Adieu, Pappe. Ein Nachruf

 ■ Von Henning Pawel

Mit dem Trabant geht es zu Ende. Schicksalsmonat April 1991.

Unser Verhältnis zu diesem Automobil?

Es war jene eigenartige, nur für einen DDR-Menschen verständliche Synthese aus Widerwillen, Zuneigung, Sorgfalt, Sehnsucht und Empörung. Jene Befindlichkeit, mit der wir allen zweifelhaften und unzweifelhaften Errungenschaften dieses untergegangen Landes begegneten.

Ursprünglich nur als Auto gedacht, war er am Ende nicht mehr und nicht weniger als die DDR insgesamt. Ein Spiegelbild komplizierter Verhältnisse und der in ihnen lebenden und wirkenden Menschen.

Jeder, der es nur wollte, konnte sich wiederfinden in diesem merkwürdigen Fahrzeug. In seiner Zuverlässigkeit, seiner antiquierten Liebenswürdigkeit, seiner Fähigkeit zu unglaublicher Improvisation. Verwandlung innerhalb weniger Minuten von einer „Luxuslimousine“ zum Möbelwagen, zum Baufahrzeug, zum Autobus. 16 Passagiere führte die Volkspolizei in jenen alten Tagen aus einem einzigen Trabant dem Verkehrsrichter zu.

Wir fanden uns aber auch wieder in einer gewaltigen, gerade in diesem Auto so eindrucksvoll manifestierten Illusion. In einem bisher nicht dagewesenen Realitätsverlust, einer Anmaßung ohnegleichen, schneller und besser zu sein als andere. Moderner, verwegener, dynamischer.

Zweifler wurden durch aggressive, trotzige Blockade der Fahrbahnmitte rasch eines Besseren belehrt.

Und da war der Mief. Wie so vieles symptomatisch. Das Auto stank zum Himmel, wie die Verhältnisse.

Aber immer auch die Sehnsucht. 15 Jahre hatte jene Küchenfrau gewartet und 15.000 Mark bezahlt im Juni 1989.

Mit Befürwortung ihres Direktors war sie wegen fleißiger Arbeit um ein Jahr vorgezogen worden.

Das Jahr darauf verflucht sie den Unglückseligen. Wegen der Befürwortung. Er hätte sie ablehnen müssen, der Seilschafter. Dann säß' sie heute im Golf.

Die rührende Mühe der Menschen auch, das Image der Pappe etwas aufzupäppeln. Spoiler, verchromte Felgen, Lack aus dem Westen, Schiebedach, bis zu acht Scheinwerfer mitunter.

Dennoch, schon ein einziger Blick genügte, ein tiefer Atemzug, ein leichtes Lauschen.

Unverkennbar.

Geruchstypisch.

Unüberhörbar.

Der Motor — hier nun schon fast geniales Nachempfinden der real existierenden sozialistischen Welt. Er lief und lief und lief.

Fragen aber, wie er lief, durfte man nicht. Wie die ganze Wirtschaft halt, die Verwaltung, die Produktion und die riesige Mehrzahl der Menschen. Deren Tempo — atemberaubend.

Aber nur auf dem Nachhauseweg. Unaugesprochenes, doch stets präsentes Motto: Komme ich heute nicht, dann morgen. Aber ich komme.

Ebenso der Treibstoff. Eine nie ganz analysierte Flüssigkeit — Blei, Schwefel, Kohlenstoffe samt einer Ingredienz, Hoffnung ihr Name, ihre Verheißung hieß Ankunft.

Auch das Interieur fast spiegelbildlich. Sehr sauber. Deckchen auf Sitzen und Cockpit. Läuferchen zu Füßen. Die gewohnte Enge der heimatlichen Silos auch im Wagen. Vorne die Alten, hinten die meist brüllenden Jungen. Der Motor aber verschluckt jede Möglichkeit der Kommunikaton.

Die Karosse. Und hier nun wirklich etwas Neues, Einmaliges. Nicht der sozialistische Mensch und seine Verhältnisse haben als Modell gedient. Berühmte Hunderassen standen Pate.

Die etwas zurückgenommene Schnauze — eindeutig Pekinese, der Rumpf verrät den Mops, das Heck: typisch Pitbull, wehe dem, der hineinfuhr.

Der Weg des Trabanten, der Pappe, im Monat April 1991 geht er nun zu Ende. Kein Zufall, daß mit ihm auch jene einmalige Spezies untergeht, DDR-Mensch genannt, der er diente, die er sich aber gleichzeitig unterworfen hatte.

Wir Hiesigen, das steht schon fest, werden mit der Pappe verschwinden hinter dem Horizont. Irgendwo zwar die Verheißung einer Auferstehung, daß wir uns alle wiederfinden mit unseren besten Eigenarten im groß gewordenen Ganzen. Zweifel daran aber sind berechtigt.

Was bleibt? Eine Sehnsucht nach etwas, das auch und nicht in geringem Maße Heimat war. Das Solidarität einforderte, nicht nur bei Pannen, und sie in der Regel auch bekam.

Und zahllose Wracks bleiben. Von einem Staatswagen im wahrsten Sinne des Wortes. Leider auch von Menschen. Deren Lebensentwürfe abgewrackt wie dieses kleine Auto.

Wir müssen unverzüglich auf die Suche gehen nach Ersatz. Die neuen Typen in all ihrem Glanz blenden zwar die Augen. Schneller und kommoder sind sie auch.

Doch uns gemäßer?

Wird ihn jemand vermissen, den Trabant? Ich glaube es. Die Frage nach DDR-Identität? Noch immer wird sie gestellt. Er war ein Teil von ihr. So penetrant wie rührend, und so vergänglich.

Der Autor ist Schriftsteller in Erfurt.