Sachsen-Flüchtlinge illegal in Bremen

■ Ein Aslbewerber aus Gambia erzählte der taz, warum er aus Sachsen zurück nach Bremen flüchtete

In ein Geschäft gehen und nicht schon an der Tür abgewiesen werden. Ein Restaurant betreten und sich an einen Tisch setzen dürfen. Eine Straße überqueren, ohne daß ein deutscher Autofahrer direkt auf einen zuhält. In Bremen waren diese Situationen für den 22jährigen M. keine Gefahrenquellen, sondern selbstverständliche Verrichtungen des Alltags. In Sachsen nicht. Dorthin war der afrikanische Asylbewerber im Februar vom Bundesamt in Zirndorf umverteilt worden. Von dort floh er inzwischen zweimal nach Bremen zurück.

„Many, many“, vielen Asylbewerbern ginge es genauso wie ihm, erzählt M. Sicherlich schon hundert Sachsen-Flüchtlinge würden sich illegal in Bremen aufhalten, schätzt der junge Gambier. Er ißt abwechselnd bei Bekannten und schläft aus Platzmangel bei einem Freund mit im Bett. Ein Recht, Sozialhilfe zu beziehen, hat er als Illegaler in Bremen nicht.

Das (alte) Bundesland Bremen hat seit dem zehnten Dezember rund 500 Flüchtlinge nach Sachsen in das Land Kurt Biedenkopfs geschickt. Denn die neuen Bundesländer im Osten sind seit dem Einheitsvertrag verpflichtet, zwanzig Prozent aller AsylbewerberInnen aufzunehmen.

Mit dem Nachtzug nach Chemnitz...

M.'s Ost-West-Reisebericht: Mit dem Nachtzug war er von Bremen nach Chemnitz (Sachsen) gereist. Um 9.30 Uhr morgens traf er in Chemnitz ein. Untergebracht war er mit anderen Flüchtlingen in grauen, containerartigen Baracken. Dort wartete er auf die erste Mahlzeit. Die gab es dann abends um 19.00 Uhr. Sie bestand, wie alle folgenden, aus zwei Schnitten Brot und einem Glas mit in Wasser angerührtem Milchpulver.

Er ging mit anderen Gambiern, die aus Bremen angekommen waren, in die City von Chemnitz, um Lebensmittel einzukaufen. In jedem Geschäft wurden die dunkelhäutigen Männer abgewiesen. Begründung: 'Wir verkaufen nicht an Schwarze.' Schließlich trafen sie vor einem Supermarkt einen freundlichen Deutschen, der sich bereiterklärte, für sie einzukaufen.

Am dritten Tag versuchten sie, abends auszugehen. Sie wurden wieder abgewiesen: Begründung in einem internationalen Hotel: „Ihr seht doch, daß hier Weiße essen.“

... und schnell wieder zurück

Am 5. Tag wurden M. und weitere Flüchtlinge in ein Lager bei dem Dorf Harkenstein umverteilt. Ein Bus fuhr die Flüchtlinge von Chemnitz bis einen Kilometer vor das Lager. Alle stiegen aus. Einige überquerten die Straße. Ein Autofahrer hielt auf die Gruppe zu und fuhr einen Kurden an. Der Kurde erlitt schwere Kopfverletzungen und lag blutend im Schnee. Die Flüchtlinge weigerten sich, zu dem Lager weiterzugehen. Sie wollten sfort zurück in die „alte“ Bundesrepublik. Nach zwei Stunden kam eine Ambulanz, brachte den verletzten Kurden in ein Krankenhaus. Einer der Flüchtlinge blieb bei ihm. Die anderen schlugen sich in westlichere Gefilde durch.

In Bremen um 6.30 Uhr früh mit dem Nachtzug angekommen, fuhr M. vom Bahnhof geradewegs zum Ausländeramt in der Pfalzburger Straße.

Der Polizeibeamte vom Ausländeramt: Ich würde nicht nach Sachsen gehen

In Zimmer 106 fragte er einem Beamten: „Haben Sie sich in Sachsen umgeschaut, bevor sie uns da hingeschickt haben?“ Der Beamte verneinte. Daraufhin fragte M. den Beamten: „Würden Sie sich denn nach Chemnitz versetzen lassen?“ Der Beamte verneinte auch diese Frage und fügte hinzu, lieber würde er seinen Job aufgeben, als nach Sachsen zu gehen. Das hinderte den Beamten aber nicht daran, M., dem Asylbewerber, zu sagen: „Sie müssen zurück nach Chemnitz. Sie sind illegal hier.“

M. fügte sich und fuhr wieder nach Sachsen. Er hoffte, dort einen „Stempel“ zu bekommen, der ihn berechtigen würde, legal nach Bremen zurückzukehren. Als er erfuhr, daß er wochenlang auf diesen „Stempel“ von sehr zweifelhafter Wirksamkeit hätte warten müssen, flüchtete er nach Bremen zurück.

Die Bremer Rechtsanwältin Rita Kaulitzki, die viele afrikanische Mandanten hat, die nach Sachsen umverteilt worden sind, erklärte gegenüber der taz: „Ich rechne damit, daß bald einige wieder vor meiner Tür stehen.“ Doch sei das Phänomen der Binnenflucht nicht „sachsentypisch“. Die Angst, nach Bayern umverteilt zu werden, sei nach ihren bisherigen Erfahrungen genauso groß.

Im März waren bereits sechs VietnamesInnen aus Sachsen nach Bremen zurückgeflohen und hatten im Ausländeramt öffentlich gegen die Zustände in Sachsen protestiert. Doch die Forderung, das Umverteilen aus den alten Bundesländern nach Sachsen solange auszusetzen, bis dort Behörden und Bevölkerung auf die Fremden besser vorbereitet seien, verhallte ungehört. Nur Bremer VietnamesInnen solidarisierten sich mit ihren verängstigten Landsleuten.

Barbara Debus