„Aufgeklärt im Unerträglichen“

■ Stefan Schwarz, Mitarbeiter der taz in Dresden, war bis zur Wende in der DDR ein „Offizier im besonderen Einsatz“ des Staatssicherheitsdienstes/ Ein Gespräch mit ihm über den Werdegang, seine Motive und seine heutige Sicht der Ereignisse

taz: Stefan, wie kam es, daß du Offizier im besonderen Einsatz geworden bist?

Stefan Schwarz: Mein Vater war Leiter der Stasi-Bezirksverwaltung in Erfurt. Deshalb habe ich als einer der wenigen in der DDR das Privileg gehabt, mich um diesen Job selbst zu bewerben. Ich hatte mit verschiedenen Studiengängen geliebäugelt und mich dann für Journalistik entschieden. Mit meiner Entscheidung, mich zu bewerben, habe ich meinem Studienwunsch sozusagen noch eins draufgesetzt. Ich wollte in die Aufklärung gehen und handfest Spionage machen. Ich war damals 17 Jahre alt und hatte sicher andere Vorstellungen, als es sich später im Alltag herausstellte. Natürlich wollte ich mich dem profanen Leben, das ja auch langweilig war, entziehen. Das schlimmste am Sozialismus war die Langeweile, es gab keine Herausforderung. Mit dem Klassenfeind zu ringen, ist doch was anderes. Das war eine Art Sinnstiftung.

Was waren dabei deine Motive?

Damals hatte ich keine konkreten Vorstellungen. Ich hatte vor Augen, daß ich den Journalismus mit der Tätigkeit für die Aufklärung verbinden könnte.

Haben für dich ideologische Fragen dabei eine Rolle gespielt?

Ich war zwar kein vordergründiger ideologischer Kämpfer, aber ich bin ideologisch motiviert gewesen. Das liegt wahrscheinlich auch an meiner Familie, in der eher eine pragmatische Sicht auf die Dinge herrschte. Ich komme aus einer Familie mit Kommunisten-Adel. Insofern war das ein Staffetenstab, der an mich weitergegeben wurde. Die Entscheidung für die Aufklärung hat sicher auch seinen Grund darin, daß ich nicht im Schatten meines Vaters arbeiten wollte, der ein Abwehrmann war.

Und wieviel Agentenromantik war da dabei?.

Ich glaube, daß ich schon damals wußte, daß es im Grunde genommen ein trivialer Job ist. Es war auch so, daß Leute, die draußen als Kundschafter gearbeitet haben, bei uns zu Hause zu Besuch waren, Guillaume zum Beispiel. Daher wußte ich schon, daß es meistens Buchhalter- Tätigkeiten waren. Die Staatssicherheit hat viele solcher Jobs gehabt, wo du in einem eigentlich bürokratischen Apparat gearbeitet hast, aber mit der untergründigen Spannung dieser inoffiziellen Tätigkeit.

Aber das Ziel war klar. Nach einer gewissen Ausbildungszeit als Journalist im Ausland zu arbeiten?

Nein, das hätte niemand so zugesagt, das waren die Vorstellungen, die ich hatte. Es ging dann sehr schnell. Ich habe dann zweieinhalb Jahre Ausbildung bei einer Antiterroreinheit gemacht, die zur „Bekämpfung von Terror und operativ bedeutsame Gewaltverbrechen“ eingesetzt wurde.

Im Zweifelsfall auch gegen die Opposition?

Operative Gewaltverbrechen war schon eine klare Definition, das lief schon auf Terror hinaus. Die Fälle, die ich kenne, waren immer desertierte Sowjetsoldaten, die mit ihren Waffen unterwegs waren. Meine Gruppe kam immer nur dann zum Einsatz, wenn die Befürchtung bestand, daß diese Leute von der Waffe auch Gebrauch machen würden. Ich habe nie an einem Einsatz mit tödlichem Ende teilgenommen. Danach bin ich bis zu meinem Studium in einer operativen Arbeitsgruppe gewesen, die in einem konspirativen Objekt untergebracht war. Ich war dort sozusagen der Sprutz und habe dort Bücher über schwarze Propaganda gelesen.

Klingt alles ganz harmlos.

Das war es auch. Es ging auch nur ein halbes Jahr. Ich war natürlich auch ein bißchen Ermittler, ich würde es niedere Ermittlungsarbeit nennen. Ich habe zum Beispiel Formulare ausgefüllt, mit denen man alles mögliche anfordern konnte, vom Fahrzeughalter bis zur Anfrage, was eine Person in der Deutschen Bücherei in Leipzig ausgeliehen hat. Ich habe in dieser Zeit zwei, drei Kandidaten, die als Inoffizielle geworben werden sollten, bearbeitet. OibE war ich noch nicht. Das kam erst im Studium, das 1986 begann. Es gab nur eine Möglichkeit, wirklich konspirativ durch dieses Studium zu kommen, und das war der OibE-Status.

Hast du während deines Studiums dem MfS zugearbeitet?

Ich habe drei Leute zur Werbung als Inoffizielle Mitarbeiter vorgeschlagen. Ich hatte die Absicht, mir für eine spätere Tätigkeit IMs zu sichern. Jeder Mitarbeiter der Aufklärung hat schließlich IMs geführt. Die drei haben aber abgelehnt. Warscheinlich klaffte schon damals meine interne Wahrnehmung des MfS und die meiner Bekannten auseinander. Nachdem ich entlassen wurde, habe ich mich mit ihnen zusammengesetzt und ihnen erklärt, wie sie diesen einen Vorfall in ihrem Leben zu sehen haben. Einer hat gesagt, daß er mich im Hintergrund vermutet hatte.

Mit Entlassung meinst du offensichtlich die Entlassung aus dem MfS. War das Ende 1989?

Nein. Ich bin als einer der letzten entlassen worden. Da war ich schon bei der taz, es war Ende März 1990.

Da hast quasi als einer der letzten das Licht im MfS ausgemacht. Im März wurde die Aufklärung als letzte Diensteinheit aufgelöst. Warum warst du da noch dabei?

Man wollte mich noch bis zum Ende dabeihaben, auch als schon alles verwaist und die Panzerschränke leer waren. Ich saß am Schluß allein mit meinem Abteilungsleiter beim Kaffetrinken. Wir waren gute Freunde.

Wie hast du denn die Wende in der DDR oder die Auflösung der Stasi wahrgenommen. Was hat man im Kopf, wenn man trotzdem bei der Stange geblieben ist?

Ich hatte eine ziemlich große Loyalität gegenüber der Aufklärung, das war für mich schon ein ganz prima Verein. Ich hatte auch noch im Kalkül, daß es die DDR weiter geben würde, die für ihre Politik weiterhin Informationen brauchen würde. Die anderen in der Aufklärung waren auch beileibe keine Dummköpfe. Wenn die nicht gerade auf diesen Sesseln gesessen hätten, dann wären das vielleicht Dissidenten gewesen.

Dissidenten?

Na ja, das ist eine harte These. Wenn man davon ausgeht, was ist eine feindlich-negative Äußerung, dann stimmt das schon. Die wußten ganz genau, was hier oder drüben gelaufen ist.

Wann setzte so etwas wie Nachdenken ein?

Später, als ich in der Stasi-Ausstellung in Leipzig war und meine ganzen Formblätter dort an der Wandzeitung wiedergefunden habe, war das schon komisch, daß eine Behörde praktisch unbegrenzten Zugang auf deine Privatsphäre hatte. Aber um das überhaupt denken zu können, setzt es ja voraus, daß man so etwas hat wie einen Begriff von persönlicher Freiheit, daß man sich nicht nur als Erfüllungsgehilfe irgendeiner historischen Mission sieht. In meinem Denken war der Staat so etwas wie das Aggregat der vernünftigen Verständigung. Wenn man bestimmte Ideologien überwunden hatte, konnte man zu einer vernünftigen Einigung kommen. Das Medium, wo das ausgetragen wird, ist der Staat. Der Staat verwaltet das Leben der Menschen, und es ging darum, daß er das gut macht. Für mich war die Arbeit der Staatssicherheit mit der Informationsgewinnung unproblematisch. Ich hielt das für normal, daß ein Apparat, der beim Staat angesiedelt ist, diese Informationen aufnimmt, um politische Entscheidungen zu treffen.

Das hieße, der gläserne Mensch war akzeptabel?

Man muß nur ordentlich damit umgehen. So ungefähr habe ich gedacht.

Bedeutet das, du hast das Ganze nur als falsche Bürokratie begriffen oder als nicht effiziente Informationsgewinnung, aber der Akt als solcher hat gestimmt?

Ja, das geht schon in die Richtung. Ich habe gedacht, die Grundlagen, nach denen der Staat auf die Bürger einwirken kann, müssen verändert werden, aber nicht der Apparat.

Bedauerst du irgend etwas von dem, was du gemacht hast?

Das hätte den Geschmack einer nachträglichen Reue. Ich kann mich doch nur danach richten, was ich damals gewußt und was ich damals gewollt und wie ich gehandelt habe. Ich komme da mit keiner Verurteilung ran.

Es geht nicht um Verurteilung oder Entschuldigung.

Ich habe damit wirklich Probleme, wahrscheinlich auch deshalb, weil es heute so viele Leute gibt, die sagen: Scheiße, ich habe mich mißbrauchen lassen. Es müßte ja wenigstens ein Indiz geben, wo ich sagen könnte, das hättest du lieber nicht machen sollen, hier hast du jemandem geschadet. Das ist auch ein Grund dafür, daß ich keine Lust hatte, mir vorzeitig das Etikett Stasi an den Kopf zu heften, weil ich wußte, ich werde abgerastet als Teilhaber eines Apparates. Ich fühlte mich im Sozialismus eher von Parteisekretären, Hausmeistern und Oberkellnern bedroht als von der Staatssicherheit, weil das die Dogmatiker waren, die Bornierten, die Idioten. Ich hab' die Leute danach bewertet, ob ich mit ihnen reden kann. Das ist das Problem, daß ich bei der Stasi auf Menschen gestoßen bin, die ich geachtet habe, deren Sicht auf die Gesellschaft ich nachvollziehen konnte. Mit denen konnte ich zusammenarbeiten, weil die mich nicht verraten.

Wenn es die Aufklärung heute noch gäbe, wärst du immer noch dabei?

Nein, ich reflektiere schon, daß das ein Apparat war, der nicht zu den Ergebnissen geführt hat, die ich mir irgendwann vorgestellt habe. Das hat ja mit dem Zusammenbruch dieses Staates zu tun, der ist ja an mir auch nicht spurlos vorbeigegangen. Ich kann aber auch nicht diese Masche fahren und jetzt beteuern: ich habe gesehen, wie ein menschenfeindliches System zusammenbricht. Ich hatte auch keine Offenbarungsnot. Was sollte ich denn erzählen, das ist doch alles langweilig.

Bist du sauer, daß man dir deine Karriere versaut hat?

Nein, warum sollte ich darauf sauer sein, wenn die Mehrheit in diesem Lande ihr Recht einfordert, so zu leben, wie sie gern möchte, und sich dabei auf Prinzipien stellt, die die Gesellschaft anders regeln. Ich war in der Wende auch froh, daß die Geschichte wieder offen ist. Aber das wich ganz schnell wieder einer Depression, daß man eben sich doch wieder stark anpassen muß. Ich kann wirklich nicht sagen, was passiert wäre, wenn der Staat, zu dessen Repressionsapparat ich gehörte, sich entschlossen hätte, den Kampf aufzunehmen.

Hast du Angst davor gehabt, von dem, was hier stattfindet? Du wußtest ja, irgendwann kommen die Listen raus?

Schon, ich hatte aber eine andere Angst. Ich hatte keine Angst, daß ich meine Freunde verliere, weil die mich kennen und mit meinen Anschauungen was anfangen können. Ich hatte eher Angst vor der Hetzjagd, die beginnen würde. Das ist ja auch existentiell, daß deine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird in einem Maße, die völlig ungerechtfertigt sind.

Was hältst du von dem Vorschlag aus den Bürgerbewegungen, daß OibEs u.a. nicht mehr als Journalisten arbeiten sollen?

Ich bin dagegen, weil es Desintegration ist. Das gesellschaftliche Gefüge hat sich verändert, was können diese Leute denn noch. Seilschaften sind doch kein Phänomen der Stasi, sondern des Existenzdrucks. Ich habe jetzt mein Leben lang das Etikett Stasi. Ich könnte sicher wesentlich angstfreier über meine Tätigkeit nachdenken, wenn nicht diese pauschale Verurteilung da wäre. Ich muß mich sogar bestimmten Einsichten enthalten, weil es wie Anbiederung an den Massengeschmack klingt, wenn ich sage: ich sehe alles ein, es ist scheiße.

Hast du den Mythos Aufklärung gelebt und im Alltag verdrängt, daß es die Stasi gegeben hat?

Verdrängt kann man nicht sagen, weil ich die Stasi nicht erlebt habe. Es wurde nie ein Freund abgeholt oder so. Was mich viel mehr beschäftigt ist: ich habe den leichtesten Weg gewählt. Ich habe es nie auf einen Bruch ankommen lassen. Die Stasi war für mich ein Phänomen, ich hätte auch eine andere Karriere einschlagen können, mit einem ähnlichen Anpassungsdruck. Ich habe nie einen Schritt tun müssen, der mich auf mich selbst zurückwirft. Es war total leicht.

Das Gespräch führten

Anja Baum, Matthias Geis

und Wolfgang Gast