Elternzwist um Mädchenfotos

■ Ein Vater fotografierte / Eine Mutter protestierte: Keine Ausstellung

Aufmerksamen Augenmenschen im Steintor-Viertel dürfte der Privatzwist bereits ins Auge gefallen zu sein. Da hängt seit Februar ein Plakat, das für eine Foto-Ausstellung in der Stadtbibliothek „Vor dem Steintor 37“ wirbt. Wochen später wird das Plakat mit auffällig-roten „Zensiert!“-Zettelchen versehen und die BetrachterIn zur Teilnahme an einem Gerichtsprozeß aufgefordert. Vielerorts verschwindet das Plakat auch wieder, um eines Abends im April erneut 40fach präsent zu sein.

Der Urheber des Plakats heißt Helge Burwitz. Der erwerbslose Journalist ist gleichzeitig Initiator des Gerichtsprozesses. Seine Kontrahentin heißt Friederike Riemann. Sie ist mitsamt ihrer Tochter Meike auf dem Plakat abgebildet, das ist auch der Grund, warum sie die Leiterin der Stadtbibliothek in der Östlichen Vorstadt bat, die Foto-Ausstellung sofort wieder abzuhängen.

Den Plakat-KontrahentInnen Helge Burwitz und Friederike Riemann ist gemeinsam, daß ihre damals zehnjährigen Töchter im Sommerhalbjahr '90 die Schulklasse 4 b besuchten. Die Deutschlehrerin dieser 4 b nun übte mit der Klasse ein Theaterstück ein. Thema: die Abenteuer des Barons von Münchhausen. „Eine ganz tolle Theateraufführung“ schwärmt Ex-Klassenlehrerin Angelika Kahlke noch heute: „Ich habe auch mitgeschminkt“. Als „frauenfeindlich“ habe sie die Aufführung nicht empfunden: „Es ging um Abenteuer im Orient. Da gehört es dazu, daß die Damen bedienen und Bauchtanz machen.“

Die Aufführungen wurden von stolzen Elternteilen auf Video und Zelluloid gebannt, zu den Väter-Fotographen gehörte auch Helge Burwitz. Er regte an, seine Fotos öffentlich zu zeigen und gewann die Leiterin der Stadtbibliothek für seine Ausstellungs-Idee.

Für das Werbe-Plakat wählte Burwitz ein Foto aus, auf dem die 10jährige Meike Riemann von ihrer Mutter zurecht gemacht wird. Das Mädchen ist leicht bekleidet — als „Haremsdame“. Der Kopf ist traurig zur Seite geneigt, der Bauch nackt, die Unterhose schimmert unter dem Röckchen durch.

Am 15. März war Ausstellungs-Eröffnung. Ex-Klassenlehrerin Angelika Kahlke berichtet von einem Eklat: „Die Eltern waren total sauer und sind kurz nach acht verschwunden. Sie beschwerten sich über den Lolita- Touch der Ausstellung, die Mädchen würden auf den Fotos total zur Schau gestellt.“ Die Bauchtanzeinlage habe bei dem Theaterstück nur drei Minuten gedauert, die Burwitz-Fotos von den Mädchen im Bauchtanzkostüm nähmen aber die Hälfte der Ausstellung ein. Friederike Riemann erklärte dem Fotografen am nächsten Tag, sie lege Wert darauf, daß das Foto von ihr und ihrer Tochter nicht in der Öffentlichkeit erscheine. Als Vater-Fotograf Burwitz sie auf den Gerichtsweg verwies, wandte sich die empörte Mutter an die Leiterin der Stadtbibliothek. Die hängte die Ausstellung ab. A. Melkis zur taz: „Wir respektieren das Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten. Um die Qualität oder die Aussage der Fotos ging es bei unserer Entscheidung nicht.“ Eine andere Mutter aus der damaligen 4 b, Sadia Ghelala-Schlinke, sieht den Mutter-Protest von Friederike Reimann kritisch: „Die nachträgliche Moral finde ich unangebracht. Warum haben die Eltern nicht schon letztes Jahr bei der Aufführung protestiert, als die Mädchen wie kleine Weibchen auftraten?“ Sie betont, die Ausstellung selbst habe sie jedoch nicht gesehen.

Vater-Fotograf Burwitz gab nicht auf. Er rief das Gericht an. Und er verklebte selbst die „Zensiert!“-Zettelchen. Darauf heißt es: „Kommt zum Prozeß am Dienstag, den 9.4.91, 11.15, Zi. 117 im Landgericht.“ Burwitz nutzte den Platz auf den Zettelchen für ein P.S.: „Für weitere Projekte suche ich noch Fotomodelle. Telefon 7 58 04.“ Barbara Debus