„... dann schiebe ich den ganzen Sachsenring platt!“

Die Produktion des Trabant im sächsischen Zwickau ist jetzt beendet, die neue Polo-Montage jedoch kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Der DDR-Volkswagen bleibt nur als Abfallproblem, die Region verkraftet sein Ende nicht: „Kommen Sie niemandem zu nahe.“  ■ Von Wolfgang Haak

Der Hebel wird umgelegt, die Starkstromzufuhr unterbrochen. Die Montagebänder rucken noch ein paar Mal. Das Klappern, Dröhnen und Quietschen in den großen Werkhallen verstummt. Über den verlassenen Arbeitsplätzen schwingen die Haken der Hebezeuge.

1. April 1991! Und doch kein Aprilscherz: Die Sachsenring Automobilwerke Zwickau produzieren ihn nicht mehr, den Personenkraftwagen „Trabant 601“, Limousine und Universal, 601 Standard, 601 S, 601 de Luxe. Das Prestige-Objekt Nr.1 der ehemaligen DDR-Familie, liebevoll „Trabi“ genannt, muß endgültig dem marktwirtschaftlichen Kalkül weichen.

Vor dem Herbst '89 galt es als das bescheidene Wohlstandsobjekt der DDR-Werktätigen, im Herbst '89 wurde es in den Augen altbundesdeutscher Mercedes-, BMW- und Ford-Besitzer zum rührenden Freiheitssymbol. Jetzt nur noch Abgas speienedes Ärgernis auf Deutschlands Straßen, das Umweltschützern die Haare zu Berge stehen läßt.

Darüber hinaus wird der DDR-Volkswagen zum Abfallproblem. Räderlose Wracks liegen an schlecht beleuchteten Straßenrändern, auf Waldlichtungen und an Feldrainen. Das Abwracken und Einstampfen hat längst begonnen. Go, Trabi, go!

Die Sachsen trifft der Abschied schwer. In dem Moment, da eines ihrer Urprodukte zum Filmhelden gekürt wird und man ihm ein klobiges Denkmal setzt, fällt der Hammer. Die Mulde in Zwickau kocht. Die einstige Metropole des ostdeutschen Automobilbaus, die Wiege des Personenkraftwagens Trabant, verkraftet den plötzlichen Stop der Montagebänder nicht.

„Uns haben sie hier nach Strich und Faden beschissen“, sagt ein verbitterter Kfz-Schlosser. „Treuhand, Kohl und Arbeitsamt. Wenn die gewollt hätten, könnten wir den Trabant noch über Jahre nach dem Osten exportieren. Wir hocken auf der Straße. Die da oben haben ihre Ärsche schon wieder in die neuen Chefsessel gequetscht.“ „Aber die Volkswagen-AG aus Wolfsburg baut hier doch den Polo.“ „Das stimmt, aber ich baue nicht mit, ich gehe stempeln. VW ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Bombendrohungen in den öffentlichen Gebäuden der Stadt Zwickau. Eine private Einzelhändlerin im Zentrum der Sadt klagt: „Die Leute hocken eisern auf dem Geld. Ich komme mit Hängen und Würgen auf den Mindestumsatz. Jetzt geht auch noch bei Sachsenring das Licht aus, und nicht nur dort. Wir kleinen Gewerbetreibenden bleiben auch auf der Strecke. Die Leute kaufen nichts. Die Unsicherheit hockt allen im Nacken. Das geht bis tief in die Familien hinein. Mein Schwiegersohn war Autoelektriker. Arbeitslos. Der spricht schon seit Tagen kein Wort mehr mit meiner Tochter. Gehen Sie mal über die Straße, aber kommen Sie niemanden zu nahe. Die Menschen sind so was von aggressiv.“

Betriebsanleitung: „Ein schnittiges Fahrzeug“

VEB Sachsenring Automobilwerk Zwickau, Deutsche Demokratische Republik, das Produkt prägte den Ruf der Stadt. Werbung hatte der Trabant kaum nötig. Die Betriebsanleitung pries ihn als ein schnittiges, elegantes und temperamentvolles Fahrzeug. Die Exportaufträge in die sozialistischen Länder konnten kaum, die Nachfrage auf dem Binnenmarkt nicht befriedigt werden.

Ein weitblickender Familienvater in der DDR schickte seine volljährig gewordenen Kinder als erstes in ein Verkaufsbüro des VEB IFA-Vertrieb. Dort durften die mündigen Nachkommen eine Fahrzeugbestellung aufgeben. Das Papierchen war Gold wert. Es zog einen langen Schwanz juristischer Feinsinnigkeiten hinterher, die die Vermögensteilung bei Ehescheidungen ebenso berührten wie das Erbrecht. Wer die Autobestellung in der Tasche hatte, muße sich fortan gedulden. 12 bis 13 Jahre vergingen in der Regel, bis endlich zum Einschalten des Anlassers der Schlüssel ins Schloß hineingedrückt und gegen eine fühlbare Federspannung zum Anschlag gedreht werden konnte. Go, Trabi, go, von Kap Arkona auf Rügen bis ins Erzgebirge und zurück.

Go, Arbeiter, go! Für die vielen Trabantbauer bricht die Welt zusammen. Gestern noch schufteten sie an der scheinbar unerschöpflichen Quelle, heute stehen sie im Regen.

In einer Kneipe in Zwickau-Planitz schimpft ein älterer Meister: „Schrott, alles Schrott. Wenn wir das '89 geahnt hätten. So ein verdammter Beschiß. Mir soll'n sie eine Planierraupe geben, dann schiebe ich ihnen den ganzen Sachsenring platt, rauf und runter, und die großkotzigen Wessis, die alles können und alles wissen, gleich mit, platt, platt, platt. Was sind wir denn jetzt? Ich sag's dir: Schrott, mein Lieber, altes Eisen. Für mich ist das gelaufen. Schau mal, wieviel junges Volk auf der Straße liegt. Nicht mehr lange, und die hauen alles kurz und klein.“

Der bierzapfende Wirt hinterm Tresen nimmt die Zigarre von den Lippen und sagt leise: „Früher, ich meine vor der Wende, haben die hier schon allerhand in sich hineingeschüttet, weil sie unfrei waren und so. Nun sind sie ernüchtert sozusagen, und enttäuscht von den Managern und vom Kohl. Die dachten doch, jetzt steigen wir groß ein auf dem Automarkt mit VW, Opel oder was weiß ich. Denkste! Da hocken sie und saufen vor Ärger. Mir kann es recht sein.“

Eine Region bricht zusammen. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Ungewißheit. Das Zauberwort inmitten der kolossalen Ohnmacht heißt „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Es kann aber nicht das Mißtrauen beseitigen. Im Weißenborner Wald arbeiten ehemalige Mitarbeiter vom Sachsenring, starren in die trüben Fluten der dort befindlichen Teiche und fühlen sich beschäftigt. Hoffentlich bleibt ihnen die Hoffnung.

Angespannte und gereizte Stimmung allerorts. „Der 1. April ist Stichtag“, stellt ein Ingenieur, Jahrgang 32, fest. „Sie haben uns veräppelt, aber es handelt sich nicht um einen Aprilscherz. Es ist ernst. Die Region hat seit Generationen von unserer Industrie gelebt. Die erklären uns andauernd, daß es nicht mehr geht. In der Zeitung steht, daß Deutschland mit Zuwachsraten von mehr als einem Drittel das einzige westeuropäische Land ist, in dem die Zulassungszahlen für Neuwagen im vergangenen Jahr deutlich zugenommen haben. Die Branche boomt und für uns bleibt nicht mal ein Appel und ein Ei. Wir beißen ins Gras, wenn die Industrie nicht endlich ihre Überschüsse bei uns investiert. Und die Politik? Von dem Kohl siehst du und hörst du hier nichts mehr. Wir müssen uns mal wieder Luft machen.“

Montag, 25. März 1991. In Zwickau wird wieder demonstriert. Freilich, ein Vergleich mit den legendären Montagsumzügen vom Herbst '89 ist nicht möglich. Der Zug schleppt sich schwer dahin. In die Gesichter haben sich Zweifel und Resignation eingegraben.

In verhaltenen Gesten und unterdrücktem Gemurmel kommt die Ratlosigkeit, die Enttäuschung und der Ärger der erneut gedemütigten Ostdeutschen zum Ausdruck. Die einstige Euphorie war von einer großen Hoffnung bestimmt.

Jetzt treibt die Not die Menschen auf die Straße, die Angst vor der Zukunft, die Sorge um den Lebensunterhalt; der Arbeitsplatz ist schon verloren.

Im April 1991 werden die Hebel nicht mehr betätigt. Die Starkstromzufuhr bleibt unterbrochen. Die Montagebänder stehen still. Das Dröhnen in den Werkhallen ist endgültig verstummt. Der Mythos Trabant rollt nicht mehr vom Sachsenring. Über den verlassenen Arbeitsplätzen schwingen die Haken der Hebezeuge.

Der Autor ist Schriftsteller in Zwickau.