Wasserleichen-Opus

■ Greenaways „Les Morts de la Seine“, So. 7.4., West3

Im Kampf um die Einschaltquoten setzt der französische Pay-TV-Sender „Canal Plus“ intelligenterweise auf eine Differenzierung der Sehgewohnheiten. Umgerechnet bis zu 400.000 Mark für die Produktion einzelner Video-Kunstfilme zur Verfügung gestellt. Interessante Arbeiten wie Peter Greenaways augenzwinkernde Kadaverschau „Les Morts de la Seine“ von 1989 sind das Ergebnis.

Das 44-minütige Wasserleichen- Opus, das letztes Jahr auf dem Berliner „Video Fest“ zu sehen war, bietet für Greenaway-Liebhaber einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise des Regisseurs, der hierzulande vorwiegend durch seine Spielfilme bekannt ist.

Durch das Werk des englischen Historikers R. Cobb entdeckte der Regisseur ein Verzeichnis, das zwei Arbeiter des Leichenschauhauses Paris von 1795 bis 1801 erstellten. In dieser Auflistung werden die Kadaver Hunderter in der Seine ertrunkener Menschen genauestens beschrieben. Kühl, sachlich und objekthaft. Diese Betrachtungsweise ist ein gefundenes Fressen für den englischen „Kino-Strukturalisten“.

Wie häufig in seinen Spielfilmen ist auch hier die sich in Akribie niederschlagende Vergeblichkeit der sinnzuweisenden, lexikalischen Katalogisierung der Natur — in diesem Fall der Leichen — Gegenstand von Greenaways ironischem Interesse. Hinzu kommt, daß wir, wie bei Greenaway so oft, wieder einmal nicht wissen, ob die Arbeiter des Leichenschauhauses wirklich existierten, oder ob sie nur erfundene Figuren sind, wie der imaginäre Wissenschaftler Tulse Looper aus „Vertical Features“, einem anderen Kurzfilm Greenaways, den die WDR-Reihe „Experimente“ bereits vorstellte. Diese Vorgehensweise, die an Flan O'Brians „Der dritte Polizist“ erinnert, bietet die Möglichkeit, Wissenschaftlichkeit mit wissenschaftlicher Gründlichkeit zu kolportieren.

Mit mathematischer Geduld wird in „Les Morts de la Seine“ das Auffinden, Beschreiben und Katalogisieren der Kadaver als ästhetisch- morbides Spektakel spielerisch in Szene gesetzt.

Der Vorgang des Niederschreibens, des Protokollierens, in einem rechteckigen Bildausschnitt lupenhaft vergrößert, spiegelt sich thematisch in der nüchternen, dokumentarisch-formalen Kamerafahrt über die zum Kunstwerk stilisierten Leichen, die uns hier und da noch ironisch anblinzeln.

Mit Screensplitting, kammerspielartiger Verkürzung der Szenerie und exponierter Farbdramaturgie zeigte Greenaway deutlich, daß er seinem artifiziell-kostruierten Filmstil auch im Medium Video treu bleibt. Manfred Riepe