Nach der Scheidung neue Hochzeit

Der hessische Landtag wählte den Sozialdemokraten Hans Eichel zum neuen Ministerpräsidenten/ Eine Zitterpartie im hessischen Landtag/ Sozialökologische Landesregierung vereidigt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) — Nach dem gescheiterten ersten Anlauf der Jahre 1985/86 hat das Bundesland Hessen seit gestern wieder eine rot-grüne Landesregierung. Mit den Stimmen der 56 Abgeordneten der Koalitionsfraktionen SPD und Grüne wählte der Landtag am frühen Nachmittag den SPD-Landesvorsitzenden und ehemaligen Oberbürgermeister von Kassel, Hans Eichel, zum neuen Ministerpräsidenten. Im Anschluß an die Wahl ernannte der frischgebackene Landesvater seine StaatsministerInnen — darunter Joseph „Joschka“ Fischer als Minister für Umwelt und Energie und Iris Blaul als Sozialministerin. Eichels danach vereidigtes Kabinett ist ein paritätisch besetzes, auch wenn der neue Chef bei der Ernennung der StaatssekretärInnen seine paritätische Linie nicht durchhalten konnte. Selbst Frauenministerin Heide Pfarr (SPD) hat sich einen Mann ins Staatssekretäriat geholt.

Eichels Wahl zum Ministerpräsidenten war eine Zitterpartie für den Kandidaten. Von den von der Verwaltung ausgegebenen 110 verschlossenen Umschlägen mit den Stimmkarten blieb nämlich einer unbenutzt liegen — und bei einer Stimme weniger für Eichel im Kasten hätte Walter Wallmann weiter geschäftsführend als Ministerpräsident im Amt bleiben können. Während der Wahlausschuß die abgegebenen Stimmen auszählte, kam es bei der SPD-Fraktionsspitze zur ersten kleinen Krisensitzung der neuen Legislaturperiode. Als nach der Auszählung dann feststand, daß Hans Eichel doch alle 56 Stimmen der Koalitionsabgeordneten bekommen hatte, brach bei SPD und Grünen Jubelstimmung aus. 56: 53 Stimmen lautete das amtliche Endergebnis. Und damit stand auch fest, daß der Abgeordnete, der sich dem Wahlakt verweigert hatte, aus den Reihen der Oppositionsfraktionen CDU und FDP kam — eitel Freude bei den rot-grünen Koalitionären.

Vor der Wahl Eichels zum Ministerpräsidenten wählte der Landtag per Akklamation den SPD-Abgeordneten Karl Starzacher einstimmig zum neuen Präsidenten. Bei der geheimen Wahl der VizepräsidentInnen bekam Evelin Schönhut—Keil von den Grünen mit 68 Ja-Stimmen die wenigsten Stimmen, und der CDU-Ageordnete Möller, der in der abgelaufenen Legislaturperiode Landtagspräsident war, mit 106 Ja- Stimmen die meisten. Daß Walter Wallmann nicht persönlich zur konstituierenden Sitzung des Landtags erschienen war, sondern den nach der Verfassung erforderlichen Rücktritt seiner Landesregierung dem Präsidenten schriftlich mitteilte, sorgte für Unmut quer durch alle Fraktionen. Wallmann, so der Tenor der Einlassungen, habe dem Wähler offenbar die Entscheidung für SPD und Grüne bei den Landtagswahlen im Januar noch immer nicht verziehen. Das einstige „Flaggschiff“ der hessischen Christdemokraten hatte zuvor schon auf sein Landtagsmandat verzichtet.

Nach der Vereidigung feierten SPD und Grüne im Landtag ausgiebig die Machtübernahme in Wiesbaden. Hans Eichel strahlte auch deshalb, weil Joschka Fischer zur Vereidigung nicht das widerliche Fischgräten-Jackett von der letzten Vereidigung unter Börner angezogen hatte. Der neue Umwelt- und Energieminister Hessens trat im schlichten dunklen Anzug zum Staatsakt an — mit einem lilafarbenen Hemd und ohne Krawatte. Und den gehauchten Amtseid Fischers, den hat im Plenarsaal kein Mensch gehört.