Die Angelruten kriegen sich nicht

■ Ostdeutscher Anglerverband verweigert Vereinigung und kämpft um ein souveränes Nationalteam Beim Internationalen Casting-Turnier in Berlin traf sich die europäische Angelelite zum Hallenfischen

Berlin (taz) — Ich nehme die Rute. Ich spanne die Sehne. Ich wedle kräftig. Ich suche das Ziel. Ich stoppe die Sehne. Ich freue mich — wenn die Fliege als Vorbote meiner Angel im Wasserbecken eingetaucht ist. Tur

nierangeln scheint fliegenleicht.

Die Trockenfischer der DDR waren die fleißigsten MedaillensammlerInnen dieser Sportnation. Bis 1973 zogen sie 123 blinkende Goldmedaillen aus dem Staub der Weltmeisterschafts-Sportplätze. Dann folgte ein Startverbot für 16 Jahre. Beim Comeback 1989 in Oslo wurde Kathrin Britze aus Cottbus gleich vierfache Europameisterin. Die letzte DDR-Auswahl fischte bei der Weltmeisterschaft 1990 in Bordeaux fast alles aus dem WM-Pott, was es an Land zu ziehen gab. Neunmal Gold. Jana Meisel aus Gera wurde fünffache Weltmeisterin.

Die Castingsportler des Beitrittsgebiets hatten sich von den Fesseln des DTSB befreit. Von glorreichen Zeiten träumten sie, mit vielen Reisen zu großen Meisterschaften. Nach dem Erwachen verspürten sie die Fesseln des Geldes. Turnierangeln interessiert keinen Sponsor. „Als ich von der Casting-WM nach Hause kam,“ erzählt die Angelkönigin Jana Meisel, „trat ich im thüringischen Fernsehen auf, danach wurde es ruhig. Viele wissen gar nicht, daß ich Weltmeisterin bin.“

Die Weltrekordlerin hat im Winter nicht trainiert, weil sie sowieso nicht weiß, für wen sie in Zukunft ihre Angel wirft. Der deutschen Nationalmannschaft gehört sie nicht an — weil die Ost-Funktionäre ein sou

veräner Verband bleiben wollen. Die SportlerInnen interessieren sie dabei einen Fliegenschiß.

Funktionäre, die 1983 Angler bestraften, weil sie nach Karlovy Vary (CSFR) als Besucher (!) zur Weltmeisterschaft fuhren; die 1989 keine Bürgschaft für Kathrin Britze unterschrieben, weil sie eine Flucht bei der EM in Norwegen argwöhnten — diese Männer sitzen noch heute in ihren Sesseln und zählen die Fliegen an der Wand. Die Fliegen der Casting- Sportler interessieren sie wenig.

Der Deutsche Anglerverband (DAV der DDR) will sich nicht mit dem Verband Deutscher Sportfischer (VDSF der BRD) vereinigen, weil der DAV seinen Besitz an Gewässern sichern will. Den SportlerInnen flunkern die Funktionäre was von zwei deutschen Teams bei den europäischen Titelkämpfen im August vor. Aber Bundestrainer Kurt Klammet, zugleich Vizepräsident des Internationalen Verbandes, entlarvt das Anglerlatein: „Es wird dort nur eine Mannschaft geben. Wenn nicht bald was passiert, bleibt die Casterin Jana Meisel zu Hause.“

Wolfgang Richter kämpft für die ostdeutschen Turnierangler. Der DDR-Nationaltrainer mit der längsten Amtszeit seit 1959 wurde kurz vor der WM 1990 gefeuert. Er lag gerade im Krankenhaus. Richter ruinierte seine Gesundheit, erlitt einen Schlaganfall. Ein haarsträubender Grund seiner Entlassung ist ein Artikel im PDS-Blatt 'Neues Deutschland‘ über die Vereinigung der beiden Anglerverbände. Autor: Wolfgang Richter. Allerdings war das nicht der Trainer, wie dessen empörte Chefs vermuteten, sondern ein gleichnamiger ND-Redakteur. Der Trainer Richter flog, sein Trainerrat ist aufgelöst. Keiner hindert nun die Angler am scheinbar einzigen Ausweg: Wechsel zu westlichen Vereinen, um nicht an der Bürokratie im DAV zugrunde zu gehen.

Verwunderlich ist nur, daß fast alle DDR-Asse der Angelrute noch

dabei sind. „Zum Castingsport gehört viel Enthusiasmus“, meint verbittert Wolfgang Richter, „und den haben unsere SportlerInnen trotz aller Diskriminierung und Belächelung immer gehabt. Der wird ihnen erst jetzt kaputt gemacht.“

Ach, die Hauptsache ist doch, daß die Fliege fliegt. Da besorgt sie sich die Vereinigung von ganz allein. Petri Heil! bossi