Rolls-Royce? Cadillac?

■ Max Frischs Absage-Brief an den Delegierten für die Schweizer 700-Jahr-Feier, Marco Solari

Marco Solari versuchte unter anderem auch Max Frisch zur Teilnahme an den Festivitäten zu bewegen, nicht zuletzt, um dem Kulturboykott dieser Feier die Spitze zu brechen. Vergeblich, wie Frischs Antwortbrief zeigt.

12. März 1991

Sehr geehrter Herr Marco Solari!

Als Sie mich per Telefon eingeladen haben in das Botta-Zelt in Bellinzona und ich Ihnen sagen mußte, daß ich den Künstler-Boykott unterzeichnet habe, da wußten Sie das schon; ich konnte nur noch ergänzen: trotz Boykott-Teilnahme zeige ich natürlich nicht mit dem verdammenden Finger auf andere, die es anders halten, wie der alte Freund Rolf Liebermann zum Beispiel, zudem verstehe ich aus früher Erfahrung, daß ein Künstler zeitweise auf jeden öffentlichen Auftrag angewiesen ist. Euer Fest in Bellinzona fand am nachfolgenden Tag statt; eine reichlich späte Einladung also. Aber im Gentlemen-Ton ließen Sie mich wissen, daß die Eidgenossenschaft mich in Zürich abholen würde (Mercedes? Rolls-Royce? Cadillac?).— Künstler-Boykott hin, Künstler-Boykott her; so mußte ich Ihnen etwas Privates anvertrauen, nämlich, daß ich krank bin. Es war ein höfliches Telephonat, meine ich, sogar ein witziges — nur haben Sie den Klartext überhört.

Was soll ich antworten auf diese neue Einladung aus dem Bundeshaus? Vielleicht könnte ich Alt- Bundeskanzler Helmut Schmidt anlocken, da er mich schon zweimal nach Hamburg zu einem persönlichen Wiedersehen eingeladen hat; den Zuschlag von Business- Class zur ersten Klasse in der SWISSAIR würde ich übernehmen. Offenbar braucht unsere Regierung jetzt internationale Namen, um unsere Position im neuen Europa zu demonstrieren. Oder dürfte es auch ein Flüchtling sein, der unser Land hat verlassen müssen?

Die 700-Jahr-Feier, die Sie zu gestalten haben — das Schweizervolk fiebert vor Erwartung, ein Vierteljahr ist bereits weg —, mißfällt mir aus ernsten Gründen. Das wissen Sie, aber das hindert Sie nicht an dieser Einladung. Meine Onkologin, die am Bett sitzt, kann sich nicht vorstellen, wie ich auch nur drei Minuten aufrecht stehe oder aufrecht sitze zwischen einem Bundesrat und einem Bundesanwalt; immerhin findet sie den Blutdruck ordentlich. Im Ernst. (...)

Vollständig in: 'WOZ‘ 11/91, 15.3.91