbwahrheit von den eifrigen SammlerInnen vernebelt. Auch wenn es nicht mit den Müllmassen zu vergleichen ist, die allein Joghurtbecher tagtäglich dem vereinigten Lande bescheren. Aber doch ein Müllproblem, das die Telekom nicht länger mit den Fans ihrer PVC- Erzeugnisse zukleistern kann.

Bis 1995 sollen 100.000 Kartentelefone im neuen Deutschland aufgestellt sein und 40 Millionen Telefonkarten jährlich umgesetzt werden. Derzeit stehen 20.000 Kartentelefone, 140.000 öffentliche Sprechstellen gibt es insgesamt. Münztelefone kosten die Post doppelt soviel, wie sie einbringen, die Wartung der Geldeinwurfmechanik dieser Apparate ist aufwendiger als die der Kartentelefone. Die meisten Kosten verursachen Versuche, die Münzautomaten ihres Inhalts zu berauben, und zweckfreie Zerstörungen. Seit Beginn des Plastikkarten-Telefonzeitalters jedoch, so Günther Bruchmüller von der Generaldirektion der Telekom, gehe die Schadenssumme durch Vandalismus, die auch 1988 noch bei knapp 20 Millionen Mark lag, „deutlich zurück“.

In diesen Wochen, so kündigte die Telekom an, will sie an allen Kartentelefonen Sammelbehälter für leere Plastikkärtchen montieren. Sofern die SammlerInnen zulassen, daß diese sich füllen, liefert die Post die PVC-Karten dann an die Hoechst AG. Dort sollen die goldfolienüberzogenen Chips herausgestanzt und aus den einstigen Karten Folien für den Büro- und Baubedarf hergestellt werden. Damit, so die Telekom, sei die hundertprozentige stoffliche Verwertung der Karten garantiert. Daß jedoch besagte Folien in den zunehmend umweltbewußter einkaufenden Verwaltungen und Büros vielleicht in Zukunft gar nicht mehr gebraucht werden oder was mit ihnen geschieht, wenn sie löchrig geworden sind, ist dann nicht nicht mehr das Müllproblem der Telekom.

Vorläufig garantieren nur die SammlerInnen, daß der Plastik-Sekundärrohstoff in Scheckkarten- Format zukünftigen Generationen erhalten bleibt. „Wenn gerade keine Sammler da sind“, empfehlen Andrea Rahn und Daniela Piras vom Düsseldorfer Hauptbahnhof, „dann legt man die abtelefonierte Karte einfach oben auf das Telefon. Wir finden sie dann schon.“ Längst hat auch die Telekom selbst das Geschäft entdeckt. Ihr Telefonkartenversand in Nürnberg wird in diesem Jahr vermutlich eine halbe Million Karten an die Begierigen verschicken.

Besonders begehrt sind die geringen Auflagen. Karten aus der Testzeit des bargeldlosen Telefonierens, die nur in bestimmten Gegenden verkauft und benutzt wurden, können über 1.000 DM kosten, einzelne Stücke bis zu 3.000 DM. Interessant für SammlerInnen sind auch Telefon-Werbekarten einzelner Unternehmen. Natürlich gibt's auch schon Vereine, in denen mensch seine anarchische Plastikkarten-Liebe mit Hilfe eines Kassierers zu einem echten deutschen Hobby erheben kann. Das im Bergischen Land gelegene Solingen sah zuletzt im Februar den „Dritten Telefonkarten-Tauschtag“. Handel und Wandel mit den Karten blüht aber auch anderswo. Zum Beispiel bei der Post. Auch er könne eine schöne Karte nicht „ins Recycling geben“, gesteht Florenz Legler, Marketingchef bei der „Deutschen Postreklame“: „Aber ich hebe die Karten nur auf, ich sammle sie nicht.“