Bilder für Lady Day

■ „Billie Holiday“ — ein neuer Comic von José Munoz und Carlos Sampayo

Es war einmal eine Jazzsängerin, die hieß Billie Holiday. Sie wurde am 7. April 1915 als Tochter einer 16jährigen schwarzen Putzfrau geboren und starb am 17. Juli 1959 an den Folgen von Heroinsucht in einem Hospital in New York. In den 44 Jahren dazwischen hat sie meistens wunderbare Lieder gesungen. Außerdem hat sie alle Klischees begründet, die einem heute einfallen, wenn man über Jazz und Blues nachdenkt: „Hunger und Liebe. Alles was ich bin und was ich vom Leben will, läßt sich auf diese beiden Worte zurückführen.“ „Lady Day“ ist die Wirklichkeit hinter dem Mythos. Aber was war wirklich?

1956 hat sie in einer Biographie aufgeschrieben, was gewesen sein soll: Glück und Verzweiflung, Rassismus und Prostitution, Drogen und Gefängnis und vor allem Musik. So war es wohl. Dreizehn Jahre nach ihrem Tod wurde ihr Leben mit Diana Ross in der Hauptrolle unter ausschließlich kommerziellen Gesichtspunkten verfilmt: So war es bestimmt nicht. Die Comic-Autoren José Munoz und Carlos Sampayo haben ihr Leben jetzt in schwarzweißen Bildern aufgezeichnet: So könnte es gewesen sein. Die Autoren des Bilderromans stammen aus Argentinien und leben in Mailand und Barcelona. Die beiden lernten sich erst in Europa kennen und arbeiten seit 1973 zusammen. Munoz, der selbst erklärt, stark von George Grosz beeinflußt zu sein, zeichnet schwarzweiß, Sampayos Stories erinnern an das Drehbuch zu einem Film noir. In ihren Geschichten geht es um melancholische Helden: um einen einsamen Privatdetektiv namens Alack Sinner, der trotz aller Schicksalsschläge seinen moralischen Anstand nicht verliert — und damit verdammt an Philippe Marlowe erinnert — oder um einen schwarzen Boxer namens „Moses Man“, der vom Glück träumt und statt dessen was auf die Fresse bekommt. Die Helden von Munoz und Sampayo sind auf der Suche. Was sie finden, ist meistens ziemlich beschissen. Wenn Munoz zeichnet, hört er Jazz. Das Leben von Billie Holiday ist bei dem argentinischen Autorenpaar deshalb in besten Händen.

Munoz/Sampayo erzählen zwar ihre Geschichte von „Lady Day“, behaupten aber nicht, die ganze Wahrheit zu kennen, sondern wahren Distanz zur Heldin. Ein Journalist muß für die Sonntagsausgabe seiner Zeitung ein Porträt zum 30. Todestag der Jazzsängerin schreiben und bestellt sich aus dem Archiv alles, was bisher über Holiday geschrieben wurde. Am Ende der Geschichte kauft er sich eine Gesamtausgabe von ihren Songs auf CD. Holidays „Wahrheit“ findet man eben weder in ihrer Autobiographie, noch in ihrer verfilmten Lebensgeschichte, auch nicht in den schwarzweißen, sehr konzentrierten Comic-Bildern: Die Wahrheit über Billie Holiday, die in Wirklichkeit Eleonar Gough McKay hieß, liegt in ihrer sagenhaften Stimme. Munoz und Sampayo bringen diese Wahrheit mit ihrem 64 Seiten langen Schattenspiel ein bißchen mehr ans Licht. Claus Christian Malzahn

José Munoz/Carlos Sampayo: Billie Holiday, Edition Moderne, s/w, Hardcover, 25 DM