: „Die Armee soll uns zurückbringen“
■ Nachdem die Republikanischen Garden die kurdische Stadt Arbil zurückerobert hatten, konnte ein Journalisten-Pool sich vor Ort ein Bild von den Kriegsschäden machen
Der folgende Bericht unseres Korrespondenten im Irak unterlag der Zensur; die Fahrt nach Arbil und der Aufenthalt in den von den regimetreuen Truppen kontrollierten Gebieten Kurdistans wurden vom Informationsministerium organisiert. (d. Red.)
Fast 50 Kilometer vor der Stadt Arbil sieht man die ersten Spuren der Kämpfe: eine angekokelte Wandmalerei mit dem Porträt von Saddam Hussein, zerstörtes Militärgerät. Die Stadt selbst ist voller Soldaten, überall Kontrollposten. Zerstörungen gibt es nur, wo tatsächlich Kämpfe zwischen der Armee und den kurdischen Rebellen stattgefunden haben. Dort sind zahlreiche Gebäude beschädigt. Im Zentrum sind die Geschäfte geschlossen, nur wenige wurden ausgeraubt. Alle Gebäude der staatlichen und Parteiinstitutionen sind schwer beschädigt, manche wurden abgebrannt. Das Rathaus der Stadt ist geschlossen, vor der Tür liegen Berge von verbrannten Dokumenten. Als ich einen Wachposten nach dem Bürgermeister frage, macht er mit der Rechten eine eindeutige Bewegung an seinem Hals entlang. Alle Büros der Baath- Partei sowie die Büros der mit der Baath-Partei assoziierten kurdischen Organisationen sind niedergebrannt.
In den Straßen der Stadt ist ein Kommen und Gehen von Zivilisten, die meisten von ihnen kehren in ihre Häuser zurück, nachdem sie wegen der heftigen Kämpfe und der Bombardements geflohen waren. Auch der etwa sechzigjährige Tawik Awies kommt gerade mit seiner Familie zurück. Er erzählt mir, wie die Aufständischen die Stadt am 11.März eroberten. „Es war frühmorgens um etwa 6.30 Uhr, da hörte ich heftiges Schießen. Ich bekam es mit der Angst und versteckte mich und meine Familie. Dann kamen die Rebellen: Sie waren mit Maschinengewehren und Kanonen bewaffnet. Sie durchsuchten die Häuser. Erst als die Armee anrückte, konnten wir uns in Sicherheit bringen.“ Einen Tag lang dauerte die Rückeroberung Arbils, am 31. März hatten die Republikanischen Garden die Stadt wieder in ihrer Hand. Auf ihrem Weg in die Stadt legten die irakischen Truppen fast auf jeder Anhöhe Befestigungsanlagen an. In einer solchen Stellung finden wir umfangreiche Waffenarsenale, die die irakischen Truppen von den kurdischen Rebellen erbeutet haben. In einer weiteren Stellung dann Hunderte von bewaffneten, dem Saddam-Regime treu ergebenen Kurden in ihren traditionellen Gewändern. Vier kurdische Rebellen liegen auf dem Boden, ihre Gesichter vor Angst verzerrt, ihre Hände gefesselt.
„Die kurdischen Rebellen waren unkoordiniert“
In Arbil sind zahlreiche Hauswände mit Parolen für die kurdischen Organisationen, für die Demokratische Partei und für Mahmoud Barzani, auch mit den Insignien der Kommunistischen Partei bedeckt. Ein Universitätsprofessor sagte mir, daß sich die Angriffe der kurdischen Rebellen zuallererst gegen Mitglieder der Baath-Partei richteten: „Hunderte von Baathisten wurden festgenommen und hingerichtet.“ Er selbst ist Baathist und hatte sich in der Stadt versteckt. „Sie haben meine Familie festgenommen. Ich versuchte, meiner Frau und unseren Kindern meinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Daraufhin drohten sie meiner Frau, unseren Sohn zu erschießen, falls sie ihnen mein Versteck nicht sagen wollte.“ Nach Aussagen des Direktors der Hochschule für Wirtschaft von Arbil wurden auch Polizisten und Beamte abgeholt, gefoltert, manche von ihnen ermordet. Adel Gikus, der Chef der Universitätsverwaltung, sagte, daß die Rebellen unorganisiert waren. „Es gab keine Koordination zwischen den Gruppen. Als die Leute zu ihnen kamen und forderten, die Rebellen möchten ihre Nahrungs- und Gesundheitsprobleme lösen, sagten sie ihnen, wir können nichts, wir wissen nichts.“
„Die Aufständischen wollen unser Land in ein zweites Libanon verwandeln“, erklärt mir ein Soldat der Republikanischen Garden. „Wenn sie ihre Rechte bekommen wollen, warum um Himmels willen haben sie dann diese Gebäude zerstört? Sie wollen die Kurden dazu bringen, daß sie die Araber hassen, wie sich Schiiten und Sunniten hassen — bis der Irak völlig zersplittert ist.“ Seine Einheit war vor dem Angriff auf Arbil auch am Kampf um Kerbala, um Kirkuk beteiligt. „Einen Tag vor dem Angriff warfen die Hubschrauber Flugblätter ab, auf denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, die Stadt zu verlassen. Die Armee hatte Busse und Lastwagen bereitgestellt. Um 6Uhr morgens begannen wir unseren Angriff. Die Rebellen leisteten heftigen Widerstand. Am Nachmittag hatten wir die Stadt zurückerobert.“ Die Armee habe einige Dutzend Rebellen festgenommen, fast 50 Soldaten seien bei den Kämpfen getötet worden, sagt der Soldat. In den Stellungen hätten sie Nahrungsmittel und Medikamente aus dem Iran gefunden. Auch habe die Armee Iraner und Türken festgenommen.
Bei meiner Rückkehr nach Bagdad entdecke ich Hunderte von Zivilisten, sie sitzen auf dem Boden am Straßenrand. Auf meine Frage, was sie dort machten, erklärt mir eine Frau: „Wir warten auf die Armee, auf daß sie uns zurück nach Hause bringt.“ Khalil Abied, Arbil
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