Buhlen um eine „abgewirtschaftete“ SPD

Ein halbes Jahr vor den Bürgerschaftswahlen in Bremen hoffen alle Oppositionsparteien auf den Verlust der absoluten SPD-Mehrheit/ Alle wollen sie mit den Sozialdemokraten koalieren/ Der Filz hat einen Namen: „lieber Detlef“  ■ Von Holger Bruns-Köster

Bremen (taz) — Seit 20 Jahren gibt es in Bremen politisch nur noch eins: die absolute Mehrheit der SPD. Doch jetzt, ein knappes halbes Jahr vor den Bürgerschaftswahlen, wittert die Opposition im kleinsten Bundesland Morgenluft. Der Grund: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat im Auftrag des Senats die politische Stimmung in Bremen untersucht und festgestellt: Nur 36 Prozent aller BremerInnen hätten vor Monatsfrist mit Sicherheit die SPD gewählt. Und auch Ansehen und Popularität von Bürgermeister Klaus Wedemeier sind deutlich gesunken. Hielten vor den letzten Wahlen 1987 noch zwei Drittel aller Bremer Wedemeier für eine gute Bürgermeister- Wahl, so sind jetzt nur noch etwas mehr als die Hälfte aller WählerInnen dieser Ansicht.

Zu dem deutlichen Vertrauensverlust hat Wedemeier selbst einen Gutteil beigetragen. Anfang des Jahres kam er als kleiner Lothar Späth in die Schlagzeilen der Bremer Medien. Da wurde öffentlich, daß auch Wedemeier auf Kosten anderer Urlaubsfreuden genoß. So war er im Sommer auf Staatskosten mit Werder Bremen zu einer Dienstreise nach New York geflogen. Dort hatte er die Dienstreise für einen vierwöchigen Urlaub unterbrochen und nach dem Privaturlaub zum Rückflug ab New York wieder aufgenommen. Das Flugticket für seine Frau Ute hatte der Fußballverein finanziert. Zwei Monate später urlaubte Wedemeier erneut, diesmal auf Mallorca in der Villa des Bremer Großinvestors Hans Grothe. Wedemeier kehrte stolz zurück und verkündete, daß Grothe seine private Bildersammlung in einem neuen Museum in Bremerhaven aufhängen wolle. Wenig später wurden andere, nicht ganz so uneigennützige Pläne Grothes in Bremen öffentlich. Der Baulöwe will auf dem Bahnhofsvorplatz ein sechsstöckiges Bürohaus errichten.

Zu dem Vertrauensverlust haben auch zahlreiche kleinere und größere Filz-Affären beigetragen. So wurde für eine SPD-Unterbezirksvorsitzende, die im ebenfalls Wedemeier unterstellten Arbeitsressort angestellt war, eigens eine neue Behörde mit bestens dotierter Planstelle geschaffen, die Zentralstelle für Zuwanderer. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Wolfgang Klatt, der wahrscheinlich nicht wieder für die Bürgerschaft aufgestellt worden wäre, wurde zum Leiter des Hansekontors in Rostock ernannt und soll dort für 10.000 Mark im Monat Wirtschaftsberatung machen.

Den Clou aber leistete sich Bremens Finanzsenator Claus Grobecker. Der gab es einem Genossen SPD-Parlamentarier schriftlich, daß die Autonomie der Hochschulen in Bremen rein gar nichts wert ist. „Lieber Detlef! Unser beider Vereinbarung war, etwas Attraktives, Sinnvolles zu machen, wo du das, was du kannst, auch einbringen kannst. Der Rektor der Hochschule für Verwaltung haut in 'n Sack. Ich biete dir an, Hochschullehrer an dieser Hochschule zu werden“, schrieb Grobecker an seinen Genossen Griesche. Und mit allerlei Tricks wurde der „liebe Detlef“ tatsächlich zur Nummer eins der Vorschlagsliste, obwohl sich eine deutlich besser qualifizierte Bewerberin ebenfalls auf die Stelle beworben hatte. Nach einer taz-Veröffentlichung wurde das Berufsverfahren zwar ausgesetzt, doch „lieber Detlef“ ist in Bremen inzwischen geflügeltes Wort für Genossen-Filz geworden.

Grobecker steht auch im Mittelpunkt einer anderen Affäre. Da war vor Jahresfrist quasi über Nacht eine alte Villa im vornehmen Bremer Schwachhausen abgerissen worden, obwohl sich zahlreiche BremerInnen mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Hauses eingesetzt hatten und im Parlament ein Antrag vorlag, das Haus nicht abzureißen. Grobecker hatte intern auf dem Abriß bestanden. Zum einen, weil er das Grundstück bereits für 1,5 Millionen verkauft hatte, zum anderen, weil er, so wird übermittelt, „den Schwachhausenern eins in die Fresse hauen“ wollte. Der Bausenator, der sich seinem groben Kollegen beugte, mußte den Abrißantrag unterschreiben und dafür einen Mißtrauensantrag über sich ergehen lassen.

Nutznießer des Villenabrisses war der Hotelkonzern Maritim, der auch im Mittelpunkt einer anderen, teuren lokalpolitischen Auseinandersetzung stand. Da hatte der Senat beschlossen, in Bremen ein neues Kongreßzentrum zu bauen. Weil Teile der SPD angesichts der katastrophalen Haushaltslage Bedenken hatten, wurden die Kosten auf 50Millionen Mark heruntergerechnet. Erst kurz vor dem Baubeginn vor einem Jahr kamen die wirklichen Zahlen ans Licht: Jetzt kostet das Kongreßzentrum 100 Millionen, weitere Kostensteigerungen sind noch möglich. Da die Verträge mit Maritim unterschrieben waren, mußte die Bürgerschaft zähneknirschend Geld nachbewilligen.

Geld, das in Bremen eigentlich nicht vorhanden ist. Denn das kleinste Bundesland drückt eine Schuldenlast von 15 Milliarden Mark. Die Pro-Kopf-Verschuldung von 23.000 Mark ist so hoch wie nirgends sonst. Und der Zeitpunkt der absoluten Handlungsunfähigkeit ist in der Finanzplanung bereits festgeschrieben. Ab 1995 werden die Zinsen die neu aufzunehmenden Kredite übersteigen. Das große politische Thema in Bremen lautet deshalb: Wie rettet Bremen seine politische Selbständigkeit? Die Antwort der SPD lautet: Der Bund muß zum einen Bremen um 50 Prozent entschulden und außerdem muß mehr Geld aus dem Finanzausgleich zwischen den Bundesländern nach Bremen.

Auch die Opposition setzt auf Hilfe von außen, verlangt aber, daß Bremen mehr eigene Anstrengungen zur Reduzierung des Schuldenberges übernimmt. Die CDU, die sich nach den Umfrageergebnissen von ihrem 23-Prozent-Tief erholt hat und wieder auf 30 Prozent der WählerInnen hoffen darf, will das Thema Finanznot und Selbständigkeit zum Mittelpunkt des Wahlkampfes machen. Die Union, die personell völlig abgewirtschaftet war, hat in letzter Zeit deutlichen Zulauf aus den Kreisen der Bremer Wirtschaft. Dort wurde sie auch fündig bei der Suche nach einem Spitzenkandidaten. Der 50jährige Banker und Sparkassen- Vorstand Ulrich Nölle, in Typ und Aussehen Wedemeier ähnlich, soll die CDU in den Wahlkampf führen. Daß es für die Union mit der FDP zu einem Machtwechsel langt, glaubt allerdings in Bremen niemand. Und so lautet das übereinstimmende Wahlziel von FDP, Grünen und CDU: weg mit der absoluten Mehrheit der SPD. Und ebenso übereinstimmend liebäugeln alle drei Parteien mit einer Koalition mit eben jener „abgewirtschafteten“ SPD. Der grüne Landesvorstand hat bereits einen entsprechenden Beschluß gefaßt, und auch die CDU steht bereit, um der Selbständigkeit Bremens willen eine große Koalition anzubieten. Im Rathaus aber laufen die Überlegungen eher in Richtung FDP. So hat Klaus Wedemeier sich deutlich in die Programmdiskussion der SPD eingemischt, um Festlegungen zu vermeiden, die eine Koalition mit der FDP unmöglich machen.