Erfurt schlägt Straßenschlachten

Die zweite Umbenennungsaktion beschert manchen Erfurtern dritten Straßennamen innerhalb eines Jahres  ■ Von Matthias Opatz

Erfurt — (taz) Um lange Wartezeiten zu vermeiden, bittet das Einwohnermeldeamt der Stadt Erfurt die in neu benannten Straßen wohnenden Bürger, daß nicht alle sofort zu Beginn des Inkrafttretens zur Meldestelle gerannt kommen. Einige werden schon zum zweiten Male deswegen kommen, denn die zweite Umbenennungswelle hat ihnen bereits den dritten Straßennamen innerhalb eines Jahres beschert.

Bei der ersten schien es, als hätten die Stadtväter Fingerspitzengefühl bewiesen. Nur ein Teilabschnitt der Karl-Marx-Allee war in Magdeburger Straße umbenannt worden. Großen Geistern kann ja Größe nicht durch Mißbrauch genommen werden.

Jetzt haben sie sich es aber doch anders überlegt. Marx ist out. Jetzt soll die ganze Straße „Magdeburger“ heißen. Aber nicht Straße. Allee! Das ist doch einen Gang zum Meldeamt wert, oder etwa nicht?

Der Name Klement Gottwald war schon im ersten Änderungsschub ausgemerzt worden. Auf Arnstädter Straße, wie früher, sollte man sich verlassen können. Nun konnten Geschäftspapiere und Visitenkarten nach Herzenslust in Auftrag gegeben werden.

Denkste! Nicht die ganze Gottwald-Straße hatte früher Arnstädter geheißen, ein Teil ward Löberstraße genannt, und der Name muß nun dort natürlich auch wieder her.

Doch nicht genug des Arnstädter Ungeschicks. Da selbst unter Honecker ein Teil der früheren Arnstädter Straße namentlich belassen worden war, ein dritter Teil gar nach Martin Anderson Nexö benannt worden war (an den man sich wiederum nicht rantraut, zwar ein Linker, aber dummerweise Weltliteratur), welcher nun ausgerechnet die Wieder- Arnstädter-Straße und die Immer- Arnstädter-Straße trennt, soll letztere von nun an Arnstädter Chaussee heißen.

Nicht unerwartet müssen Namen wie Straße des Sozialismus (doppelsinnigerweise eine echte Sackgasse!), des Siebenten und des Roten Oktobers weichen. Bei der Gelegenheit tilgten die Stadtväter ohne Scham gleich noch die Namen mehrerer antifaschistischer Widerstandskämper aus dem Stadtbild.

Ich bin sicher, das Spiel um die Erfurter Straßennamen ist noch längst nicht aus.

Schließlich gibt es noch eine ganze Menge nach Antifaschisten und sogar nach roten Arbeiterführern (!) benannte Straßen. Was wäre wichtiger, als schnellstens weitere Zeit und noch mehr Geld in dieses Problem zu investieren?

Und bestimmt ist mancher Bewohner angesichts seines neuen Straßennamens Sauerdornweg (vorher Lilo-Herrmann-Straße) sauer. Bestimmt läßt sich noch ein neuer Name finden, und sei es nur für einen Teil der Straße.

Und es kommt noch dicker, bestimmt: Immerhin gibt es schon Leute, die allen Ernstes den Namen „Am Wiesenhügel“ anfechten. Bei der Bebauung des Gebietes waren die korrekten Flurnamen verwechselt worden.