In den ärmsten Hütten stehen die teuersten Stereoanlagen

■ El Salvadors Wirtschaft lebt von den in den USA untergekommenen Flüchtlingen und Emigranten/ Der Dollar-Segen führt jedoch kaum zu Entwicklungen

San Salvador (ips) — Eine Million Salvadorianer, durch Elend und Bürgerkrieg aus ihrer Heimat vertrieben, leben großteils als illegale Einwanderer in den USA. Ihre Dollar- Überweisungen sind die wichtigste Devisenquelle El Salvadors und ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Stabiltät des Landes, bestätigt eine noch unveröffentlichte Studie der „Zentralamerikanischen Universität“ (UCA) in San Salvador.

Die jährliche Summe über 750 Millionen US-Dollar von salvadorianischen Emigranten ist doppelt so hoch wie die offizielle Wirtschafts- und Militärhilfe Washingtons, heißt es in der Studie des Wirtschaftsexperten Juan José Garcia, der sie im Auftrag der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) erstellt. Selbst die Exporteinnahmen El Salvadors liegen weit darunter, sie erreichten im Vorjahr nur 571,5 Millionen Dollar.

Vor allem diesen Geldsendungen ist auch der Erfolg der liberalen Währungspoltik zu verdanken, der sich die rechtsextreme Regierungspartei „Republikanisch-nationalistische Allianz“ (Arena) verschrieben hat. Seit geraumer Zeit hält sich die Landeswährung Colón bei einem Wechselkurs von 8:1 zum US-Dollar, ohne daß die Zentralbank intervenieren müßte. Wenn die Überweisungen zu Weihnachten und zu Ostern Spitzenwerte erreichen, gerät der Dollar sogar unter Druck.

Der große Umfang der Überweisungen ist darauf zurückzuführen, daß sich in El Salvador meist junge Männer unter 25 Jahren auf den Weg in die Vereinigten Staaten machen — anders als im Falle Nicaraguas, wo ganze Familien ihrem Land den Rücken zukehren.

Die Auswanderung hat in El Salvador Tradition. Die hohe Bevölkerungsdichte — fünf Millionen Menschen drängen sich auf nur 21.000 Quadratkilometern — und die extrem ungleiche Verteilung des Landbesitzes zwangen bereits Anfang des Jahrhunderts viele Salvadorianer, ihr Glück im Ausland zu suchen. Damals war Panama das bevorzugte Zielland, das in den sechziger Jahren vom benachbarten Honduras und schließlich von den USA abgelöst wurde. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs vor elf Jahren erreichte der Exodus neue Dimensionen. Heute hat praktisch jede EinwohnerIn des Landes Verwandte in den Elendsvierteln von Los Angeles und Washington, wo sich der Großteil der EmigrantInnen konzentriert.

In El Salvador hat man sich mit der massiven Auswanderung nicht nur abgefunden, sie wird, aus verständlichen Gründen, offiziell sogar gefördert. Schon der verstorbene Expräsident José Napoleón Duarte (1984 bis 1989) begab sich mehrmals in die USA, um eine Abschiebung hunderttausender illegal eingereister Salvadorianer zu verhindern. Diese Gefahr ist durch eine Amnestieregelung vorläufig gebannt: Wer seine Residenz in den USA nachweist, kann bis Mitte 1992 eine Legalisierung seines Aufenthalts beantragen.

Die aktuelle Arena-Regierung hat sich unterdessen zu einer besonderen Ehrung für die Emigranten entschlossen: Ein „Denkmal für den Auswanderer“ wird in der Hauptstadt San Salvador errichtet. Der vorgesehene Standort befindet sich auf einem Platz am Anfang der Zubringerautobahn zum internationalen Flughafen. Außerdem soll in Kürze ein starker Kurzwellensender in Betrieb gehen, der die salvadorianische Gemeinschaft in den USA mit Informationen über ihre Heimat versorgen soll.

Mit dem offiziellen Lobgesang werden allerdings die oft katastrophalen Lebenserhältnisse der Salvadorianer in den USA genauso verdrängt wie die Tatsache, daß die meisten Emigranten kaum per Flugzeug, sondern schwimmend und watend durch den Grenzfluß Rio San Juan in die USA gelangen.

Auch im Land selbst herrscht nicht nur eitel Sonnenschein. Die vielen grünen Scheine in den Briefumschlägen erweckten schon bald das Interesse skrupelloser Mitbürger. Die um sich greifende Kleinkriminalität erzeugte ein Bedürfnis nach mehr Sicherheit und rascherem Transport, und private Postunternehmen schossen seit den achtziger Jahren wie Pilze aus dem Boden. Ihr Filialnetz erstreckt sich bis in die hintersten Winkel des Landes. Viele dieser Unternehmen gelten aber als ebenso zwielichtig wie die Diebe, vor denen sie ihre Kunden angeblich schützen wollen. Die Behörden werfen einigen Firmen Betrug vor: Meist beschränkt sich ihre Leistung darauf, die erhaltenen Briefe über den normalen Postweg weiterzuschicken.

Es sei auch sehr schwierig, den Dollar-Segen für eine wirkliche Entwicklung des Landes zu nutzen, bemerkt der Wirtschaftsprofessor Garcia. Die Familienangehörigen der Emigranten decken mit den Überweisungen elementare Grundbedürfnisse ab oder erstehen statuserhöhende Konsumgüter — in den einfachsten Hütten, bewohnt von sichtlich unterernährten Bauern, finden sich die neuesten Stereoanlagen.

Die Auswanderung führt, so Garcia, außerdem zu tiefgreifenden Veränderungen der salvadorianischen Gesellschaft. Kleinfamilien lösen die traditionellen Beziehungen zur weitverzweigten Verwandtschaft ab, und die Empfänger der Überweisungen gewöhnen sich an ein arbeitsfreies Einkommen, das ein Durchschnittsgehalt im Land selbst oft übersteigt. Dadurch werde nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit verschleiert, auch der bekannte Arbeitseifer der Salvadorianer lasse nach, heißt es in der Studie.

Garcia schlägt vor, diesen Trends durch die Bildung von Kooperativen entgegenzuwirken. Derart organisiert, könnnten die Empfänger von Überweisungen ihre Geldmittel als Sicherheit für Entwicklungskredite nutzen.