„Sanfter Streik“ in Albanien

Der Aufruf zum Generalstreik wurde nur mäßig befolgt/ 30.000 machten Beerdigung in Shkoder zur Demonstration  ■ Von Roland Hofwiler

Belgrad (taz) — Glaubt man dem albanischen Fernsehen, so gingen gestern so viele Menschen in Tirana zur Arbeit wie immer. Der Aufruf der oppositionellen Demokraten zum eintägigen Generalstreik schien kaum befolgt zu werden. Die Medien sind so gleichgeschaltet wie seit Monaten nicht mehr. Doch auch über Mundpropaganda scheint die Kunde vom Streik nicht mal in die größeren Städte gedrungen zu sein, in die ländlichen Gebiete gleich gar nicht. Vor Journalisten gab denn gestern Genc Pollo, Sprecher der Demokratischen Partei, zu, man habe lange gezögert, bis man zum Streik aufgerufen habe. Aber man wollte vorsichtig sein, nur mit „einem sanften Streik“ Unmut zeigen, um die Kommunisten nicht unnötig zu provozieren. So hieß auch die Parole: Arbeiter bleibt zu Hause, erscheint nicht am Arbeitsplatz, geht aber auch nicht auf die Straße, bildet keine Demonstrationszüge.

Die Angst vor neuen, immer brutaleren Zusammenstößen zwischen Oppositionellen, Intellektuellen und Studenten auf der einen und kommunistischen Funktionären, Polizisten und V-Leuten der berüchtigten „Sigurimi“ auf der anderen Seite scheint den Menschen tief im Nacken zu sitzen. Bilder von den Beisetzungsfeierlichkeiten am Mittwoch abend in Shkoder, wo die drei Toten der letzten Tage zu Grabe getragen wurden, zeigten die angespannte Lage. Unter die 30.000 Demonstranten mischten sich Polizei ebenso wie ungeduldige Jugendliche, die mit Parolen wie „Tötet die Roten“ sich nicht zurückhielten. Doch die Provokation mißlang. Unbestätigten Berichten zufolge soll die Armee- und Polizeipräsenz selbst in entfernt gelegenen Gemeinden in den Tagen nach der Wahl drastisch erhöht worden sein. Vor allem in den Hafenstädten Durres und Vlora patrouillieren Soldaten pausenlos, fahren selbst nachts Panzerfahrzeuge durch die Straßen, um die Einwohner einzuschüchtern und jeden Protest im Keim zu ersticken.

Auf die Frage, wie es weitergehen soll, wissen weder die offiziellen kommunistischen Medien noch die kleinen Oppositionszeitungen eine Antwort. Beide verheimlichen aber nicht, daß das Land sich schon seit Wochen in „einer Art unerklärtem Generalstreik“ befinde, so die regimekritische 'Rilindja Demokratie‘. In kaum einer Fabrik wird auch nur mit halber Kapazität mehr gearbeitet: die Menschen bleiben einfach fern. In der Hafenstadt Durres, so die Zeitungen, seien vor allem Beschäftigte in Elektronikfabriken schon seit fast sechs Monaten ohne Arbeit. Zulieferfirmen schickten keine Rohmaterialien und Ersatzteile. In der Kleinstadt Kavaja sollen von 10.000 Arbeitern nur noch 1.000 arbeiten. Die Medien beklagen sogar die Arbeitsmoral auf dem Lande: Obwohl der Frühling nahe sei, habe die Aussaat nirgends ernsthaft begonnen.