: Sind die Grünen noch zu retten?
■ Ralf Fücks plädiert für eine „Politik des ökologischen Rückzuges"
Der frühere Bürgerschaftsabgeordnete und Bundesvorstands-Sprecher der Grünen, Ralf Fücks, derzeit Vertreter der Grünen im Beirat Östliche Vorstadt, hat ein Buch unter dem provoziernden Titel „Sind die Grünen nocht zu retten?" herausgegeben und befaßt sich selbst in einem Aufsatz mit der Zukunft der Grünen. Wir dokumentieren Auszüge:
... Daß die Grünen ihre Zukunft als („ökologisch-emanzipatorisch-feministisch-basisdemokratische) Linkspartei zwischen SPD und PDS suchen sollen, leuchtet schon politgeographisch nicht ein. Dieser Platz ist zu schmal für eine eigenständige Rolle, und vor allem: von dort aus lassen sich die politischen Gewichte nicht entscheidend verschieben. Dort bleiben die Grünen immer das fünfte Rad am sozialdemokratischen Wagen und müssen sich wünschen, daß sie selbst ungeschoren bleiben und die Malocher nicht zur CDU flüchten.
Der große grüne Kurswechsel der Gesellschaft kann nur von einer Kraft angeschoben werden, die nicht in die traditionelle Rechts- Links-Polarisierung eingebunden ist. Statt sich mit der SPD in einem „linken Block“ einzumauern, der mit dem „rechten Block“ aus CSU/CDU/FDP um die Mehrheit kämpft, müssen die Grünen im Rücken aller Parteien auftauchen — wie wir bei der Bundestagswahl 1990 auch in alle politischen Himmelsrichtungen verloren haben. Denn erstens ist die rot- grüne Option auf Bundesebene für mehr als eine Legislaturperiode entschwunden; zweitens sind 51-Prozent-Mehrheiten nicht zu weitreichenden Reformen fähig, wenn sie nicht auch Sympathie im oppositionellen Lager finden; drittens müssen für einen ökologischen Kurswechsel die politiscen Orientierungen im sozialdemokratischen und im wertkonservativen Spektrum der Gesellschaft in Bewegung kommen - und tatsächlich ist diese Umorientierung bereits im Gang. Sie zeigt sich in der Priorität der „ökologischen Frage“ im Problembewußtsein weiter Teile der Bevölkerung, in Veränderungen der Alltagskultur, in einem gewachsenen demokratischen Selbstbewußtsein, der Infragestellung patriachaler Strukturen und in einer allen Kriegsabenteuern abholden Grundhaltung.
Daß vor diesem Hintergrund am 2. Dezember 1990 die Grünen abgewählt wurden, spricht vor allem gegen die Grünen selbst. Je stärker sie sich von ihrem Gründungsimpuls — „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ — entfernten und zu einer linksreformistischen Partei wurden, desto schwächer wurde ihre Resonanz in der Gesellschaft. So naiv diese Parole damals empfunden worden sein mag, in ihr steckte mehr Weisheit als in allen gelehrten Beweisführungen, daß es in modernen Gesellschaften nicht möglich sei, das Rechts- Links-Schema zu verlassen.
Die ökologische Herausforderung führt zu anderen Konfliktlinien und Bündnissen als die „soziale Frage“, die der traditionellen Rechts- Links-Polarisierung zugrunde liegt. Ökologie ist keine Klassenfrage, auch wenn ökologische Risiken am Ende der sozialen Skala stärker durchschlagen als an der Spitze. (...)
Auch kulturell steht ökologische Politik vielfach „quer“ zu linken Traditionen: sie mißtraut den Segnungen des „industriellen Fortschritts“ und der „wissenschaftlich-technischen Revolution“, beharrt auf dem Eigenwert der Natur, freundet sich mit regionaler Vielfalt und traditionellen Kulturen an, wehrt sich gegen die gnadenlose Kommerzialisierung der Welt und die Gleichsetzng von Konsum und Glück, setzt auf individuelle Verantwortung und eine Ethik der Selbstbegrenzung etc. All das bringt sie in eine irritierende Nähe zu konservativen Werthaltungen — und ermöglicht in der Praxis Bündnisse zwischen der städtischen Alternativszene und Bio-Bauern, „postmaterialistischen“ Linken und christlich geprägten Naturschützern. Daß den Grünen diese Vielfalt inzwischen weitgehend verloren ging, ist Krisensymptom und —ursache in einem.
Die „Sozialverträglichkeit“ politischer und ökonomischer Entscheidungen wird in unserer Gesellschaft von einem tiefgestalffelten Institutionen-System eingefordert: Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen. Selbsthilfegruppen etc. Sie finden Rückhalt in Tarifverträgen und einer weitgefächerten Arbeits-und Sozialgesetzgebung; keine Volkspartei kann sie straflos ignorieren. Dagegen steht die Entwicklung einer „ökologischen Gegenmacht“, die auf der Umweltverträglichkeit politischer und technischer Entscheidungen besteht, erst ganz am Anfang. Dafür braucht es neben Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, wissenschaftlichen Institutioen auch eine Partei, die versucht, die „ökologische Frage“ ebenso konsequent im politischen System zu verankern wie das die Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert mit der „sozialen Frage“ getan hat.
Das Scheitern der Grünen an der 5-Prozent- Hürde ist schlimm genug. Noch schlimmer ist, daß unser Verschwinden aus der Bundespolitik in der Öffentlichkeit mit dem Argument abgehakt wurde: „Die Ökologie machen ja jetzt alle, darum brauchen wir die Grünen nicht mehr.“ Darin liegt ein fataler Selbstbetrug der Gesellschaft. Denn nach wie vor sind wir von dem, was wir ökologisch tun müßten, weit entfernt — quantitativ und qualitativ. Und nach wie vor ist das auf die alten Probleme spezialisierte politische System in Deutschland unfähig zur ökologischen Wende. Die Ökologie braucht darum weiterhin einen privilegierten Ort in der Politik. Die Frage ist, ob die Grünen diese Rolle übernehmen wollen...
An einer Politik des ökonomischen Rückzugs führt kein Weg vorbei. Dazu gehört auch der Mut, die Zumutungen offen auszusprechen, die das für einen Großteil der Gesellschaft bedeutet (zum Beispiel für die Wohnraumansprüche der Mittel- und Oberschichten angesichts wachsender Wohnungsnot und schrumpfender Grünflächen), statt mit SPD und CDU „Umweltschutz“ als Treibsatz für einen neuen Wachstumsboom zu verkaufen. In diesem Kontext materieller Selbstbegrenzung der Industriegesellschaft bekommt „Umverteilungspolitik“ wieder ihren Stellenwert: nicht als Fortsetzung des alten Konkurrenz um ein wachsendes Mehrprodukt, sondern als Mittel, um menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Bürterinnen und Bürger zu garantieren.
Wenn wir unsere eigenen Prognosen über die Beschleunigung ökologischer Katastrophen (Klima, Wasser, Boden) ernst nehmen, dann zeichnet sich ein wachsender Konflikt zwischen Ökologie und Demokratie ab, der die hochindustrialisierten Gesellschaften ihre mühsam errungene innere Liberalität kosten kann. Je krasser die ökologischen Krisenerscheinungen werden, je stärker sie Produktion und Alltagsleben gefährden und je mehr Massenwanderungen in noch vergleichsweise intakte Länder sie nach sich ziehen, desto größer wird die Versuchung zur autoritären Notstandsverwaltung - und die gesellschaftliche Bereitschaft, diese zu akzeptieren.
Dagegen müssen die Grünen auf die Allianz von Ökologie und Bürgerrechten setzen. Es geht darum, die ökologische Krise mit demokratischen Methoden abzuwenden und die Demokratie mit einer konsequent ökologischen Politik zu bewahren. Das ist ein schon fast verzweifelter Wettlauf mit der Zeit, aber eine andere Option haben wir nicht. (...) Der Steit für erweiterte Informations- und Entscheidungsrechte ist deshalb Kernbestand ökologischer Politik.
Der Text ist ein Auszug aus dem Text „Ökologie und Brgerrechte“ von Ralf Füchs, abgedruckt in: „Ralf Fücks (HG.): Sind die Grünen noch zu retten? (Reinbek 1991)
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