Das Akademikerkabinett von Wiesbaden

In der Regierung des designierten hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel fehlt das „proletarische Element“/ Nur Joschka Fischer und Jörg Jordan können kein Uni-Examen vorweisen/ Rot-grüne Allianz setzt auf Frauen und Jugend  ■ Von K.-P. Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Dem Erfinder des Gedenksteins für überlange Doppelnamen von Frauen in der Redaktion der Frankfurter Satirezeitschrift 'Titanic‘ dürften Ende Dezember 1990 die Freudentränen über die roten Backen gelaufen sein. Da nämlich hatte der designierte hessische Ministerpräsident mit dem kurzen Namen Hans Eichel (SPD) unter den Kurkollonaden in Wiesbaden der Öffentlichkeit sein paritätisch besetztes Schattenkabinett vorgestellt — und zwei neue Kandidatinnen für den Gedenkstein der Männer vom untergehenden Narrenschiff präsentiert: Dr. Annette Fugmann- Heesing und Dr. Christine Hohmann-Dennhardt.

Die 1950 in Leipzig geborene promovierte Juristin Hohmann-Dennhard, die seit Mitte 1989 das Dezernat Soziales, Jugend und Wohnungswesen der Stadt Frankfurt unspektakulär leitet, soll im rot-grünen „Team Eichel“ (Eichel) Justizministerin werden. Die Grünen im Frankfurter Römer, die mit Hohmann- Dennhard vor allem in Sachen Jugendpolitik manchen Strauß ausgefochten haben, halten die ehemalige Richterin am Wiesbadener Sozialgericht durchaus für eine „gute Wahl“. Hohmann-Dennhard, so ein Fraktionsmitarbeiter, sei in der Lage, einen Apparat zu führen. Sie ist — wie Eichel selbst — ein „workoholic“. Und sie hat sowohl auf dem Felde der Profession als auch dem Felde der Politik eine beispiellose Blitzkarriere absolviert. Mit 29 Jahren promovierte die Juristin Hohmann-Dennhard an der Frankfurter Goethe-Universität mit einer Arbeit zum Thema „Entscheidungsstrukturen im Unternehmen und Arbeitnehmerinteressen“. Mit 33 Jahren wurde sie Richterin — und nur ein Jahr später war Christine Hohmann-Dennhard schon Direktorin des Sozialgerichts in der Landeshauptstadt Wiesbaden.

Ihre eigentliche politische Karriere begann erst 1988, als sie Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des SPD-Bezirks Hessen-Süd wurde. Die Sozialdemokratie hatte gerade die Frauen „entdeckt“. Und der vor drei Wochen zurückgetretene Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) holte die Juristin eineinhalb Jahre später, nach den hessischen Kommunalwahlen im Sommer 1990, in seinen rot-grünen Magistrat. Hohmann-Dennhard stand während der wundenschlagenden Auseinandersetzungen innerhalb der Frankfurter SPD immer loyal zu Volker Hauff. Und deshalb dürfte die kluge Juristin — nach dem spektakulären Abgang von Hauff — froh sein, der Mainmetropole den Rücken kehren zu können.

Die zweite Frau mit einem Doppelnamen im Kabinett Eichel ist das „Nesthäkchen“ der neuen sozial- ökologischen Landesregierung. Aus dem nordrhein-westfälischen Herford kommt die 1955 geborene Annette Fugmann-Heesing, die in Bielefeld Jura studierte und mit 28 Jahren mit einer Dissertation über die „Parkvorsorge in Städten — rechtliche Fragen und praktische Auswirkungen auf die Stadtstruktur unter besonderer Berücksichtigung US- amerikanischer Erfahrungen“ promovierte.

Ihrer Doktorarbeit entsprechend wurde Fugmann-Heesing danach im Regierungspräsidium in Detmold Mitarbeiterin im Dezernat für Verkehr, Polizei und Kommunalaufsicht. Ab 1985 arbeitete sie in der Rauschen Staatskanzlei, Abteilung „Regierungsprogramm“, am Profil der sozialdemokratischen NRW- Landesregierung — und an der eigenen vita. Mit nur 30 Jahren avancierte Fugmann-Heesing zur Stadtkämmerin von Herford — zuständig für die Stadtkasse, das Steueramt und das Liegenschaftsamt der Industriestadt im Ostwestfälischen.

Daß der sozialdemokratische „Enkel“ Hans Eichel die junge Finanzexpertin aus dem benachbarten Bundesland zur Finanzministerin kürte, hat selbst Kenner der politischen Szene überrascht — und nicht wenige verdiente alte Genossen in Hessen vergrätzt. Von den „jungen Dingern“, die sich „der Eichel“ da geholt habe, war denn auch auf dem letzten Parteitag der hessischen SPD in Baunatal in kleinen Herrenrunden am Rande der Veranstaltung die Rede. Doch die Frauen in der Partei bejubelten ganz offen ihren „Durchbruch an die Spitze“ — und die Jungsozialisten schenkten Eichel zum Steuerrad noch einen Kompaß dazu, „damit auch weiterhin die Richtung stimmt“.

Eichels Kabinett ist eine Hommage an den parteiinternen Lafontainismus: Frauen, Jugend und Sachverstand an die Macht. Daß der Parteivorsitzende mit dem Grandseigneur der hessischen SPD, Dr. Herbert Günther (62) auch einen verdienten „Oldtimer“ in sein Kabinett integriert hat, ist da kein Widerspruch. Der als Innenminister nominierte Günther ist Hans Eichels Beleg dafür, daß die Verjüngungskur bei den hessischen Sozis ein „Reformprojekt“ ist und keine Palastrevolution — so wie die gesamte rot-grüne Regierungsprogrammatik. Annette Fugmann-Heesing tritt ein schweres Amt an. Die Finanzspielräume für die neue rot-grüne Regierung sind extrem eng, und die Verteilungskämpfe zwischen den MinisterInnen werden hart werden, vor allem im Hinblick auf die Profilierungssehnsüchte der roten und grünen Regierungsmitglieder.

Die sozialdemokratische Frauenriege in der neuen hessischen Landesregierung wird von der Wissenschaftsministerin Prof. Evelies Mayer, und der Ministerin für Frauen und Arbeit, Prof. Heide Pfarr, komplettiert. Evelies Mayer ist Jahrgang 1938 und war bis Ende 1979 Professorin an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Noch unter der ersten rot-grünen Landesregierung Börner/Fischer entwickelte Mayer im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst den Arbeitsschwerpunkt „Technikforschung“.

Als 1987 Wallmann in Wiesbaden das Ruder übernahm, verließ Mayer die Landesregierung und wurde geschäftsführende Direktorin des Zentrums für interdisziplinäre Technikforschung. Als Wissenschaftsministerin tritt Mayer die Nachfolge des smarten FDP-Vizeministerpräsidenten Wolfgang Gerhard an, der in seiner zweiten Ministerfunktion (Bundesrat) lieber in Bonn beim Bundesvorstand seiner Partei „vorturnte“, als sich um die Hochschulpolitik des Landes Hessen zu kümmern. Innerhalb des Wissenschaftsministeriums weint denn auch kaum eine Mitarbeiterin dem alten Chef eine Träne nach. Die fachkundige Evelies Mayer wird dort mit offenen Armen empfangen werden.

Auf ganz andere Verhältnisse wird sich dagegen Heide Pfarr einstellen müssen, die das bisherige Staatssekretäriat für Frauen in ihr Ministerium Frauen und Arbeit zu integrieren hat. Während dort die Christdemokratin Otti Geschka im wesentlichen die personelle Zusammensetzung der Behörde respektierte, die aus den Zeiten resultiert, als noch Marita Haibach von den Grünen bis April 1987 dem Staatssekretariat vorstand, verlangt Pfarr offensichtlich bedingungslose Loyalität. Die Juristin, so die Befürchtung gerade der den Grünen nahestehenden Frauen, werde mit harter Hand ihr Imperium „Frauen und Arbeit“ regieren, und vor allem gegen die grüne Sozialministerin Iris Blaul abgrenzen. Vor ihrer Berufung ins Kabinett Eichel war Pfarr Senatorin für Bundesangelegenheiten und Europabeauftragte des SPD/AL-regierten Landes Berlin, und davor zwei Jahre lang Vizepräsidentin der Universität Hamburg.

Das „AkademikerInnenkabinett“ Eichel war den gewerkschaftsnahen Sozialdemokraten aus dem hessischen Norden schon Ende 1990 eine parteiinterne Debatte wert. Die Basis murrte, weil ihr Spitzenkandidat offenbar nicht gewillt war, dem „proletarischen Element“ in der Partei Tribut zu zollen: Die „eggheads“ an der Macht — und die VertreterInnen des Gewerkschaftsflügels der Partei draußen vor der Tür. Daß mit dem designierten Wirtschafts- und Verkehrsminister Ernst Welteke (48) ein hessischer Sozialdemokrat Minister werden wird, der über den zweiten Bildungsweg zum Volkswirtschaftsstudium kam, und danach sofort Berufspolitiker wurde, konnte die grummelnde Gewerkschaftsbasis bis zum knappen Wahlsieg im Januar auch nicht mehr besänftigen. Und der zukünftige Mammutminister für Regionalentwicklung, Wohnen, Städtebau und Landschaftsschutz, Jörg Jordan (52) ist zwar kein Akademiker — aber auch kein Busenfreund der bodenständigen „SPD-Proletarier“ aus Baunatal (VW-Werk) oder Rüsselsheim (Opel).

Der gebürtige Sachse hatte schon immer einen Hang zur grünen Programmatik. Als Staatsekretär im Ministerium für Landwirtschaft und Forsten in der ersten rot-grünen Ära des Landes, war der schwerfällig wirkende Riese Jordan für den kleinen Koalitionspartner offenbar schwer zu taxieren: Für die einen war und ist er ein „Betonkopf“, für die anderen dagegen ein „ehrlicher Makler“. Jordan hat sich im Verlauf von mehr als zwanzig Jahren vom Mitarbeiter im Wiesbadener Finanzamt zum Superminister unter Eichel hochgearbeitet. Und er hat sich dabei auch in der eigenen Partei nicht nur Freunde gemacht.

Wenig echte Freunde bei den hessischen Sozialdemokraten und viele Feinde bei den Christdemokraten hat auch der kommende Kultusminister des Landes, Hartmut Holzapfel (47). Der Frankfurter Lehrer und langjährige Landtagsabgeordnete ist seit den Tagen der hessischen Gesamtschulreform unter Kultusminister Ludwig von Friedeburg, in dessen Ministerbüro er bis 1974 als persönlicher Referent tätig war, eine der meistgehaßten Personen bei konservativen Lehrer- und Elternverbänden und bei den ideologisierten „Schulkämpfern“ von der Union, die bei jeder Gelegenheit die Freiheit der Schulauswahl bedroht sehen.

Besonders im Schulverwaltungsbereich hat sich Holzapfel in jahrelanger „Wühlarbeit“ — so seine Kritiker — eine Hausmacht aufgebaut, an der sich auch der zu radikalen Wendemanövern neigende CDU- Kultusminister Christian Wagner die Zähne ausbiß. Obgleich Holzapfel aufgrund seiner stammtischpolitischen Obsessionen auch bei den Sozis nicht gerade beliebt ist, kam Eichel bei der Besetzung des Kultusministeriums an Holzapfel nicht vorbei. Dem noch stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion hätte nur der Grüne Fritz Hertle den Ministersessel noch vor der Nase wegschnappen können. Doch drei Ministerien wollte Regierungschef Hans Eichel dem kleinen Koalitionspartner nicht zugestehen. Ohnehin war die Rückeroberung des sensiblen Schulbereichs für die Sozialdemokraten eine Pflichtübung, auch wenn Eichel nach eigenem Bekunden gegen die am 5. April abzusetzende CDU/FDP-Landesregierung „keinerlei Rachegelüste“ hegt.

So werden die hessischen Sozialdemokraten damit leben müssen, daß im Elitekabinett Eichel — mit Ausnahme von Jordan — nur noch Joschka Fischer als Autodidakt das Fähnlein der nicht mit akademischen Weihen versehenen Menschen hochhält. Denn auch die designierte Sozialministerin Iris Blaul von den Grünen kann als ausgebildete Sonderpädagogin aufs bestandene Staatsexamen verweisen. In Hessen ist die promovierte und habilitierte Elite an der Macht. Da wird der examinierte Politologe, Philosoph und Historiker Hans Eichel aufpassen müssen, daß die alte „Villa Dachlatte“, in der einst der gelernte Betonfacharbeiter Holger Börner residierte, nicht abhebt — in den Orbit des rationalen akademischen Diskurses. Von der Dachlatte zum Taktstock? Bei den Sozis, und das wußte Holger Börner ganz genau, muß auch der „Bauch“ zu seinem Recht kommen.