: Düstere Prognosen für osteuropäische Wirtschaft
Für 1991 wird eine weitere Verschlechterung der Zahlungsfähigkeit erwartet/ Beispiel Ostdeutschland ist „entmutigend“ ■ Aus Genf Andreas Zumach
Mit einer „tiefen Rezession“ im Osten und einer weiteren Erschwerung der Reformprozesse auf Grund „Abschwächung des Wirtschaftswachstums im Westen rechnet die UNO-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) in Genf.
In ihrem gestern veröffentlichten Jahresbericht 1990/91 geht die Kommission für 1991 von einem durchschnittlich einprozentigen Wirtschaftswachstum in Westeuropa und weltweit aus und damit von einem noch größeren Rückgang der Zuwachsraten als in der zweiten Hälfte 1990. Ein Anstieg auf die von zahlreichen Regierungen für möglich gehaltenen 2,5 Prozent im Jahr 1992 sei durch die hohe Verschuldung in einigen westlichen Ländern und die angezogenen Kreditbremsen eher fraglich.
Für Osteuropa konstatiert die Kommission für 1990 einen durchschnittlichen Rückgang der Industrieproduktion um 18 Prozent, der Materialnettoproduktion um elf Prozent. Die tiefe Rezession mit hoher Inflation, dramatisch gestiegener Arbeitslosigkeit und gefallenen Investitionen habe deutlich gemacht, daß der Übergang zur Marktwirtschaft mehr Zeit brauche, als zunächst angenommen. Allein mit einem raschen Technologietransfer sei es nicht getan, heißt es in dem Kommissionsbericht.
Die UNO-Experten bezweifeln allerdings, daß der Westen bereit und fähig ist, die finanzielle und wirtschaftliche Hilfe an Osteuropa so stark aufzustocken, daß daraus eine „solide Stütze der Reformprozesse werden kann“. Durch den Golfkrieg und Katastrophensituationen in vielen Teilen der Welt außerhalb Europas würde immer mehr der eigentlich für den Wiederaufbau Osteuropas benötigten Resourcen abgezogen. Die Probleme auf dem Gebiet der früheren DDR machten deutlich, welche Größenordnung von Unterstützung eigentlich notwendig sei. Zugleich habe der „schnelle Zusammenbruch“ der ostdeutschen Wirtschaft nach Einfühung der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 in einigen anderen osteuropäischen Ländern neue Skepsis gegen die schnelle umfassende Einführung eines marktwirtschaftlichen Systems erzeugt.
Für 1990 stellt die UNO-Kommission einen „scharfen Rückgang“ des Ost-Westhandels fest. Trotz der erhöhten Exporte der CSFR, Ungarns und Polens habe es insgesamt „praktisch überhaupt keine Zunahme gegeben“. Im laufenden Jahr wird eine weitere Verschlechterung der Zahlungsfähigkeit der meisten osteuropäischen Staaten erwartet. Dies korrespondiert mit einer bereits seit Ende 1989 zu beobachtenden Zurückhaltung internationaler Banken, diesen Staaten Geld zu leihen. Den Prognosen liegt allerdings noch der nach Beginn der Golfkrise im August 1990 gestiegene Ölpreis zu Grunde, der inzwischen wieder deutlich gesunken sind.
Als ein möglicherweise entscheidendes Hindernis für einen baldigen Erfolg wirtschaftlicher Reformen in Osteuropa sieht die ECE-Kommission die tiefgreifenden politischen Probleme vor allem in Jugoslawien und der Sowjetunion. Das eher düstere Resümees der UNO-Studie: „Nicht bereit, zu der früheren Ordnung zurückzukehren, unfähig zu einer einschneidenden umfassenden Reform und nicht in der Lage, wachsende makroökonomische Ungleichgewichte zu bewältigen“, drifteten diese Staaten „zunehmend in eine politisch wie wirtschaftlich mißliche Lage“.
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