SPORTKULUMNEVON KLAUS NÜSSER
: Niedergeschmettert und doch nicht am Boden

■ Wer kann sich's im Osten leisten zahlreiche teure Großeinkäufe zu tätigen?

Schwerin (taz) — Wenn man nur wenig hat, sollte man damit sorgfältig umgehen. In der Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns bestimmen nur eine Handvoll Sportler das Niveau in Deutschland mit. Weltklasse und Deutscher Mannschaftsmeister sind die Boxer mit Olympiasieger Andreas Zülow an der Spitze, die auch in Schwerin gehalten werden konnten. Dann ist da noch der weltbeste Diskuswerfer Jürgen Schult, während Zehnkampfweltmeister Torsten Voss wegging. Ein paar Segler bemühen sich, in die nationale Spitze zu kommen, was den Handballern, die ja schon früher nur im Mittelfeld der Ost-Oberliga standen, nach dem Wechsel ihres Spitzenspielers, Auswahlakteur Holger Schneider, zum Bundesligisten Bad Schwartau nicht gelingen dürfte.

Bleiben die Volleyballer. Das Damen- und Herrenteam hat sich für die 1. Bundesliga qualifiziert. Aber auch hier mußten Abgänge in die alten Bundesländer verkraftet werden. Dies führte zu einer Schwächung der Mannschaften. Die Damen, immerhin Pokalsiegerinnen des Vorjahres, hatten im letzten Pokalendspiel gegen den SC Berlin keine Chance, nachdem man bereits im ersten Meisterschaftsfinale nach nur 32 Minuten sang- und klanglos 0:3 eingegangen war. Auch im Rückspiel morgen in Schwerin ist keine Wende zu erwarten. Im Team stehen nämlich neben den vielfachen Nationalspielerinnen Ute Steppin (25) und Christina Schultz (21) zahlreiche junge Nachwuchskräfte. Der Stammsechser der Berliner bringt es auf 141 Lebensjahre, die Vergleichszahl der Schwerinerinnen lautet 120. 20 Jahre ist also das Durchschnittsalter. Zuspielerin ist die erst 17jährige Ulrike Schwerdtner.

Sie muß das Spiel lenken und dazu fehlt ihr natürlich noch die Erfahrung. Aber ihre Jugend ist auch ein Unterpfand für eine gute Schweriner Volleyballzukunft. Die Tochter einer ehemaligen Volleyballnationalspielerin besucht noch die Kinder- und Jugendsportschule und will dort das Abitur in zwei Jahren ablegen. Sie bleibt also bei ihrem Verein, obwohl man sich auch schon nach ihr erkundigte. Stark umworben natürlich die Asse Ute Steppin und vor allem Christina Schultz. Wenn sie aber das Team verlassen, kann es in der kommenden Saison in der Bundesliga nicht bestehen. Deshalb bemüht man sich, ihnen solche Bedingungen zu bieten, daß sie auch in Schwerin eine Perspektive haben, vor allem beruflich. Ihr Weggang würde auch das Aus für junge Talente wie Ulrike Schwerdtner sein.

Noch klappt es mit der Nachwuchsförderung in den fünf neuen Ländern. Die Kinder- und Jugendsportschule existiert weiter, und die rund 75 jungen Volleyballer trainieren fast noch unter den alten guten Bedingungen. Aber wer noch nicht im Leistungszentrum des Nordens ist, hat es schon schwerer. Die Trainingszentren gibt es nicht mehr, die die Mädchen und Jungen in ganz Mecklenburg-Vorpommern auf die KJS vorbereiteten. Sichtung in den alten Bundesländern heißt, fertige Athleten einzukaufen, Sichtung in der Ex-DDR hieß, talentierte junge Volleyballer auswählen und sie zu Spitzenspielern zu formen.

So ist der Schweriner Sportclub in der kommenden Saison der einzige Verein im vereinigten Deutschland, der sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern in der ersten Bundesliga ist, weil der SC Berlin ja seine Teams durch den Zusammenschluß der Herren mit dem Sport-Club Charlottenburg und der Frauen mit CJD Berlin verliert. Mit diesem Pfund wollen die Schweriner wuchern. Die Unterstützung in der Stadt ist da, allerdings ist das Geld natürlich knapp. Die Volleyballer hatten nicht das Glück der Boxer, die mit einem westlichen Sponsor im Rücken, der sich sogar in Schwerin ansiedelte, das große Los zogen. Aber auch sie benötigen so etwas, wenn sie den Faustkämpfern nacheifern sollen.

Dabei wird sich bestimmt jemand für die beiden Bundesligamannschaften finden, die ja dann, Woche für Woche spannende Spiele bietend, in den Medien präsent sind. Aber noch wichtiger ist die Unterstützung des Nachwuchses, denn wenn man die Entdeckung von Talenten wie Ulrike Schwerdtner dem Zufall überläßt, ist Spitzenniveau nur mit zahlreichen teuren Großeinkäufen zu erreichen. Und wer kann sich das derzeit im „armen“ Osten Deutschlands leisten?