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Visa-Freiheit für polnische Bürger Umfrage unter Geschäftsleuten

POLEN AUF DER K A N T S T R A S S E Visa-Freiheit für polnische Bürger Umfrage unter Geschäftsleuten

Berlin. Schuhtick. Deborah (19), Fußbekleidungsberaterin: Bei der letzten Invasion waren es Horden. Die kaufen bei den Preisen weniger, gucken aber viel und vertreiben die Kundschaft. Generell bin ich mit der Visumfreiheit einverstanden, vor allem, wenn ich Polin wäre. Als Deutsche bin ich nicht hundertprozentig damit zufrieden, könnte ein bißchen eingeschränkter sein.

Lacrosse. Geschäftsführer Roland Jost (27): Seit vier Jahren haben wir uns hier etabliert. Wir ziehen zum 20. April aus. Es gab Verhandlungen über einen neuen Mietvertrag mit einer Mietsteigerung von einhundert Prozent und das läßt sich nicht vereinbaren mit unserer Geschäftslage. Das zweite ist, daß wir nicht mehr wollen. Die Kantstraße ist für uns als Adresse gestorben. Aber bitter ist das schon. Wir haben geackert wie die Wilden und hatten es im Prinzip geschafft und dann kamen die Polen.

Weißer Laden. Geschäftsführerin Elke Siegner: Das hat mit den Polen nix zu tun, daß wir nur noch einen Laden auf der Kantstraße haben. Wir planen einen neuen Laden auf der Schloßstraße, der sehr groß wird und irgendwann ist vorgesehen, das alles zusammenzufügen. Das Zusammenlegen der beiden Läden hier war sozusagen eine kostendämpfende Maßnahme. Polen als Kunden haben wir nicht. Wir kennen sie nur vom einmal durchbrennen, wir rennen dann hinterher. Eine schlechtere Geschäftslage konnten wir nicht feststellen.

Kondomi. Tina (35): Wir haben vor zwei Jahren hier aufgemacht und hatten inzwischen das Angebot von jemandem, der hier einen Export-Import-Laden reinsetzen wollte. Wir haben auch Polen als Kunden, aber das liegt wahrscheinlich auch an unserem Angebot. Im Prinzip haben wir schon eher Vorteile, aber es ist natürlich unglaublich schwierig, den Laden zu überblicken, wenn so ein Pulk reinkommt. Es wird enorm viel geklaut.

2001. Maik (38): Polen kaufen und klauen bei uns wie alle anderen auch. Die Sache ist doch kein Problem der Polen, sondern das ist doch die Politik des Bezirksamtes, des Senats und so weiter. Das ist doch eine politische Entscheidung, wenn ich zum Beispiel die Vermietung über Bedarfsregelung betreibe. Und das ist auch eine politische Entscheidung, wenn Gewerbemieten unbegrenzt steigen. Hier kann doch gar kein Bäcker mehr aufmachen, soviele Brötchen kann der gar nicht verkaufen, um die Miete zu zahlen. Aber das ist doch nicht die Schuld der Polen.

Il Cacto. Joachim Rauschenbach, Gartenbauingenieur: Da habe ich aus der Erfahrung natürlich keine super Erinnerungen vom letzten Jahr. Es ging ja nichts mehr. Ich habe zeitweise meine Ware, weil die Leute ja alles umgerannt haben, eingepackt und meinen Laden zugemacht und bin nach Hause gegangen. Man konnte sich kaum noch bewegen, von der Menge der Menschen her. Ob das nun aber Polen oder Chinesen sind, ist egal. Wenn sich sowas auf die ganze Stadt verteilt, ist das ja kein Problem. Geschäftlich ging das schon an die Substanz. Die große Menge Mensch konzentriert an einem Punkt — das ist das Problem .

Rezgui Mongi (40), Kellner in der Paris-Bar: Was soll's, sie kaufen mit D-Mark, nicht mit Zloty. Uns lassen sie in Ruhe. Wollen nur ständig auf unsere Toilette. Das ist wie in Paris, Marseille oder Nizza mit den Ausländern, es sind Menschen.

Möbelladen Willi Müller. Geschäftsführer Harold Müller: Wir müssen erst abwarten, wie die Entwicklung ist. Vielleicht ein Tausendstel kauft hier ein. Wir sind froh, daß wir von der Uhlandstraße bis Savignyplatz jeden Laden, der frei war, immer übernommen haben, daß hier kein Videoladen dazwischen ist. Wir hoffen, daß es nicht wieder so kommt. Die Auswirkungen waren sehr negetiv für das Renommee. Wir wollen unseren Stamm hier halten. Anne Strandt

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