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Galliano

■ Bekenntnisse

Galliano ist ein Ire, eine Cocktailessenz und ein gewaltiger Schritt im Crossover weißer und schwarzer hardworking Spiritarbeit. Das haben neben den ungezählten Scharen von Clubjüngern, den Feinschmeckern aus der Kritikerschaft auch die Schergen der Zeitgeistjournaille erkannt. Prinz liebt ihn, der Spiegel bedenkt ihn und Tempo featured:»Jazz, flüstert Rob Galliano, Jazz is a woman's tongue sticking deep down in your mind. — Galliano reißt den Mund auf, und genüßlich spannt er das Wort:J-A-Z-Z. — Seine Zunge dehnt die Buchstaben. J...Jeder Laut wird zelebriert. A...Die Lippen reiben an den Facetten des Mikrophons.Z...Schweißbahnen zerteilen sein Gesicht...Z. Und wieder: Jazz. Sonntag nachmittag in London.« Das hätte Stephen King auch nicht anders gesagt, aber mehr als Warnung, denn als Werbung. Doch »Talking Loud« spricht von einem tieferen Bedürfnis, nach Geist, nach Jazz.

Manch einer hat sich dabei verirrt im fünfziger Jahre-Jazz-Bedürfnis der weißen Mittelschicht, die putzmunter in gestreifte T-Shirts gehüllt ein bißchen in Existenzialismus machte, ehe der heimische Herd ihr näher wurde als die Ferne des Denkens.

Neben echter Schwermut und Melancholie, in der man im Jazz bei einem Gläschen Rotwein versinken könnte, will der neue Groove getanzt sein. Galliano und Gilles Peterson, der an diesem Abend auch als DJ wirken will, haben dieses Bedürfnis als Acid-Jazz verpackt bereits vor vier Jahren im Dingwalls an Sonntagsnachmitagen an die Mengen herangetragen. So entspannt und gleichzeitig athletisch ist sicher in keinem anderen Club der Welt zu dieser Zeit getanzt worden, das P.O.P-Theme brachte es ähnlich dem S-Xpresschen auf die Linie vor dem Sommer der Liebe.

Danach gingen viele der Bünde verloren. Einige hat Galliano jedoch weiterhin zusammenzuhalten verstanden, so, indem er Mick Talbot von Style Council und Steve White, seinerseits Schlagzeuger des James Taylor Quartetts, verpflichtete. Wie diese Namen Assoziationen wecken, bewegt sich auch Rob Galliano auf einer Grenzlinie, die ihn nicht in die lauen Jazzpopgefilde einer Sade oder Funkgebolze à la Level 42 abstürzen läßt. Und auf der anderen Seite entflammt er nicht in den Breitengraden der Bronx und Brooklyn in hardcorerappender Gangsterklage.

Galliano philosophiert davon, wie es ist auf hoher See als Käptn zwischen den sieben Meeren kein Land mehr in Sicht zu sehen. Er kann zwar noch Geschichten erzählen, von dem was früher war, Zuhörer finden, doch den Weg wird keiner weisen können. Es bleibt beim Bekenntnis. So stoisch sieht es der zur Zeit umhegteste Trendsetter der Musikszene. Und »Nothing has changed« ist in der Tat ein Meisterwerk, vom Orgelteppich bis zum Gitarrenlick. Harald Fricke

Um 20 Uhr im Quartier mit anschließender Jazz-Hop-Diskothek.

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