Im Osten drohen neue Berufsverbote

■ Probleme bei der Überprüfung von Ex-DDR-Bürgern für den öffentlichen Dienst

Berlin. Die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus befürchtet, daß es bei der Überprüfung von ehemaligen DDR-Staatsdienern zu einer Neuauflage von Berufsverboten kommt, und das in großem Maßstab. Auch wenn einen immer dann leichtes Unbehagen befällt, wenn sich ausgerechnet die SED-Nachfolgeorganisation PDS zur aufrechten Hüterin des Rechtsstaats hochstilisiert: Die Betroffenen, die Fraktionschef Peter Zotl gestern der Presse vorführte, haben offenbar allen Grund, sich als Opfer von Berufsverboten zu fühlen. Die Fälle erinnern an die jahrelang heftig umstrittene Praxis der Berufsverbote in der alten Bundesrepublik.

Fall A: die Biologie- und Chemielehrerin Martina Thomas aus Köpenick. Sie erhielt im August 1990 — für sie völlig überraschend, wie sie sagt — die Kündigung und darf seither nicht mehr im Schuldienst arbeiten. Als Begründung wurde ihre Mitarbeit in der FDJ und »der Partei« angeführt. Zu einer Einzelfallprüfung wurde sie bis heute nicht gebeten. Martina Thomas hat mit anderen Betroffenen eine Selbsthilfegruppe gegründet und wartet auf die Verhandlung ihres Falles vor dem Arbeitsgericht Anfang Juni. Eine Perspektive sieht sie kaum noch, »aber einmal muß man es doch versucht haben«.

Wie mehrfach berichtet, müssen sich ehemalige DDR-Staatsdiener und alle, die in den öffentlichen Dienst übernommen werden wollen, seit Ende letzten Jahres einer Fragebogenaktion unterziehen, in der sie auch nach Parteizugehörigkeit bzw. Ämtern befragt werden. Von vornherein ausgeschlossen wurde eine Übernahme in den öffentlichen Dienst bereits im Einigungsvertrag für Mitarbeiter des MfS, wenn diese Tätigkeit bis in die jüngste Vergangenheit andauerte oder sie in ihrem Amt Repressionen ausübten. Innensenator Erich Pätzold präzisierte im Dezember die Auswahlkriterien: Als »regelmäßig« ungeeignet gelten etwa ehemalige hauptamtliche Parteifunktionäre und Angehörige von Parteikontrollkommissionen, ebenso ehrenamtliche Funktionäre vom APO-Sekretär (Abteilungsparteiorganisation) aufwärts. Rangniedere Parteifunktionäre sollen dann nicht weiterbeschäftigt werden, wenn sie ihre Funktion »repressiv« ausgeübt haben. Über niemanden, so versicherte Pätzold seinerzeit, solle pauschal geurteilt werden. Wer im Fragen-Dickicht hängenbleibe, habe Anrecht auf eine Einzelfallprüfung.

Mit dieser Einzelfallprüfung nimmt man es in der Praxis jedoch oft nicht allzu genau. Angesichts der kaum lösbaren Aufgabe der gewünschten Entsorgung der DDR- Vergangenheit müssen die Beschuldigten häufig ihre Unschuld nachweisen — was in manchem Einzelfall nicht möglich ist. Zu Recht moniert die PDS, wie es im übrigen auch namhafte liberale Politiker in der Vergangenheit getan haben, daß dies gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien verstößt: Im bürgerlichen Recht muß dem Beschuldigten die Schuld nachgewiesen werden.

Fall B: Hugo K. (Name von der Redaktion geändert), zuletzt Bauleiter im Anlagenbau beim Pendant zur Westberliner Bewag, der Ebag im Ostteil der Stadt. Er wurde Mitte Februar zusammen mit rund 120 anderen Kollegen entlassen. Als Begründung wurde angeführt, die Arbeitsverträge seien auf Druck des SED- Regimes zustande gekommen und deshalb sittenwidrig. Den Betroffenen wurde ein befristetes Arbeitsverhältnis bis Ende April angeboten, wenn sie sich schriftlich verpflichteten, die Entlassung anzuerkennen und auch keine weiteren Rechte gegenüber der Ebag geltend machen würden. Wenn die Betroffenen sich erdreisteten, auch noch ein Arbeitszeugnis zu verlangen, wurde diesem ein Passus beigefügt, der besagt, daß das Zeugnis keinerlei Rechtsgrundlage hat. Sämtliche der Entlassenen waren niedrige Parteifunktionäre bzw. ehemalige MfS-Mitarbeiter, müßten also laut Pätzoldscher Definition zumindest in der Einzelfallprüfung eine Chance haben. Die Gelegenheit bekamen sie jedoch nicht geboten. Hugo K. durchlief bei der Ebag seine Ausbildung und wurde nach einem Hochschulstudium zum Parteisekretär beim Bau des Kraftwerks Rummelsburg bestellt. Betroffen waren beispielsweise auch eine ehemalige Sekretärin im Institut für Arbeiterbewegung, Tiefbauarbeiter oder Maschinisten. Bei einer späteren Fusion mit der Bewag würde selbstverständlich keiner der dort Beschäftigten in den Staatsdienst übernommen werden, sondern lediglich in ein dem öffentlichen Dienst gleichgestelltes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Von dem Unternehmen war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. 60 Prozent der Entlassenen wollen auf Wiedereinstellung klagen — mit dem sicheren Wissen, keine Chance zu haben. Kordula Doerfler

Im Ostteil Berlins gibt es eine »Initiative gegen Berufsverbote«, an die sich alle Betroffenen wenden können. Berlin O-1020, Oberwasserstr. 12, Tel.: 2840.