Der Wunderheiler aus Hofgastein

■ Helmut Kohl auf dem Weg nach Erfurt

Der Wunderheiler aus Hofgastein Helmut Kohl auf dem Weg nach Erfurt

Bundeskanzler Kohl hat am Freitag in Bonn vorzeitig seine Regierungsgeschäfte wieder aufgenommen“, melden lapidar die Nachrichtenagenturen. Welch ein Euphemismus! In Wahrheit beginnt er mit den Vorbereitungen auf seine heiligste Mission in jenes „Notstandsgebiet“, das dereinst zu einem „blühenden Land“ werden soll. Kein Zufall daher, daß er seine Prozession in der Hauptstadt Thüringens, der „grünen Mitte Deutschlands“, beginnt. Kein Zufall auch, daß die Idee in einem österlichen Telefongespräch mit Ministerpräsident Duchac geboren wurde. Eine pure Selbstverständlichkeit daher, daß am Anfang des Besuches an diesem Sonntag ein Gottesdienst im Erfurter Dom steht. Begleitet von Frau Hannelore wird es dann — ganz im Sinne von Mutter Teresa — in ein katholisches Krankenhaus gehen, erste Gelegenheit für tröstlichen Beistand. Anschließend wird sich Kohl mit Bürgermeistern und Landräten zu einer „Kommunalkonferenz“ treffen. Die etymologische Nähe zur „Kommunion“ verweist auf den Kern der Kohlschen Reiseoffensive: Askese und Vergeistigung, Glaube, Liebe, Hoffnung.

Der Bundeskanzler hat während seiner zweiwöchigen Fastenzeit in der Abgeschiedenheit seines österreichischen Kurhotels begriffen, daß alles Geld, alle Milliardenprogramme nichts nützen, wenn der Geist schwach ist und das Fleisch fett und träge. Er hat sich auch an seine Wahlkampfauftritte in den „Fünf Neuen Ländern“ erinnert, als er vor Hunderttausenden von der lichten Zukunft predigte und daß es darin niemandem schlechter, vielen aber besser gehen werde als in der dunklen Vergangenheit. Kohl weiß um die Macht des Wortes und die Ohnmacht menschlichen Tuns, die sich auch jetzt wieder auf tragische Weise offenbart. Deshalb will er mit den Menschen reden, von ihren Sorgen und Nöten hören, um sie besser zu verstehen. Denn Verständnis und Mitgefühl sind die Voraussetzung einer wahrhaftigen und glaubwürdigen Politik.

Niemand weiß, wieviel Menschen den Bundeskanzler auf dem Weg zwischen Gottesdienst und Krankenhaus begrüßen werden. Kohls Wunsch aber ist, daß aus seiner Erfurter Einkehr „kein Medienspektakel“ werde. Das ist die neue Bescheidenheit eines Mannes, der schon während des Golfkrieges um seinen inneren Frieden rang. Während die US-Luftwaffe ihre „chirurgischen Schläge“ über Bagdad ausführte, sinnierte er über die politische Chirurgie zwischen Wunderglauben und Dolchstoßlegende, zwischen „Hosiannah!“ und „Kreuziget ihn!“. Helmut Kohl kennt seine Wählerinnen und Wähler. Es sind immer die gleichen. Sie verlangen nach Orientierung und Geborgenheit, nach Aussicht und Sicherheit. Er wird sie ihnen geben, indem er das versprochene Wunder um ein paar Jahre verschiebt. Die Wirklichkeit aber, das haben jüngst renommierte französische Philosophen noch einmal betont, ist sowieso eine einzige Simulation, ein virtuelles Phänomen — eine blühende Epiphanie eben. Reinhard Mohr