»Nicht überlegs, iß Bahlsen-Keks!«

■ Der Architekt Adolf Falke und viele Bahlsen-Keksdosen im Heimatmuseum Charlottenburg

In der Ausstellung Keks & Kudamm — Adolf Falke (1888-1958). Ein Architekt des Neuen Bauens in Hannover, die im Charlottenburger Heimatmuseum gezeigt wird, paßt, wie schon im Titel, einiges nicht so recht zusammen: Eine riesig aufgeblasene Fotografie, in der Stimmung von Edward Hoppers Mitternachtsvögel hängt an der Wand. Auf dem Foto ist ein Bahlsen- Geschäft abgebildet. Der Architekt dieses Berliner »Musterladens« kommt aus Hannover. Die avantgardistisch gestylten Bahlsen-Keksdosen aus den zwanziger Jahren, wunderbare Verpackungen, die das Bahlsen-Archiv für die Ausstellung zur Verfügung stellte, spielen daneben nur eine dekorative Rolle. Schade. Denn das abstrakte Formenrepertoire auf den Keksdosen — das weiter nicht verwundern würde, wenn man wüßte, daß Kurt Schwitters ab 1924 in der Werbeabteilung des Konzerns als künstlerischer Beirat saß — wäre selbst eine eigene Präsentation wert.

Dazwischen, unter Glas, der ehemalige Boxweltmeister Max Schme- ling, der nach seinem Sieg über den »Braunen Bomber«, Joe Louis, in der 12. Runde nach einer Rechts-Linkskombination und einem Leberhaken dichtete: »Beim Kampf und Training allerwegs, nicht überlegs, iß Bahlsen-Keks!« Auch Fritzi Massary, die berühmte Soubrette, bei deren Chanson: »Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben« die Berlinerinnen in Ekstase gerieten, ist unter Glas zu sehen und meinte, als Werbeträgerin für das Haus Bahlsen: »Ein bißchen Nebenbei, bei Tee und Sekt, mit Bahlsen-Keks, der herrlich schmeckt!« Es geht also um Falke, Bahlsen und Werbung. Die kleine Einraumausstellung ist wie ein Bahlsen-Verkaufsladen inszeniert, der den Musterladen nachspielt. Auf einer Theke liegen alte Dosen für »Leibniz-Kekse« und »Mokka«-Erfrischungswaffeln. Daneben stehen bunte Schachteln für »Paganini«- Plätzchen. Um sie herum, auf Regalen und an der Wand, sind Zeichnungen, Entwürfe und Fotografien von Bauten Adolf Falkes wie Reklametafeln eingerichtet. Falke, der nach seinem Studium an der Technischen Hochschule in Hannover zu Beginn der zwanziger Jahre bei der Bahlsen AG als Architekt tätig war, baute 1930 für das Keksunternehmen am Berliner Kurfürstendamm/Ecke Fasanenstraße den Musterladen, der formbildend für die Ladengeschäfte sein sollte und zugleich dem Selbstverständnis der Firma für ein modernes Image entsprach.

Im Unterschied zu den kleinen Läden in der Umgebung des Kurfürstendamms, die noch vollgestopften Deko-Läden aus der Belle-Epoque glichen, bestimmte die Ausstattung des Bahlsen-Ladens eine rationale Sachlichkeit. Falke entwarf für die Straßenseite die Fassade mit einer großen Glasscheibe über der ein schnörkelloser Schriftzug mit dem Namen »Leibniz Keks« dominierte. Um den Verkaufsraum zu erweitern, rückte Falke die Theken und Regale an die neutral gestrichenen Wände. Im Mittelpunkt stand so das Produkt und seine auf die Sache selbst hin inszenierte Präsentation. Die Architektur bildete durch ihre Formensprache nur mehr den Rahmen für die Ware. Einfach aufgebaut, klar und übersichtlich gegliedert, so konzipiert, daß die Kunden ungehindert an das Regal herantreten konnten, um sich selbst zu bedienen, zusammen mit einem Teetisch bildeten Raum und Funktion eine exklusive Einheit.

Wie beim modernen Warenhaus gab Falke dem Ladengeschäft durch die Ästhetisierung seine großstädtische ökonomische Aufgabe zurück. Qualität und Umsatz dominierten gleichzeitig. Die Inszenierung des Innenraums erhielt eine neue Bedeutung. Der ganze Laden war Teil der Produktwerbung, die durch Reklame und Design, durch Licht und Material im Kontext der Propagierung eines zeitgemäßen schnellen wie rationellen »metropolitanen« Lebensstils stand.

Das umfangreiche Oeuvre des Architekten, das bislang unbeachtet blieb und erst 1990 im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Universität Hannover wiederentdeckt wurde, umfaßt neben der Ausstattung für Läden, Geschäftsbauten und Wohnungen, Entwürfen für Möbel, Lampen und Grabsteine kühle, fast epigonal am Stil der klassischen Moderne orientierte Bauten, die vom Industriebau über das Einfamilienhaus bis zum Wohnviertel reichten.

Einer der ersten Erfolge Falkes in der Architektur, die schon die Spuren der Moderne zeigen, war ein gewonnener Wettbewerb für eine Normaluhr mit Persil-Werbung Anfang der zwanziger Jahre. Falke entwarf dafür einen ein Meter hohen Steinsockel, auf dem sich ein hochrechteckiges Gehäuse befand, das eine würfelförmige Uhr trug. Das geometrische Gebilde aus Glas ließ in der Nachtbeleuchtung den Sockel regelrecht verschwinden und vermittelte den Eindruck eines schwebenden Körpers.

Ende der zwanziger Jahre plante Adolf Falke die »Liststadt« (1928-31 erster Bauabschnitt). Das Wohnviertel im Süden Hannovers konzipierte er als ein abgeschlossenes Quartier, das städtebaulich in streng parallel ausgerichteten Gebäudezeilen den Entwurf von Wohnungsgrundrissen ermöglichte, die optimal belichtet und belüftet werden konnten. Als repräsentativen Abschluß erhielt jeder Bau im Dachgeschoß ein Atelier. Die Siedlung schloß ein in der Höhe gestaffelter Querriegel, wodurch Hofbereiche entstanden — eine Architekturauffassung der Moderne, die nach dem Zweiten Weltkrieg fatal in die Betonwüsten der Satellitenstädte führte.

Das faschistische Deutschland belegte Adolf Falke mit einem Berufsverbot — nicht zuletzt deshalb, weil seine Frau Deutsche jüdischer Abstammung war. Zu Falkes ersten Bauaufgaben nach 1945 gehörte die Gestaltung des Mahnmals für die Opfer im Konzentrationslager Bergen- Belsen (1949), das Falke durch eine streng geometrische Anlage als Ort sakraler Erinnerung entwarf.

In den fünfziger Jahren baute Falke in Hannover zahlreiche öffentliche Bauten, Geschäftshäuser und Kinos, die im Stil dem internationalen Typus der amerikanischen Hochhäuser folgten und eine membranhafte Außenhaut unter Sichtbarmachung des Skeletts aufgriffen. Bei Adolf Falkes Kaufhausbauten allerdings glaubt man die werbewirksamen Stilelemente seines Musterladens aus dem Jahre 1930 wiederzuentdecken: Die Fassade seiner Warenhäuser bilden einen Rahmen für die Fensterfront im Erdgeschoß. Große Glaskästen ermöglichen dem Kunden ein Betrachten der Ware von drei Seiten. Die Schaufensterfront scheint mit dem Gebäude unmittelbar nicht verbunden zu sein, sondern tritt als eigenständige architektonische Einheit auf. Adolf Falkes Musterladen am Ku'damm 26a ist längst verschwunden hinter Umbauten und Überformungen. Allein die bandartige Abtrennung des Sockelgeschosses vom Haus ist noch zu sehen. rola

Die Ausstellung ist bis zum 31. August 1991 im Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69, zu sehen. Di. bis Fr. 10 bis 17 Uhr, So von 11 bis 17 Uhr. Eintritt ist frei. Zur Ausstellung erscheint ein Beiblatt.