Nichts Neues vom harten Kern derRAF

Die Ermittlungsbehörden tappen auch nach dem Rohwedder-Mord im Dunkeln/ Verfassungsschützer drängen verstärkt auf Zugriff zu Stasi-Akten/ Spekulationen um RAF-Stasi-Kooperation  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Auch einen Tag nach der Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder, tappte die vom Bundeskriminalamt eingerichtete Sonderkommission „Treuhand“ weitgehend im Dunkeln. Nach den Angaben des BKA steht nunmehr allerdings fest, daß der 58jährige Treuhandmanager mit einer Waffe getötet wurde, die bereits am 13. Februar bei einem Überfall auf die Botschaft der Vereinigten Staaten in Bonn-Bad Godesberg verwendet wurde. Bei dem Anschlag, zu dem sich ein Kommando der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) bekannte, waren mindestens 250 Schüsse auf das Botschaftsgebäude abgegeben worden. Die Polizei relativierte gestern auch erste Vermutungen, wonach der oder die Täter zuerst mit einem Motorrad und anschließend mit einem PKW geflüchtet sein könnten. Einer der 60 Beamten der Sonderkommission erklärte, „die Spur können wir wohl streichen“.

Streit um mögliche Stasi-RAF-Connection

Ein ausführlicheres Bekennerschreiben, das entsprechend dem Vorgehen der RAF bei den letzten Anschlägen zu erwarten ist, lag gestern noch nicht vor. In einem Rundfunkinterview räumte Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) ein, daß die Sicherheitsbehörden praktisch nichts über „den harten Kern der RAF“ wissen. Nach wie vor gehe man von einer Gruppe von 15 bis 20 Personen aus, die „uns im einzelnen nicht bekannt sind“.

An der Frage, ob der frühere Staatssicherheitsdienst der DDR oder ehemalige Stasi-Mitarbeiter am Attentat auf Rohwedder beteiligt gewesen sein könnten, schieden sich die Geister. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, wollte in einer Sondersendung des Fernsehens eine Stasi-Beteiligung nicht ausschließen. Dies lasse sich zwar „im Moment nicht belegen“, aber „vorsichtige Überlegungen“ müßten dennoch angestellt werden. Nach den Festnahmen der RAF-Aussteiger in der DDR Mitte letzten Jahres und der kürzlich erst bekanntgewordenen logistischen Hilfe für aktive RAF-Kader zeige sich, daß es „eine Zusammenarbeit und einen Konsens“ gegeben habe. RAF und Stasi seien sich darin einig gewesen, das westdeutsche System destabilisieren zu wollen.

Generalbundesanwalt Alexander von Stahl trat in der gleichen Sendung diesen Spekulationen entgegen. Hinweise auf ein Mitwirken der Stasi gebe es nicht. Die gemeinsamen Ermittlungen von Bundesanwaltschaft und BKA hätten bisher nur „aktive Unterstützungshandlungen“ der Staatssicherheit bis zum Jahr 1985 ergeben, „aber nicht weiter“. Der innenpolitische Sprecher der Bonner CDU/CSU-Fraktion nannte Rohwedders Attentäter „abgetauchte Staatsterroristen“ und forderte für Montag oder Dienstag nächster Woche eine Sondersitzung des Innenausschusses. Dort soll die Bundesregierung über den genauen Stand der Ermittlungen im Falle Rohwedders berichten. Er erneuerte auch seine Forderung nach der Gründung einer Sonderkommission, die der Verbindung von untergetauchten Stasi-Leuten und RAF-Mitgliedern nachgehen soll.

Der ehemalige Kölner Verfassungsschutzpräsident, Heribert Hellenbroich, hat die Vermutungen um eine Zusammenarbeit von RAF und Stasi ins Reich der Fabeln verwiesen. Die RAF ist nach seinen Worten eine ideologisch autonome Organisation. Weil sie aber ein „Publikum“ brauche, mache sie sich die erheblichen sozialen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern zunutze. Hellenbroich sprach sich in einer Sendung des Rias-TV auch gegen die Einführung neuer, vorbeugender Gesetze aus, wie sie beispielsweise der Leitartikler der 'Welt‘ gestern vehement einklagte. Geht es nach Hellenbroich, sollen statt dessen künftig die Geheimdienste verstärkt zur Abwehr von Anschlägen der RAF herangezogen werden.

Geheimdienstzugriff auf Stasi-Akten

Nach dem Attentat auf Rohwedder und den Spekulationen um eine Stasi- Beteiligung ist auch die Debatte um eine Nutzung der Stasi-Akten durch die bundesdeutschen Nachrichtendienste neu entbrannt. Hamburgs Verfassungschef Lochte forderte direkt nach Bekanntwerden des Anschlages zum wiederholten Mal den Zugriff seiner Behörde auf die Hinterlassenschaften der Stasi als notwendige Bedingung, um die mögliche Verwicklung des Staatssicherheitsdienstes in Anschläge der RAF aufklären zu können.

Auch Hessens oberster Verfassungsschützer, Günther Scheicher, nahm den Mord zum Anlaß, den Forderungen der Sicherheitsbehörden nach direktem Zugriff auf die Akten „dringlichst Nachdruck zu verleihen“. Unabhängig davon, ob sich die Verdachtsmomente auf eine Zusammenarbeit von RAF und Stasi erhärten ließen, warnte er vor nach wie vor existierenden „MfS-Inseln“. Alte „Stasi-Kämpfer“ verfügten mit Sicherheit noch über geheime Waffen- und Sprengstoffdepots, und ihre Aktivitäten seien auf die Destabilisierung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates gerichtet.

Einen generellen Zugriff des Verfassungsschutzes auf die Stasi-Akten kann es nach den Worten des Direktors beim Sonderbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Hans Jürgen Geiger, nicht geben. Er sprach sich für eine stärkere Differenzierung der Diskussion aus und wies darauf hin, daß den Strafverfolgungsbehörden bereits im vergangenen Sommer „umfangreiche Unterlagen“ übergeben wurden. Die Strafverfolgung sei aber nicht Sache des Verfassungsschutzes. Soweit diese Behörde aber nachweisen könne, daß für ihre präventive Arbeit der Zugriff auf die Stasi-Akten notwendig sei, müsse der Gesetzgeber dies prüfen.

Die Humanistische Union und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne lehnten gestern einen Zugang der Geheimdienste auf das Aktenmaterial aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Ingrid Köppe, verwies gestern auf die geltende Benutzerordnung für die Behörde des Sonderbeauftragten, nach der im Rahmen der Strafverfolgung Stasi-Unterlagen verwendet werden können. Eine zusätzliche Nutzung durch den Verfassungsschutz sei „nicht einsehbar“.