Polens moderne Piraten

Raubkopien gibt's von allem und überall/Die Piraten beherrschen den Unterhaltungsmarkt  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

In den Zentren der Großstädte sind sie weder zu übersehen, noch zu überhören. An jeder Ecke stehen sie, ausgerüstet mit Campingtischchen, Klappstuhl und Kassettenrecorder, der meist zu Werbezwecken auf volle Leistung geschaltet ist. Auf dem Tisch werden die neusten Hits der westlichen Hitparaden angeboten, zu Preisen zwischen umgerechnet zwei bis fünf Mark. Westliche Touristen wundern sich, wie sich solche Preise auszahlen.

Die Antwort ist einfach: Die jungen Leute mit dem breiten Angebot sind Piraten und ihre Ware Raubkopien. Urheberrechte — noch dazu von ausländischen Herstellern — sind in Polen bisher reine Fiktion. Im Bereich der Musikkassetten ist der Vertrieb von Raubkopien legal — und in den letzten Jahren entstanden so in Polen ganze Firmenimperien in der Schattenwirtschaft. Heute wohnen deren Gründer in großen, protzigen Vorortvillen, fahren westliche Nobelmarken und kontrollieren 95 Prozent des Marktes.

Doch die legalen Piraten geben nicht nur bei der Musik den Ton an. Eine ebenso einträgliche, wie bisher legale Einkommensquelle war die Verbreitung von Raubkopien von Computerprogrammen. Inzwischen sind noch ein paar andere Sparten hinzugekommen: Der schwarze Nachdruck von Büchern der Emigration, der bis zu ihrer Pleite oder Enteignung auch von einigen kommunistischen Blättern praktiziert wurde, um sich über Wasser zu halten und — die unauthorisierte Übersetzung westlicher Bestseller.

Einzig illegal, aber faktisch geduldet ist dagegen der massenhafte Verleih von Video-Raubkopien in lizenzierten Leihstellen. Polens Video-Boom begann bereits in der ersten Hälfte der achtziger Jahre im Untergrund: Mit politisch unerwünschten Bändern der polnischen Emigration, u.a. Dokumentarfilme über Katyn, die Verhängung der Kriegszustandes oder den Stalinismus produzierte, kamen auch Kommerzvideos über die Grenze. In verwackelten, verfärbten Kopien, deren Orginaltext vom immer gleichen Dolmetscher übersprochen wurde, fanden so Rambo, Schwarzenegger und James Bond ihren Weg nach Polen. Seit die Zensur abgeschafft wurde, gibt es gegen den Schwarzvideo-Boom nur noch eine rechtliche Handhabe: Das Vertriebsmonopol des Komitees für Kinematographie, das aber gerade abgeschafft wird.

Doch auch bisher legten die Behörden keine übermäßigen Anstrengungen an den Tag, des Phänomens Herr zu werden, da die Staatsanwaltschaften für Verstöße meist nur geringe Verwaltungsstrafen verhängten und die Piraten wieder nach Hause schickten. Zumal Polens national-katholischer Justizminister Chrzanowski nun auch noch Anweisung gab, die Staatsanwälte sollten sich der Pornographie annehmen — als wären sie nicht ohnehin schon überlastet. Dabei wäre gerade den Sex-Videos noch über das Monopol des Komitees für Kinematographie am ehesten beizukommen. Die Musik- und Video-Piraterie führt indessen zu einem doppelten Teufelskreis: Solange die wilden Kopierer und Verleiher den Markt beherrschen, wird kaum ein westlicher Medienkonzern nach Polen kommen — er wäre gar nicht konkurrenzfähig. Solange aber keiner kommt, gibt es niemand, der in Polen seine Urheberrechte durchsetzt.

Hinzu kommt, daß Polen bisher erst mit einem Land — den USA — ein Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums abgeschlossen hat, das seit einem Jahr auf seine Ratifizierung wartet. Auch ist Polen bisher nur der Römischen Konvention beigetreten, derzufolge die Verleiher und Vertreiber nur Tantiemen zahlen müssen. Die Genfer Konvention, nach der Lizenzen erforderlich wären, hat Polen nicht unterschrieben.